„Bach ist ein Leuchtturm!“

Thomas Sutter hat mit „Bach. Das Leben eines Musikers in 33 Bildern“ im Atze-Theater ein großes Musiktheaterstück für Kinder und Jugendliche umgesetzt – gegen einige politische Widerstände

INTERVIEW KATHRIN SCHRADER

taz: Mit 20 Jahren ist Atze ist längst volljährig. Anlässlich dieses Jubiläums haben Sie sich an einen monumentalen Stoff gewagt: Das Leben Bachs.

Thomas Sutter: Bach, der heute als ernster, gottesfürchtiger Mann auf einem hohen Sockel steht, hatte unglaublich zu kämpfen. Die politischen Verhältnisse, unter denen er arbeiten musste, setzten ihm gewaltig zu. Als ich mich mit dem Leben Bachs beschäftigte, fand ich es spannend, dass jemand, der vor 250 Jahren lebte, dieselben Probleme hatte wie wir heute.

Identifizieren Sie sich mit Bach?

Das will ich nicht sagen, aber ich habe die Machtstrukturen wiedererkannt, mit denen auch ich heute zu kämpfen habe. Nicht erst seit Bach ist es so: Wenn es denjenigen, die das Geld haben, nicht passt, was man macht, wird man abserviert. Von Bach kann man lernen, seinen Weg weiterzugehen, gegen alle Widerstände.

Mit welchen Widerständen kämpft Atze?

Die Kulturpolitik in dieser Stadt ist flächendeckend kinderfeindlich. Wenn ein Theater für Erwachsene das Leben Bachs mit diesem Aufwand musikalisch inszeniert hätte, dann würden sich die Honoratioren und Politiker die Klinke in die Hand geben. Bei uns lässt sich, auf gut Deutsch gesagt, keine Sau blicken. Das ist hochgradig ärgerlich.

Nachdem Sie viele Jahre mit Ihren Inszenierungen durch die Theater getingelt sind, hat Atze seit 2002 mit dem ehemaligen Audimax der Technischen Fachhochschule eine fantastische Spielstätte – immerhin dank der Senatsförderung.

Auf den ersten Blick mag das so aussehen, aber Fakt ist, dass wir unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten. Wir bekommen die geringste Förderung des Senats, insgesamt 170.000 Euro pro Jahr. Mir bleiben 90.000 Euro im Jahr, um alle Leute, die hier arbeiten, die Bühnenarbeiter, die Ton- und Lichtleute, die Verwaltung zu bezahlen. Alle arbeiten hier auf Honorarbasis, teilweise haben sie Ich-AGs gegründet. Letzte Woche wurde plötzlich die Frau vom Kartentelefon krank, da brach hier das Chaos aus … Vernünftiges Arbeiten ist mit so wenig Geld praktisch nicht möglich. Alle lieben hier diese Arbeit, aber als Lebensperspektive taugt sie nicht.

Wenn Sie so sparen müssen, warum musste es dann ausgerechnet die aufwändige Bach-Inszenierung sein? Sie haben mit Sabine Passow ja auch noch einen wirklichen Opernstar eingekauft.

Sabine Passow war von der Idee des Stücks so begeistert, dass sie sofort zusagte und zur Bedingung machte, bei der Bezahlung keine Extrawurst zu bekommen. Was die Inszenierung an sich betrifft: Als Künstler darf man nie fragen, ob eine Idee letztendlich zu finanzieren ist. Man würde sich in seiner Kreativität beschneiden. Ein „Geht nicht“ gibt’s in der Kunst nicht. Man muss es riskieren.

Wie haben Sie das Stück dann finanziell realisiert?

Wir haben einmalig 100.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds bekommen. Darum musste ich allerdings sehr kämpfen – und sie haben mir sofort gesagt, dass ich mir nicht einbilden muss, noch einmal etwas zu bekommen. Mein erster Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass der Hauptstadtkulturfonds keine Kindertheater fördert. Ich wollte das schwarz auf weiß sehen. Aber das steht natürlich nirgends. Man sagte mir, dass Projekte, die aus dem Fonds gefördert werden, weit über Berlin hinaus wirken müssen. Das müssten Leuchttürme sein, einmalig. Ich sagte: „Wie kommen Sie darauf, dass Kindertheater das nicht kann? Wer hat in Berlin jemals das Leben Bachs auf die Bühne gebracht? Bach ist ein Leuchtturm!“ Ich sagte auch, dass ich den Antrag so lange immer wieder stellen würde, bis er bewilligt würde. Daraufhin klappte es.

Kann man da nicht auch mit der Pisa-Studie argumentieren? Immerhin vermitteln Sie auf spielerische Weise ein ganzes Stück Allgemeinbildung – die Kinder lernen zum Beispiel, was eine Fuge ist und wie die Menschen zu Bachs Zeiten gelebt haben.

Klar schreien alle bei Pisa ganz laut, aber ausgeben will man für die Bildung der Kinder offenbar nichts. Dabei erreichen Kindertheater beinahe 100 Prozent der Bevölkerung, denn jeder geht als Kind irgendwann mal ins Theater, entweder mit der Klasse oder mit den Eltern. Die höchsten Förderungen bekommen aber die großen Theater, obwohl nur fünf bis sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung ins Theater gehen.

Wie reagieren denn die Kinder auf das Stück?

Die Kinder fühlen und lachen mit, es gibt Applaus auf offener Szene. Sie halten am Ende nach der Sterbeszene die Trauer, bevor sie zu klatschen beginnen. Sie sind in ihren Reaktionen natürlich, und es ist spürbar, dass sie ergriffen sind. Genauso habe ich es mir vorgestellt, als ich das Stück geschrieben habe.

„Bach“ wird in einer Version für Kinder ab 9 Jahren und in einer für Jugendliche ab 13 Jahren aufgeführt.Termine: www.atzeberlin.de