Kommentar Anklage Jaques Chirac: Expräsidenten werden Bürger

Die nun möglich gewordene Anklage gegen Chirac stärkt ausgerechnet jene, die das demokratische System bekämpfen. Französische Rechtsextremen machen Stimmung mit der These "Alle korrupt".

Wenn jemand verdächtigt wird, öffentliche Gelder - und dazu in großem Umfang - unterschlagen zu haben, muss er sich rechtfertigen. So gesehen erscheint es normal, dass demnächst ein Strafgericht Anklage gegen Jacques Chirac erhebt. Ihm wird vorgeworfen, in seiner Zeit als Pariser Bürgermeister in 21 Fällen Leute beschäftigt zu haben, die in Wirklichkeit gar nicht für das Rathaus arbeiteten. Sondern für die rechte Partei RPR.

Trotz zahlreicher Verdachtsmomente ist bislang kein einziger Expräsident je als Angeklagter vor ein Gericht zitiert worden. Während ihrer Amtszeit schützte sie ihre Immunität; sie waren nicht einmal dem Parlament Rechenschaft schuldig. Und auch danach galten sie lebenslänglich als unantastbar. So lautete die ungeschriebene Regel der V. Republik.

Die richterliche Entscheidung in Paris stellt einen radikalen Bruch mit dieser Tradition dar. Sie macht Staatspräsidenten, zumindest nach Ende ihrer Amtszeit, zu normalen Bürgern.

Paradoxerweise haftet der Entscheidung dennoch ein Hauch von Ungerechtigkeit an. Denn sie kommt nicht nur 15 Jahre nach der mutmaßlichen Tat und richtet sich gegen einen fast 77-jährigen Rentner. Noch brisanter ist, dass die nun möglich gewordene Anklageerhebung gegen Chirac ausgerechnet jene stärkt, die das demokratische System bekämpfen. Die französischen Rechtsextremen machen seit Langem Stimmung mit der These "Alle korrupt".

In diesen Tagen werden nun serienweise und bei verschiedenen Finanzverfahren Politiker - Exminister, ein ehemaliger Regierungschef und demnächst eventuell auch ein Exstaatschef - in französischen Gerichten auf der Anklagebank sitzen. Angesichts dieses traurigen Spektakels können sich die Rechtsextremen vor den kommenden Regionalwahlen ins Fäustchen lachen.

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