Autoren über China und seine Bauern: "Harmonie braucht Reibung“

60 Prozent der Chinesen sind Bauern und profitieren kaum vom Wirtschaftsboom. Über die schwierige Lage auf dem Land haben Chen Guidi und Wu Chuntao Bücher geschrieben, die in China verboten sind.

Riesige Gruppe ohne selbst organisierte Vertretung: Reisbauern in der chinesischen Provinz Yunnan. Bild: dpa

taz: Herr Chen, nach dem Rückzug der offiziellen chinesischen Delegation auf dem Symposium im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse haben viele daran gezweifelt, ob es möglich ist, mit China in den Dialog über Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu treten. Was ist Ihr Eindruck? Findet dieser Dialog auf der Buchmesse statt?

Chen Guidi: Nach dem Eklat auf dem besagten Symposium waren wir zunächst unsicher, ob wir kommen sollen. Wir wollten nicht zwischen die politischen Fronten geraten. Wir sehen uns ja weder als Dissidenten noch sind wir Teil der offiziellen chinesischen Delegation. Wir wollten einfach als Schriftsteller kommen und unsere Bücher vorstellen. Die Deutschen waren uns gegenüber sehr aufgeschlossen.

Wu Chuntao: Aber der Dialog mit der offiziellen chinesischen Delegation ist so gut wie unmöglich. Mit dem tibetischen Schriftsteller Alai, der auch Teil der Delegation ist, sind wir eigentlich sehr gut befreundet. Als wir uns hier trafen, haben wir uns die Hand geschüttelt und auch ein paar freundliche Worte miteinander gewechselt. Aber die Atmosphäre war merkwürdig. China hat sich in den letzten 30 Jahren so weit geöffnet. Die Regierung sollte mehr Selbstvertrauen haben, sich auch auf der Buchmesse offen zu präsentieren und verschiedene Stimmen zuzulassen. Staatschef Hu Jintao spricht immer von einer harmonischen Gesellschaft. Harmonie braucht aber auch Pluralismus und Reibung.

Für ihr 2004 erschienenes Buch „Zur Lage der chinesischen Bauern“ haben die Schriftsteller Chen Guidi (geb. 1942) und seine Frau Wu Chuntao (geb. 1963) den Lettre Ulysses Award for the Art of Reportage erhalten. Kurz nach der Veröffentlichung wurde das Buch verboten. Anfang Oktober veröffentlichten sie zwei weitere Bände. („Warten auf das Urteil“ und „Die Geschichte des Dorfes Xiaogang“). Auch der erste davon fiel der Zensur in China zum Opfer. Er ist deshalb in einem taiwanesischen Verlag erschienen.

Das Publikum auf der Buchmesse bekommt also nur literarischen Einheitsbrei präsentiert.

Wu: Nicht nur. Zunächst einmal sind wir sehr stolz, dass China Ehrengast der Buchmesse ist. Es befinden sich auch sehr gute Autoren in der offiziellen Delegation, wie etwa der Schriftsteller Alai oder Su Tong. Bei der Auswahl hätte es jedoch mehr um Qualität gehen sollen und nicht darum, ob man zu offiziellen oder inoffiziellen China gehört.

Haben die Deutschen denn ein realistisches Bild von China?

Chen: Es scheint zwei Interessen an China zu geben. Zum einen die Geschäftsleute. Sie sehen vor allem die Fortschritte, die rasante wirtschaftliche Entwicklung und all die Chancen, die dahinter stecken. Und das ist auch gut so. Denn Geschäfte nutzen in der Tat beiden Ländern. Die kritische Medienberichterstattung spiegelt eine andere Einstellung wider. Man traut China nicht. An jedem Fortschritt Chinas wird doppelt gezweifelt. Die Deutschen scheinen viel mehr aufzuhorchen, wenn es um Chinas Probleme geht.

Woran liegt das?

