Polizisten ohne Gesicht

Am Donnerstag hat der Prozess gegen ein angeblich gewalttätiges Antifa-Pärchen begonnen. Die Hauptbelastungszeugen dürfen anonym bleiben

von Tobias von Heymann

Eigentlich sollte der Prozess gegen den Antifaschisten Christian S. (36) und seine Verlobte Leila R. (25) vor dem Amtsgericht Tiergarten am Donnerstag sehr zügig über die Bühne gehen. Die Staatsanwaltschaft wirft beiden schweren Landfriedensbruch, versuchte Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und verbotenes Tragen von Waffen vor. Am 13. Februar hatten sie sich in Dresden an den Protesten gegen eine Demo von 5.000 Neonazis beteiligt, die am 60. Jahrestag der Bombardierung durch die Stadt ziehen wollten.

Brisant an diesem Prozess: Christian S. ist eine Szenegröße unter Autonomen und Linksradikalen. Eine Soli-Gruppe hält Sympathisanten per Homepage auf dem Laufenden. S. war erstmals im Sommer 2000 auf einer Anti-NPD-Demo nach einem angeblichen Steinwurf festgenommen worden. Die Folge: zehn Monate auf Bewährung. Kurz vor deren verzögertem Ablauf geriet er am 1. Mai 2004 wieder ins Visier der Polizei. Sie nahm ihn fest, nachdem er in Friedrichshain an einem Auto gezündelt hatte. S. wollte damit einen Nazi-Aufmarsch aufhalten und bekannte sich im Internet öffentlich zu der Tat. Im Dezember 2004 wurde er deswegen zu drei Jahren Haft verurteilt. Durch die Berufung kam er frei – bis Dresden.

Dort hatten vier Berliner Zivilpolizisten das linke Pärchen festgenommen, nachdem es zuvor versteckt gefilmt worden war. Die Beamten fanden bei Leila R. neben einem Teleskopschlagstock und Pfefferspray ein leeres Pyro-Abschussgerät, Christian S. trug bei der Festnahme ebenfalls eine Pfefferspraydose sowie ein leeres Sektfläschchen. Im Auto der Aktivisten lag ein Stahlrohr mit Handschlaufe.

Bis heute sind die Polizisten in den Akten mit Codenummern anonymisiert. Die Verteidiger sehen darin einen Skandal. „Der Anklage dienen die Zahlenmänner als Zeugen, aber ihre Aussagen bleiben der Kontrolle entzogen“, kritisiert Rechtsanwältin Silke Studzinsky. „Seit März 2005 habe ich mehrfach beantragt, die Identität der Polizisten zu erfahren. Doch erst am Tag vor Prozessbeginn hat die Innenverwaltung reagiert und einen Sperrvermerk verhängt.“ Dabei sei das Codieren nur zum Schutz von gefährdeten V-Leuten und verdeckten Ermittlern gedacht, kritisiert Studzinsky: „Eine Generalsperrung für die gesamte Einheit verletzt die Strafprozessordnung, weil die Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht überprüft werden kann.“ Sie hat daher beantragt, dagegen zunächst vor dem Verwaltungsgericht zu klagen.

Überhaupt sah sich das Gericht am ersten Prozesstag hartem juristischem Widerstand ausgesetzt. Zwar schmetterte die Vorsitzende Richterin alle Anträge zur Aufhebung der Codierung ab, die das Anwaltstrio Silke Studzinsky, Lüko Becker und Thomas Herzog stellte, der Prozess verzögerte sich dadurch aber um Stunden.

Am 2. Dezember geht er in die nächste Runde, ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Das schien auch der Richterin klar zu werden, die bisweilen gereizt wirkte und vergeblich versuchte, Tempo zu machen. Vorgesehen war die Aussage der – getarnten – Nummernbeamten eigentlich bereits am ersten Prozesstag. Einer von ihnen will gesehen haben, wie Christian S. aus der Menge heraus eine Flasche in Richtung Polizei geworfen hat, allerdings ohne jemanden zu treffen.

Stundenlanges Vorspielen von Polizeivideos blieb ergebnislos. Sie zeigten nur ein allgemeines Gesamtbild von der Situation in Dresden. Außer der Tatsache, dass Christian S. und Leila R. dort waren, kam nichts heraus. Bis auf ein pikantes Detail: Beim Vergleich von Timecodes auf einem Video mit denen auf einem Videoprint ergab sich eine Zeitlücke von fünf Minuten.

Als einziger nicht anonymer Zeuge konnte der Bereitschaftspolizist Fredo K. (43) aus Schwerin aussagen – das Paar hatte er aber gar nicht gesehen. Und so mussten die wartenden Code-Cops am Ende des Prozesstages unverrichteter Dinge abziehen.