Integration in Neukölln: Nächster Halt: Paris
Das Deutsch-Arabische Zentrum in Neukölln hilft bei Fragen oder Problemen mit den Behörden. Ärger gibt es viel - genauso wie Hoffnung. Aber von Erfolgen will kaum jemand etwas wissen. Die Tanzgruppe Jafra hat solche.
Manches wirkt noch improvisiert, doch der Wunsch, möglichst viele Menschen hier freundlich willkommen zu heißen, ist im Deutsch-Arabischen Zentrum für Bildung und Integration (DAZ) deutlich spürbar. Er zeigt sich zum Beispiel in den bunten Plastikblumen, die in die ansonsten noch dürftig bepflanzten Beete auf dem Hinterhof des Hauses in der Neuköllner Uthmannstraße gesteckt worden sind. Er zeigt sich aber vor allem an dem freundlichen Empfang - jeder wird persönlich begrüßt und kaum einer geht nach Hause ohne eine Einladung für einen nächsten Besuch.
Dass in der Öffentlichkeit fast ausschließlich über Problemfälle in der arabischen Bevölkerung und nicht über Lösungen und Erfolge geredet wird, ärgert Nader Khalil. Der 40-Jährige ist palästinensischer Herkunft und einer der Berater im DAZ, er hat es mit ins Leben gerufen. Nicht weit von dem Zentrum lebt eine Familie, die dem viel beschworenen Bild der "kriminellen arabischen Großfamilie" entspricht. Ein Sohn hat bereits als Grundschüler eine Lehrerin krankenhausreif geschlagen. Ein anderer beging Unfallflucht, nachdem er einen Mann angefahren und tödlich verletzt hatte. Er starb später bei einem Unfall auf der Flucht vor der Polizei. "Es sind Fernsehteams zu uns gekommen, die gar nicht wissen wollten, was wir hier machen", sagt Khalil. "Sie wollen mit uns nur über diese eine Familie sprechen."
Dabei gibt es auch andere Geschichten zu erzählen: Ein Stockwerk unter Khalils Beratungsbüro trainiert die Volkstanzgruppe des DAZ. "Jafra" nennt sich das Ensemble. Heute herrscht helle Aufregungen unter den Jugendlichen: Gerade hat ihr Trainer Abu Sadiq ihnen erzählt, dass sie bald einen Auftritt in Paris haben werden.
Einer der Tänzer ist der 19-jährige Jazan. Im Sommer hat er Abitur gemacht - dass sein Notendurchschnitt bei 1,3 lag, erzählt er erst auf Nachfrage. Gerade hat er eine Absage für ein Medizinstudium bekommen: "Die nehmen nur noch Leute mit 1,0", sagt er. Zwei seiner Geschwister studieren bereits Medizin. Jazan muss jetzt umdenken. Er denkt über ein Studium zum Ingenieur für Medizintechnik nach.
Dania will Lehrerin werden: "Ich kann die Kinder mit Migrationshintergrund vielleicht besser verstehen als deutsche Lehrer", sagt sie. Ihr Abi-Durchschnitt lag bei 2,0. Die Frage, ob sie mit ihren deutschen LehrerInnen Probleme hatte, ist der 19-Jährigen unangenehm. Sie möchte über niemanden schlecht reden. "Schüler nichtdeutscher Herkunft sind oft schlechter benotet worden", sagt sie dann. Jazan glaube, es liege an einem Mentalitätsproblem zwischen Lehrern und Schülern. "Wir haben alle unsere Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht", sagt er.
Nicht nur für die tanzenden Jugendlichen ist das DAZ ein wichtiger Treffpunkt in Berlin: Elf Vereine arabischer Einwanderer verschiedener Herkunftsländer haben sich zur Gründung des Hauses zusammengetan. Der Bezirk hat die Renovierung bezahlt und stellt das Haus derzeit mietfrei zur Verfügung. Das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk EJF Lazarus trägt die Kosten für die Mitarbeiter. Sechs Berater sind es bislang. Sie sind arabischer, deutscher, türkischer Herkunft.
Die Menschen, die zu ihnen kommen, suchen nach Deutschkursen oder nach Möglichkeiten zum Einstieg in den Arbeitsmarkt. Viele der in Berlin lebenden Araber sind palästinensische Flüchtlinge, die teils seit Jahrzehnten mit immer wieder befristeten Duldungen in Deutschland leben. Sie suchen nach Möglichkeiten, die sogenannte Altfallregel zu nutzen. Diese verspricht dauergeduldeten Flüchtlingen die Chance auf einen sicheren Aufenthaltstitel, wenn sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie selbst verdienen. Aber auch persönliche Angelegenheiten bringen die Menschen ins DAZ: Probleme in der Familie oder zum Beispiel mit der Schule der Kinder.
"Vielen Eltern mangelt es an Erziehungskompetenz", sagt Khalil. Über Schwierigkeiten vieler arabischer Familien mit dem Leben in Deutschland zu reden, hat er kein Problem: Er will sie ja lösen helfen. Die Eltern packten ihre Söhne in Watte, verteidigten deren Fehlverhalten nach außen selbst dann, wenn sie es familienintern hart bestraften. "Zu uns kommen sie, wenn das Kind dann buchstäblich in den Brunnen gefallen ist", sagt Khalil. Nebenbei sitzt der Familienvater in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung - für die CDU.
Doch das DAZ will nicht erst eingreifen, wenn es zu spät ist: Khalil und seine KollegInnen beraten in Erziehungsfragen, vermitteln zwischen Familien, Schule und Polizei und werben bei den arabischen Familien um Vertrauen in die deutschen Behörden und Institutionen. Vor allem aber will das DAZ die Jugendlichen erreichen: Sie sollen ermutigt werden, sich in Deutschland heimisch zu fühlen und Perspektiven zu entwickeln.
In der Tanzgruppe finden sich viele Perspektiven. Der 24-jährige Kiefah gehört zu den Älteren in der Gruppe. Auch er hat studiert - Ingenieurwissenschaft. "Wir müssen versuchen, den Deutschen zu erklären, wie wir denken, wie wir fühlen", sagt er. "Und unseren eigenen Leuten klar machen, was Deutschland ihnen bietet." Denn wer nur Deutschland die Schuld am eigenen Versagen gebe, täte Unrecht, meint Kiefah: "Wir müssen auch über unser eigenes Verhalten nachdenken." Denn man könne auch als Araber in Deutschland etwas werden, glaubt er: "Es fehlt aber noch an Vorbildern." Fast alle Väter der Jugendlichen haben eine Berufsausbildung. Doch Arbeit in seinem Job hat in Deutschland keiner gefunden. Manche sind selbständig mit Restaurants oder kleinen Geschäften, manche arbeitslos.
Nach dem Tanztraining, in der U-Bahn, sind die jungen Leute ausgelassen. Sie albern herum, singen auf Arabisch Spottlieder übereinander. Die Blicke, die sie von den anderen Fahrgästen ernten, sind misstrauisch, teils furchtsam. Niemand mischt sich ein. Die Jugendlichen bemerken es gar nicht. Sie freuen sich auf ihre Reise nach Paris.
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