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Seminare über ComputersuchtGanze Tage vorm Bildschirm

Der Bayerische Lehrerverband bietet Eltern Seminare über computerspielsüchtige Kinder an. Mit dabei ist ein Aussteiger, der früher zehn Stunden pro Tag an der Spielkonsole verballerte.

Bereits Grundschulkinder zocken an einem normalen Schultag eine Stunde oder mehr. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Claudio von Wiese, 26, trägt einen Pferdeschwanz, sein Körperbau ist athletisch, er lächelt freundlich, spricht eloquent. Ein paar Jahre zurück könnte man ihn sich ohne Probleme als den von der halben Schule angehimmelten Sporthelden vorstellen, den Star der Theatergruppe oder den selbst bei den Lehrern geschätzten Schülersprecher. Doch das alles ist von Wiese nie gewesen. Er verbrachte die besten Jahre seiner Schulzeit in seinem Zimmer, ganz allein.

Als Kind, mit zehn Jahren, spielte von Wiese noch am liebsten draußen mit seinen Freunden. Sie waren kleine Lausbuben, eine richtige Clique. Irgendwann bekam einer der Freunde einen Gameboy. Von Wiese spielte auch damit. Es machte großen Spaß. Als er 14 war, schafften seine Eltern ihren ersten Computer an. Jetzt spielte er auch daheim ab und an. Mit 15 hatte von Wiese einen eigenen PC in seinem Kinderzimmer, eine richtige Spiel-Maschine, auf dem neuesten Stand der Technik. Von da an spielte er jeden Tag fast zwei Stunden. Das war noch die harmlose Zeit.

Mit 16 entdeckte von Wiese das Online-Strategiespiel "StarCraft". Er war begeistert vom Wettkampf, von der Interaktion mit den Mitspielern, von der Möglichkeit, jeden Tag besser und stärker zu werden. Von Wiese spielte bis in die Nacht hinein, auch an normalen Schultagen. Den Unterricht verbrachte er meist schlafend, mit dem Kopf auf der Schulbank. Mit 18 sah sein Alltag so aus: Schule, Mittagessen, "Starcraft" spielen, Abendessen, "Starcraft" spielen, bis um zwei Uhr nachts. Einsam fühlte er sich in all der Zeit nie. Er hatte Freunde im "Starcraft"-Kosmos, sie chatteten, verabredeten sich zum Online-Spiel und erlebten zusammen die größten virtuellen Abenteuer. Gesehen haben sie sich im wahren Leben nie. So verbrachte von Wiese täglich über zehn Stunden mit Computerspielen. Er war süchtig.

Doof spielt mehr

Je niedriger das Bildungsniveau der Eltern, desto mehr Fernseher und Spielkonsolen gibt es - im Kinderzimmer. 57 Prozent der Kinder gering gebildeter Eltern haben einen Fernseher, 43 Prozent eine Spielkonsole. Dagegen haben nur 16 Prozent der Akademikerkinder ein TV-Gerät, nur 11 Prozent eine Spielkonsole.

21 Prozent der Drittklässler und ein Drittel der Fünftklässler spielen mehr als eine Stunde täglich. 6 Prozent der Drittklässler verbringen mehr als drei Stunden mit Computerspielen, bei den Fünftklässlern sind es 5 Prozent.

Kinder mit eigenem Fernsehgerät im Zimmer schauen 124 Minuten täglich. Steht das Gerät im Wohnzimmer, sinkt der Wert auf 70 Minuten. Auch die Qualität der Filme ändert sich. Bei eigenem Fernseher nutzen 32 Prozent der Zehnjährigen Filme ohne Jugendfreigabe. Steht der Fernseher bei den Eltern, sehen 15 Prozent brutale Filme.

Alle Daten stammen von Christian Pfeiffer, Kriminologisches Forschungsinstitut. (taz)

Heute machen zehntausende Jugendliche in Deutschland solche Erfahrungen. Computerspielsucht ist eine Modekrankheit, glaubt man den Daten, die der Kriminologe Christian Pfeiffer gesammelt hat. Mit seinem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen befragte er 15.168 Neuntklässler zu ihrer Computerspielnutzung und fand heraus: 2,7 Prozent der deutschen 15-Jährigen sind computersüchtig, weitere 3 Prozent suchtgefährdet. Betroffen sind vor allem Jungen. Die Forscher diagnostizierten 3 Prozent der männlichen Befragten als süchtig, aber nur 0,3 Prozent der Mädchen. 4,7 Prozent der Jungen waren gefährdet, bei den Mädchen waren es nur 0,5 Prozent.

