Insel-Jubiläum: Die Borstenwürmer im Blick

Vor 50 Jahren wurde die Biologische Anstalt Helgoland wiedereröffnet. Gegründet wurde die Einrichtung auf dem Nordseeeiland noch von den Preußen - was dort so alles erforscht wird, ist höchst aktuell in Zeiten von Klimawandel und "alien species". Ein Besuch vor Ort.

Gleich wird Frau Buchholz "Autsch!" sagen. Von diesem Krebs allerdings droht noch keine Gefahr. Bild: Ulrike Schmidt

Die Haut an den Fingern von Cornelia Buchholz ist schrumpelig. Sie waren zu lange im Wasser. Berufskrankheit: Buchholz ist Biologin an der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) und heute, am Tag der offenen Tür, für das Becken mit den Krebsen zuständig.

"Autsch!", sagt sie und guckt den Einsiedlerkrebs, der sie zwickt, scharf an. Der Krebs zeigt sich wenig beeindruckt. In der Hand hält Frau Buchholz ihn, um uns zu zeigen, dass der Krebs im Häuschen einer Wellhornschnecke sitzt. Er ist kein Immobilienspekulant, der die Schnecke vertrieben oder gar gefressen hat. Er ist ein Hausbesetzer, in das von der Wellhornschnecke verlassene Häuschen gekrochen und bewohnt es nun. Schutz braucht so ein Krebs, sagt Frau Buchholz, "weil er einen weichen Hintern hat".

Wir sind im großen Kursraum der BAH, die 1892 gegründet wurde, und mit einem Tag der offenen Tür 50 Jahre Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg feiert. Kinder und Erwachsene stehen um den Bottich mit den Einsiedlerkrebsen und Frau Buchholz herum. Man kann hier was lernen, das steht fest.

Die Preußen, zu denen Helgoland 1892 gehörte, waren sparsame Menschen. Lange überlegten sie und gründlich, ob sie sich eine wissenschaftliche Anstalt auf dem rauen Eiland in der Nordsee leisten wollten. Sie wollten. Seit 1998 gehört die BAH zur Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI) und wird zu 90 Prozent vom Bund, zu acht Prozent vom Land Bremen sowie zu je einem Prozent von Schleswig-Holstein und Brandenburg finanziert. Auf der Insel ist das BAH mit seinen 70 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber.

An der Finanzierung wird nicht herum gefummelt: Alle Zuständigen ahnen, dass die Arbeit der Wissenschaftler auf und von Helgoland aus irgendwie wichtig ist angesichts eines steigenden Meeresspiegels, einer leer gefischten, wärmer werdenden Nordsee und der Veränderungen des Golfstroms, die das Klima in Deutschland beeinflussen.

BAH-Direktorin Karen Wiltshire hat "das Gefühl, dass deutsche Politiker von der Bedeutung der Arbeit der Biologischen Anstalt wissen". Sie hat natürlich ein paar Wünsche, die ihr die Politiker trotzdem nicht erfüllen: Sie braucht für Baumaßnahmen insgesamt zehn Millionen Euro, bekommt aber nur 1,8 Millionen für die Sanierung des Hagmeier-Hauses - Arthur Hagmeier war von 1933 bis 1945 hier Direktor -, dazu 830.000 Euro für das Zentrum für wissenschaftliches Tauchen. Dazu noch 4,5 Millionen von der Gemeinde Helgoland. Den Rest, sagt Wiltshire, muss sie "herzaubern".

Das preußische Kultusministerium ließ sich Ende des 19. Jahrhunderts von der für Deutschland einzigartigen Lage der Hochseeinsel überzeugen. Helgoland bietet ideale Bedingungen für meeresbiologische und andere Arten der Forschung: Untersuchungen in der Nordsee werden ergänzt durch Experimente in den Laboratorien auf der Insel. Die ständig mit frischem Meerwasser versorgten Anlagen ermöglichen Haltung und Zucht auch empfindlicher Meeresorganismen. Erforscht werden vor allem die Lebenszyklen von Algen, Krebsen, Muscheln und Borstenwürmern.

Das Ziel ist, die ökologischen Wechselbeziehungen zwischen den Arten besser zu verstehen und ein Gesamtbild vom komplexen Ökosystem in Flachmeeren zu bekommen. Seit den sechziger Jahren liefern ökologische Langzeitstudien Daten über die Menge von Schad- und Nährstoffen, die durch die Flussläufe und über die Atmosphäre in die Nordsee gelangen. "An jedem Werktag fährt eines der Forschungsschiffe der BAH hinaus um Wasserproben zu nehmen", sagt Folke Mehrtens, Biologin und Pressereferentin des AWI. Dabei geht es um physikalische Parameter wie Temperatur, Salzgehalt und Sichttiefe. Seit 40 Jahren werden rund um die Insel Planktonproben genommen - "eine weltweit einzigartige Langzeitdatenreihe".

So ist heute nicht mehr, wie noch vor 30 Jahren, der Fisch das Ende der Nahrungskette, "sondern die Qualle, die sich zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten der Fische entwickelt hat", erklärt Mehrtens. Das Problem: Einige Menschen essen gerne Fisch, niemand Quallen.

Von den Forschungen der BAH profitiert auch die gewerbliche Fischerei. So werden die Hummer untersucht, um die Bestände rund um die Insel aufzustocken. Ein weiterer Schwerpunkt sind marine Naturstoffe: Sonnenschutzmittel aus Algen, Medikamente aus Schwämmen, Pilzen und Bakterien.

"Immer genau hingucken"

Und dann sind da natürlich noch die "alien species": Die Migranten des Meeres sind ein Indikator für die Globalisierung, weil sie unter anderem im Ballastwasser von Containerschiffen in die Nordsee kommen. Und sie sind Indikator für die Erwärmung: "Die Winterwassertemperatur ist in den vergangenen 20 Jahren um zwei Grad gestiegen", sagt Mehrtens. Im Jahresmittel um 1,3 bis 1,5 Grad. Bei einem Ökosystem wie der Nordsee "unheimlich viel", sagt Wiltshire.

Diese Erwärmung ist Mehrtens zufolge "entscheidend für Arten, die südliche Verhältnisse schätzen". Etwa die Streifenbarbe, "die es hier inzwischen kuschelig findet". Dem Dorsch dagegen ist es inzwischen zu warm. Und nicht nur das: Wenn man, wie der Dorsch, "Druck hat durch die Überfischung und durch die hohen Temperaturen, also kumulierten Druck, dann haut man ab", erklärt Wiltshire. Dumm ist, dass der Dorsch auf den Speisekarten der Fischrestaurants steht. Die Streifenbarbe nicht.

Auch der aus Japan eingewanderte Flohkrebs Caprella mutica verdrängt heimische Arten. Anders die eingewanderten Meeresasseln, die heimische Arten nicht verdrängen, sondern "sich dort eine Nische suchen, wo es Platz hat", so Mehrtens.

Mit den "alien species" - die Irin Wiltshire spricht lieber neutral von "neuen Arten" - ist das so eine Sache. Seit etwa 1980 wächst der Japanische Beerentang, Sargassum muticum, im Wattenmeer. Die Alge kam als blinder Passagier aus dem Pazifik und erreicht um Sylt schon Dichten von 30 Individuen pro Quadratmeter. "In Irland ist der Japanische Beerentang eine Plage, im Wattenmeer hat er das Habitat erweitert", sagt Wiltshire. "Man muss immer genau hingucken."

Genau dafür ist die BAH da.

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