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Kommentar Friedensmarsch PKKSchlechtes Timing

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Das Timing ist denkbar schlecht: Erdogan will für einen substantiellen Vorstoß, der eine Verfassungsänderung mit beinhalten müsste, unbedingt die Opposition mit ins Boot bekommen.

M it einem "Friedensmarsch" vom Nordirak in die Türkei wollen die PKK und ihr inhaftierter Chef Abdullah Öcalan die türkische Regierung in Zugzwang bringen. Um deren "neue Kurdenpolitik" war es in den letzten Wochen etwas ruhig geworden. Die Kurden wollen endlich einmal konkret wissen, was ihnen eigentlich angeboten werden soll.

Das Timing ist denkbar schlecht. Denn Erdogan will für einen substantiellen Vorstoß, der eine Verfassungsänderung mit beinhalten müsste, unbedingt die Opposition mit ins Boot bekommen. Angesichts der Emotionen, die nach 25 Jahren Bürgerkrieg herrschen, ist das nicht nur verständlich, sondern politisch auch unabdinglich - allein schon, weil die AKP allein im Parlament keine verfassungsändernde Mehrheit hat.

Doch CHP-Chef Deniz Baykal, der Erdogan persönlich verabscheut, lehnte eine Zusammenarbeit über Wochen kategorisch ab. Erst unter Druck aus seiner eigenen Partei stimmte er überhaupt nur einem Gespräch zu. Erdogan, der Baykal genauso hasst wie umgekehrt, schluckt nun eine Zumutung nach der anderen hinunter, ohne bislang weitergekommen zu sein. In diesem Moment kann er es sich deshalb kaum leisten, auch nur den Eindruck zu erwecken, er sei bereit, die PKK in die Verhandlungen einzubeziehen. Genau das ist ja der Vorwurf, den die Opposition ihm macht.

taz

Jürgen Gottschlich ist Türkei-Korrespondent der taz.

Der Eiertanz, den die Regierung zwischen Kurden auf der einen Seite und nationalistischer Opposition auf der anderen Seite vollzieht, dürfte bei Erdogan eher dazu führen, die Kurden zu brüskieren, als die Chance auf eine Zusammenarbeit mit der Opposition zu verspielen. Die PKK hätte sich mit ihrem Friedensmarsch deshalb besser noch ein paar Tage Zeit gelassen. Jetzt kann es passieren, dass ihre Aktivisten im Knast landen - nur weil Erdogan beweisen muss, dass er Öcalan nicht einmal den kleinen Finger reichen wird.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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