Für den streitbaren Forscher Pfeiffer ist der Konsum von Spielen wie "World of Warcraft" der Hauptgrund, warum die männlichen Schüler seit Jahren im Durchschnitt schlechtere Schulnoten bekommen als die Schülerinnen. Pfeiffer meint: " ,World of Warcraft' ist der größte Leistungskiller, der je auf den Markt gekommen ist."

Für Claudio von Wiese war seine Spielsucht im Rückblick vor allem verlorene Lebenszeit. Mit 19 versuchte er aufzuhören. Es war ein langer Kampf. "Wenn man auf einmal zehn Stunden am Tag nichts mehr zu tun hat, wird einem plötzlich sehr langweilig", sagt von Wiese. Zum Abitur schaffte er den Absprung. Er habe nachher in allen Lebensbereichen viel aufholen müssen, meint er. "Die Zeit davor ist wie ein großes Loch." Von Wiese schaffte ein solides Abitur mit einem Notenschnitt von 2,4. Er studierte Sozialpädagogik und kämpft heute gegen die Computerspielsucht.

Schon Kinder drohen heute in das Loch zu fallen, das Wiese um ein Haar das Abitur gekostet hätte. Pfeiffers Forschungsinstitut hat auch Grundschulkinder untersucht, mit grusligem Ergebnis: Jeder fünfte befragte Drittklässler zockt an einem normalen Schultag schon eine Stunde oder mehr. Sechs Prozent spielen gar mehr als drei Stunden.

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV startet in diesen Tagen eine Informationskampagne. Man wolle aufklären, sagt BLLV-Präsident Klaus Wenzel. "Was wir nicht wollen, ist Panik schüren." Auf dem Faltblatt, das der Lehrerverband an bayerische Schulen schickt, steht trotzdem recht drastisch: "Verloren in anderen Welten. Wie Computerspiele unsere Kinder verführen". Der Verband veranstaltet Informationsseminare für Lehrer und Eltern. Sie werden geleitet von jemand, der sich mit dem Thema auskennt, wie kaum ein anderer: Claudio von Wiese.

Wie so ein Seminar aussieht, kann von Wiese schon einmal zeigen. Er betätigt sich als Reiseführer in eine Welt, die Eltern und Lehrer kaum verstehen. An die Wand projiziert ziehen die virtuellen Landschaften von "World of Warcraft" vorüber. Zwischen kahlen Bergen stürzen siedend heiße Lavabäche herab. Im dunklen Wald tummeln sich schon vormittags Elfen und Jäger, die Figuren realer Spieler daheim an ihren PCs. Im Bild erscheint eine Figur, laut Einblendung hat der Spieler Level 80 erreicht. Für Level 80 muss man monatelang spielen, viele Stunden am Tag. Die Figur von Claudio von Wiese hat nur Level 24. "World of Warcraft" habe ihn nie gepackt, sagt er. "StarCraft hat mich neulich schon wieder mehr fasziniert." Doch mittlerweile ist ihm seine Zeit für so etwas zu schade. Von Wiese sagt: "Ich habe es dann gelassen".

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8 Kommentare

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  • T
    TeTe

    Der Autor hat wahrscheinlich nie ein Computerspiel gespielt. Schon StarCraft als Online-Spiel zu nennen, nur weil es einen gern genutzten Online-Spielmodus besitzt. Ich habe StarCraft auch gespielt, offline, und auch viele viele andere Spiele und bin trotzdem nicht vereinsamt und das obwohl ich heute immer noch spiele. Bringt doch mal einen Bericht über mich....der Autor sollte zur B.Z. wechseln da ist er mit so unreflektiertem Kram besser aufgehoben

  • FD
    Frei Denker

    Danke Tazja, dieser Artikel ist der taz nicht würdig. Ganz schlecht recherchiert und weit von der Realität entfernt. Zocker haben sicherlich mehr Hirnkapazität als die Leute, die den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und sich den Einheitsbrei - ja Matsch - dort angucken. Ganz guter Satz: besorgten Eltern kann man alles verkaufen. Besorgten taz Redaktoren auch?

