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Auslieferung mutmaßlicher Terroristen nach DeutschlandMord verjährt in Deutschland nicht

Die deutsche Staatsanwaltschaft fordert die Auslieferung zweier in Frankreich lebender mutmaßlicher Exterroristen. Die beiden sollen für die Revolutionären Zellen Anschläge begangen haben.

Während Suder und Gauger in Frankreich straffrei leben, liegen ihre Taten aus den 70er-Jahren in Deutschland noch nicht ad acta. Bild: dpa

BERLIN taz | Jetzt muss der französische Staatsrat entscheiden. Denn Sonja Suder (76) und Christian Gauger (68) wehren sich mit allen Mitteln gegen eine Auslieferung nach Deutschland, wo ihnen die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen Ende der 70er-Jahre vorgeworfen wird. Die seit Jahrzehnten in Frankreich lebenden Rentner legten vor wenigen Tagen vor dem obersten staatlichen Organ des Nachbarlandes Einspruch gegen ihre vom Innenminister François Fillon bereits genehmigte Auslieferung an die deutsche Justiz ein. Die Annahme ihres Widerspruchs hat aussetzende Wirkung.

Suder und Gauger wurden von den deutschen Fahndungsbehörden seit 1978 wegen Mitgliedschaft in der sozialrevolutionären Stadtguerillagruppe Revolutionäre Zellen (RZ) gesucht. Die RZ lösten sich spätestens 1993 auf. Nach über 20 Jahren, in denen sie mit falschen Schweizer Ausweisen in Lille lebten, konnten sie erst 2000 aufgrund eines Tipps des gegen die RZ aussagenden Kronzeugen Tarek Mousli (50) in Paris verhaftet werden.

Nach wenigen Monaten in Haft entschied ein französisches Gericht, dass die vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt sind, und ließ sie wieder frei. Seitdem leben die beiden mit einer Duldung in Frankreich.

Doch die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main wollte es nicht dabei belassen. Die Behörde beantragte im Jahr 2007 erneut einen internationalen Haftbefehl und hofft dabei auf die durch den sogenannten europäischen Haftbefehl geschaffene neue Rechtslage. Diese sieht eine bedingungslose Auslieferung innerhalb der EU vor.

Konkret werden Suder und Gauger zwei Sprengstoffanschläge im Jahr 1977 auf Firmen zur Last gelegt, die dem damaligen Apartheidstaat Südafrika bei der Entwicklung einer eigenen Atombombe halfen. Weiter wirft ihnen die Staatsanwaltschaft einen Brandanschlag im Jahr 1978 auf den Königssaal des Heidelberger Schlosses vor.

Gegen Suder wird außerdem wegen ihrer angeblichen Beteiligung in der Vorbereitung an dem Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz 1975 ermittelt, bei dem drei Menschen ums Leben kamen. Dieser Vorwurf beruht allein auf den Aussagen des Kronzeugen Hans-Joachim Klein (61), den das Frankfurter Landgericht in einem anderen Verfahren gegen das ehemalige RZ-Mitglied Rudolf Schindler (66) für unglaubwürdig hielt. Es sprach den Angeklagten frei. Allerdings beruht auf diesem Vorwurf der internationale Haftbefehl gegen Suder wegen Beihilfe zum Mord. Auch wurden in den 90er-Jahren die Verjährungsfristen für Sprengstoffverbrechen in Deutschland nachträglich auf bis zu 40 Jahre ausgeweitet.

Für Detlef Hartmann, den Anwalt von Suder und Gauger, ist der Fall eindeutig. "In diesem Fall gelten die französischen Fristen." Nach seinen Angaben verjähren in Frankreich fast alle Straftaten nach zehn Jahren. Doch Hartmann weiß auch um das "enorme Interesse Frankreichs an einer guten Zusammenarbeit mit Deutschland".

Dagegen verweist Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, auf das Legalitätsprinzip. "Wir können nicht sagen, lassen wir es gut sein. Wir müssen verfolgen bis zur Verjährung, und Mord verjährt bei uns nun mal nicht." Wie man dann mit den beiden umgehe, wenn sie in Deutschland sind, sei eine andere Frage, betont die Staatsanwältin.