Im Dialog mit der Kanzlerin: Chen Guidi (rechts) und Wu Chuntao (links). Bild: dpa

Chen: Es liegt an der Außendarstellung der chinesischen Regierung. Auch wir Chinesen glauben ihr und den staatlich kontrollierten Medien nicht mehr. Deswegen: Wenn wir schreiben, dann weisen wir sowohl auf die Fortschritte als auch auf die Probleme hin. Nur so ist man glaubwürdig.

Lässt sich denn aus Ihrer Sicht das westliche Wirtschafts- und Politiksystem eins zu eins auf China übertragen?

Wu: China hat sich ja offensichtlich sehr schnell von der Wirtschaftkrise erholt. Einige westliche Beobachter haben daraus den Schluss gezogen, dass das chinesische System vielleicht doch an manchen Punkten Modellcharakter haben könnte. Doch seien wir ehrlich: Nach wie vor orientieren wir uns in China weiterhin am Westen. Das fängt mit dem Bildungssystem an, damit, eigene Lesegewohnheiten zu fördern.

Seit Ihr Buch 2004 über das Landleben in China erschienen ist, hat die chinesische Regierung einiges für die Bauern getan. Die Agrarsteuern sind abgeschafft und soziale Sicherungssysteme ausgebaut. Haben denn diese Reformen das Leben der Bauern verbessert?

Wu: Für die gerade erschienenen zweiten und dritten Bände unserer Recherchen haben wir wieder die gleichen Orte und Bauern besucht. Viele berichten uns, dass sich ihr Leben materiell tatsächlich verbessert hat. Aber es sind auch wieder neue Probleme entstanden. Die Hersteller haben die Preise für Dünger nahezu verdoppelt, weil sie denken: Den Bauern geht es ja jetzt besser.

Chen: Landreformen in China sind eine schwierige Aufgabe. Zum einen muss die Regierung den Bauern auf dem Land neue Perspektiven zur Einkommensgenerierung bieten, sonst droht irgendwann eine unkontrollierte Landflucht. Zum anderen muss sie auch den ländlichen Wanderarbeitern, die sich in den Städten verdingen, dort bessere Integrationsmöglichkeiten bieten. Zum Beispiel muss endlich dafür gesorgt werden, dass ihre Kinder städtische Schulen besuchen dürfen. Zugleich muss sich Regierung darum kümmern, dass die Getreidepreise für die Städter erschwinglich bleiben. Doch das geht wiederum zu Lasten der Bauern. Ein sehr schwieriges Unterfangen.

Sie halten die Probleme der Bauern also für unlösbar?

Chen: Es gibt zwei Schlüsselthemen. Das eine ist die Eigentumsfrage. Die Bauern können ihr Land weiterverpachten, wenn sie etwa in Fabriken arbeiten wollen. Zugleich gehört der Boden weiterhin dem Staat. So wird der Weiterverpachtungsprozess von Regierungsbehörden oder mächtigen Firmen bestimmt und die Bauern dabei oft betrogen. Wenn der Boden tatsächlich ihr Privateigentum wäre, hätten sie mehr Mitbestimmungsrechte.

Wenn die Regierung den Bauern das Eigentum an ihrem Boden komplett zuweist, befürchten einige Experten, könnten viele ihren Boden verkaufen, in die Städte drängen und dort dann als „Lumpenproletariat“ enden.

Wu: Das sind die Fantasien einiger Intellektueller, die mit der Realität nicht viel zu tun haben. Wenn der Boden den Bauern wirklich gehören würde, dann würden sie ihn auch mehr schätzen. Bei weitem nicht alle Bauern Chinas wollen unbedingt in die Städte. Denn sie wissen auch um die Vergünstigungen. Der chinesische Bauer bekommt nach wie vor bis zu 80 Prozent seiner Krankenversicherung vom Staat bezahlt.

Chen: Das Grundproblem der Bauern ist, dass sie keine politische Stimme mehr haben. Für fast alles gibt es in China mittlerweile eine Vereinigung: für die Angler, für Tierliebhaber – aber keine für die Bauern. Sie brauchen eine eigene, selbst organisierte Vertretung. Alle anderen Probleme auf dem Land treten hinter der Frage der politischen Mitbestimmung zurück.

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