  • T
    Tazja

    Als jahrzehntelange TAZ-Leserin bin ich fassungslos, wie meine Zeitung, die ich vor allem für ihre differenzierte Sicht auf die Dinge und das kritische Hinterfragen des gängigen Mediengetöses so schätze, einen derartigen Artikel drucken kann.

     

    Kurze reißerische Sätze und eine so einfache schwarz-weiße Weltsicht erwarte ich eigentlich mehr in der Springer-Liga. Und dass ausgerechnet ihr dem Killerspiel-Demagogen Pfeiffer plötzlich eine Plattform bietet und die von ihm propagierten Feindbilder völlig unreflektiert nachbetet will nicht in meinen Schädel.

     

    Es ist unbestritten, dass es heutzutage eine der größten Herausforderungen in der Kindererziehung ist, den Nachwuchs mit der erforderlichen Medienkompetenz für unser Digitalzeitalter auszustatten. Mit flachen, hetzerischen und schlecht recherchierten (*) Artikeln wie diesem tragt ihr aber ganz sicher nicht dazu bei.

     

    (*) Spieler-Level 80 nach fünf Jahren World of Warcraft kann auch mit nur einer Woche spielen pro Jahr erreicht worden sein, dazu muss man ganz und gar kein süchtiger Zocker sein. Und es gibt eben tatsächlich jede Menge "ganz normale" Leute, die Abends statt den 20.15-Spielfilms zu konsumieren lieber ein-zwei Stündchen am PC zocken.

  • MQ
    Ms. Q

    @Rrr wer hätte gedacht das zocker auch taz lesen? ^^

     

    Ich muss immer wieder an den Text denken den ich einmal gelesen habe um den es um die schädlichen Folgen des Lesens ging, nachdem Bücher so eine Verbreitung gehabt haben. Ja so alt! Man nimmt meist eine unnatürliche Haltung, bewegt sich stundenlang nicht, es verführt zu Tagträumen und ist vor allem schädlich für die Moral von Frauen. Undso weiter und so fort.

     

    Onlines Games aber auch Netzwerke sind eine Kulturtechnik, die das erstemal die Jugend vor den Erwachsenen beherrscht. Vielleicht erscheint sie deshalb vielen so unheimlich.

     

    Als Jugendliche Büchern und Tagträumen verfallen es heute für mich 40+ nichts entspannender als ein paar Stunden Herr der Ringe online.

  • N
    Novum

    @Rrr: Schön, dass du die Sucht überwunden hast, viel Erfolg weiterhin!

     

    @Michael: Warum ist dein Beitrag so emotional in die negative Richtung?

    Warum so negativ auf eine Hilfsinitiative reagieren?

    Und warum kommst Du mit dem Thema "Amok" wo in diesem Artikel nirgends davon gesprochen wird?

    Ja es ist richtig, dass viele Jugendliche exzessiv Computer spielen und dann wieder damit aufhören, so auch die im Artikel zitierte Person. Scheinbar ist dir nicht aufgefallen, dass er die Zeit nicht genossen hat. Scheinbar ist dir auch nicht aufgefallen, dass die Spielesucht bei manchen Leuten auch noch deutlich folgenreicher ist.

    Woher willst du wissen ob die angebotene Lösung unzutreffend ist? Kennst du die angebotene Lösung? Ich nicht...

    Ein normaler Vorgang des Wandels, natürlich, mit diesem Argument lässt es sich immer rechtfertigen stillzuhalten und nichts zu tun. Ganz entsprechend der Hinweis auf die "subjektive Wahrnehmung"... mit nihilistischen Leerformeln ist noch nie etwas geschehen.

    Und ein Problem mit einem anderen zu rechtfertigen ist auch wenig stichhaltig. Es wird versucht alkoholkranken Menschen zu helfen. Warum sollte man nicht auch versuchen Computersüchtigen zu helfen?

  • H
    horringer

    Beim Titel dieses Artikels musste ich lachen: ganze Tage vorm Bildschirm- das passt doch bestimmt auch zu 90% der Taz-redaktion oder? Zu mir auch: Doktorarbeit schreiben bedeutet vorm Bildschirm sitzen bis man schielt. Und dabei viele soziale Kontakte vernachlässigen, ganz automatisch. Der einzige Unterschied ist dass man mit ner fertigen Disse u.U. Lob erntet und im Leben weiterkommt, mit einem in Jahren gewachsenen World of Warcraft-character wohl nur bedingt (aber kann man nicht sogar die Charaktere verkaufen mittlerweile?). Vielleicht kommt ja irgendwann Zocken auf Lohnsteuerkarte, ich glaub in China gibts das schon ;)

  • R
    Rrr

    War bis vor einem halben Jahr auch extrem süchtig.