Bereits in den letzten Jahren zeigte sich sowohl die damals zuständige Bundesanwaltschaft (BAW) als auch das Berliner Kammergericht gegenüber drei wegen Taten im Rahmen der RZ und ihres feministischen Flügels "Rote Zora" jahrelang gesuchten Bundesbürgern relativ gnädig. Gegen eine jeweils vor Gericht vorgetragene Einlassung zu den Vorwürfen und damit einhergehende Übernahme der Verantwortung plädierte die BAW auf eine zweijährige Bewährungsstrafe, dem sich in allen drei Fällen auch das Gericht anschloss.

Eine Prognose über den Ausgang der Entscheidung des Staatsrates wollte Hartmann nicht abgeben.

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3 Kommentare

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  • S
    Sub

    Man sollte die beiden Rentner nach Deutschland bringen und Ihnen einen Orden verleihen für die noblen Taten, die sie begangen haben. Ich meine das ernst, ich habe große Hochachtung und Respekt vor ihnen.

  • AF
    Adam Fiersen

    Gleiches Recht für alle: Genauso wie man bei den ehemaligen SS Angehörigen keine Rücksicht auf das hohe Alter nimmt, genauso soll man bei den Linksextremisten verfahren, keine Gnade für Mörder.

  • S
    Spin

    Die Zeitschrift "analyse und kritik" schreibt dazu:

    „1977/78. In Südafrika herrscht ein Jahr nach dem Massaker von Soweto, bei dem 176 schwarze SchülerInnen und StudentInnen von der Burenpolizei erschossen wurden, blutigste Apartheid. Nelson Mandela sitzt als "Terrorist" auf der Gefängnisinsel Robben Island. Bundesdeutsche Konzerne machen gute Geschäfte mit dem Rassistenstaat. Siemens, MAN, Leybold-Heraeus und Linde fungieren sogar als Zulieferer für Urananreicherungsanlagen und Hochleistungspumpen, obwohl im Forschungszentrum Pelindaba bei Pretoria - in Kooperation mit Israel - an Atomwaffen gearbeitet wird. In der BRD protestieren die Anti-Apartheid-Bewegung und AKW-GegnerInnen gegen die atomaren Programme.

    Am 22. August 1977 reißt eine Bombe bei MAN-Nürnberg ein Loch in die Außenwand, Personen werden nicht verletzt. Revolutionäre Zellen schreiben: "Der Anschlag auf MAN richtet sich gegen die Beihilfe zur Herstellung südafrikanischer Atombomben. (...) MAN exportiert Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in Pelindabe in Südafrika. Das Materialamt der Bundeswehr versieht die Lieferungen mit NATO-Codifizierungsnummern, was für militärische Güter vorgesehen ist. Das Trenndüsenverfahren, nach dem die Anlage gebaut wird, wurde durch die staatseigene Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe, die Firma STEAG in Essen und MBB (Messerschmidt-Bölkow-Blohm) in München entwickelt. (...) Die BRD-Regierung sichert die Atomgeschäfte durch Versicherungsgarantien ab (Hermes-Bürgschaften)."“ (ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 538 / 17.4.2009)

     

    Und nun die Preisfrage: Wurde jemals diesen Konzernen, die die Rassisten unterstützt haben, der Prozess gemacht? Wird hier gesagt, das ihre finanzielle und politische Beihilfe zum Mord und Freiheitsberaubung in tausenden Fällen nicht verjährt? Und was ist mit denen, die die lateinamerikanischen Juntas unterstützt haben? Was ist mit FJ Strauß und den CSU-Politikern, die die chilenische Kinderquäler-Kommune "Colonia Dignidad" unterstützten?

    (http://www.welt.de/welt_print/article763520/Das_System_funktioniert_bis_heute.html)

     

    Für mich sind die RZ mutige Kämpfer für die richtige Sache, die viel riskiert, auch manchen Fehler gemacht, aber auch heute noch (kritische) Solidarität verdient haben.