    Blizzard macht einfach die besten Spiele!

    Bin seit 2002 praktisch auf warcraft3 hängen geblieben...

    Abitur 2004 so grade noch geschafft, im Studium siehts grad nicht viel besser aus, hinzu kam noch das Kiffen, da das Zeug hier an der niederländischen Grenzen verdammt leicht zu bekommen ist und es damit dopplet spass macht zu zocken. Da war mein tagesablauf für einige monate aufstehen irgendwaann mittags/nachmittags, sich was fertig machen für die bong (sollte für den ganzen abend+nacht reichen) und dann ab ins b.net! so ging es tag ein tag aus, kontakt zu freunden blieb aus, uni wurd so gut wie ausgesetzt...bis mich zum glück meine eltern besuchten und mich wieder auf die richtige bahn brachten =)

    seit nem halben jahr ist wieder alles besten, nur dass einem jede menge zeit fehlt, die man einfach mit spielen spielen spielen verbracht hat

     

    heute zock ich nur noch abends 2-3stunden, je nachdem, oder ich treff mich mit freunden, es kommt halt nix im fernsehen (nur schrott bis auf sehr wenige sendungen), was bleibt einem da schon übrig?! schrott im fernsehn gucken oder ein paar runden warcraft3 im b.net zocken und spass haben?! kenn mehr als nen dutzend weiterer spieler im b.net aus ganz europa, die zwischen 30 und 17jahre alt sind, teilweise auch schon eigene kinder haben, und wie ich vor einiger zeit stunden eher sogar tage im b.net verbringen! die verlockung ist einfach riesig, wenn man der beste auf einer map sein will und zudem diese auch noch selbt erstellt/updatet (für kenner: heroes&armies). denke mal in zukunft wird das noch viel schlimmer werden, wenn die progamer so gefeiert werden wie in südkorea, dh. dass die progamer nen popularität haben wie die stars der bundesliga! starcraft2 wird jedenfalls ein weiterer knüller von blizzard und die nächste welle von süchtigen hervorbringen....

    keine ahnung, was man dagegen machen könnte. aufklärung bringt wenig...

    es ist einfach eine schnelle beschäftigung: computer an und schon gehts los, zudem isses viel zu leicht beim spielen im internet einer der besten zu werden und damit evetl. den repekt vor anderen zu bekommen....

  • M
    Michael

    Da versucht wohl eher jemand, mit seiner vorgeblich gescheiterten und wieder geretteten Existenz Geld zu verdienen. Viele Jugendliche spielen exzessiv Computer, die meisten hören damit von allein wieder auf. Aber den durch Amokläufe und in Medien und Politik geschürten Katatrophenszenarien verschreckten Eltern kann man alles verkaufen. Wichtig ist dabei nur, dass eine angebliche Lösung eines Problems angeboten wird - so verallgemeinernd und unzutreffend sie auch ist.

    Wir leben nicht mehr in den 60er, 70er oder 80ern. Kinder und Jugendliche treffen sich nicht mehr auf der Straße um da zu spielen, es gibt neue Varianten der Freizeitbeschäftigung. Dass in diesem zusammenhang der PC wichtig ist ist doch kein Wunder - schließlich ist ja auch der Fernseher Standard-Mobiliar im Kinderzimmer und immer gern genutzter Babysitter, so nerven die Blagen wenigstens nicht. Ein normaler Vorgang des Wandels, auch unsere Urgroßeltern hatten eine andere Kindheit als unsere Eltern, ob diese Vergangenheit besser oder schlechter war ist rein subjektiv.

    Zumindest können Computerspieler sich nicht am Komasaufen beteiligen - wer auf Leistung am PC Wert legt kann nicht saufen, kiffen oder sonstiges konsumieren.

     

    Und als Erinnerung an die "Killerspiel"-Demagogen:

    40 % der Amokläufer haben Counterstrike gespielt. 100 % haben Fernsehen geschaut und Bücher gelesen!

     

    MfG