: Man ist ja froh, dass sie da sind
THEATER Begegnung mit alten Bekannten: Die Auswahl der Kritikerjury für das 50. Theatertreffen in Berlin
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Zum fünfzigsten Mal findet im Mai das Theatertreffen in Berlin statt. Das ist Anlass für eine kleine Statistik, mit der Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, die diesjährige Auswahl der Jury einrahmt: Shakespeare (38), Tschechow (28) und Ibsen (25) waren die häufigst gespielten Klassiker, gefolgt von Botho Strauss (13) und Peter Handke (8). Unter den eingeladenen Regisseuren stehen Peter Zadek (21), Peter Stein (17), Claus Peymann (17) und Christoph Marthaler (14) an der Spitze. Das Burgtheater aus Wien war 45-mal eingeladen, die Kammerspiele aus München 37-mal, die Schaubühne aus Berlin 32-mal. So betrachtet ist es kein Wunder, dass die Institution Theatertreffen nicht gerade für Neuentdeckungen steht.
Jedes Jahr macht sich eine Jury aus sieben Kritikern auf, besucht Stadttheater und Festivals, tauscht sich aus und diskutiert. Die Zahl der Inszenierungen, die sie – das waren diesmal Vasco Boenisch, Anke Dürr, Ulrike Kahle-Steinweh, Christoph Leibold, Daniele Muscionico, Christine Wahl und Franz Wille – anschauen, wächst jedes Mal, diesmal waren es 423. Trotzdem wirkt ihre Auswahl von 10 „bemerkenswerten“ Stücken diesmal vor allem wie eine Verabredung mit alten Bekannten.
Man ist ja froh, dass man sie hat, die Inszenierungen von Michael Thalheimer („Medea“, Schauspiel Frankfurt), Karin Henkel und Katie Mitchell („Die Ratten“ und „Die Reise durch die Nacht“, beide Schauspiel Köln), von Herbert Fritsch („Murmel Murmel“, Volksbühne Berlin), Johann Simons („Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“, Kammerspiele München). Aber große Überraschungen erwartet man da eigentlich nicht mehr. Ihre Handschriften sind bekannt, die Leistungen der Ensembles in Köln und München schon vielfach ausgezeichnet.
Um eine Illusion ärmer
Das spricht nicht gegen die Qualität der Auswahl – aber es nimmt eine Illusion fort, nämlich die, dass sich das Theater im Raum seiner vielen Möglichkeiten irgendwo immer, wenn man nur sorgfältig genug sucht, auch in eine neue Richtung entwickeln kann, andere Stoffe und Denkformen findet. Letztes Jahr war das so – dieses Jahr nicht.
Wo die Gegenwart der Auswahl aber doch ihren Stempel aufgedrückt zu haben scheint, zeigt sich in der Wiederbeschäftigung mit Autoren wie Hans Fallada („Jeder stirbt für sich allein“, Luk Perceval am Thalia Theater in Hamburg), Gerhart Hauptmann („Die Ratten“) und Bertolt Brecht („Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, Sebastian Baumgarten, Schauspiel Zürich). Es ist die soziale Kälte der Gegenwart, die Entsolidarisierung der Gesellschaft, die Dramaturgen und Regisseure nach diesen Texten greifen lässt. Sie zielen, wie Franz Wille es ausdrückte, über das Gestern ins Heute. Und so, wie die Jurymitglieder davon erzählten, taugen sie als analytisches Instrumentarium des Heute auch gerade dann, wenn sie den zeitlichen Horizont ihrer Entstehung mitreflektieren.
Und trotzdem ist das auch ein bedenklicher Befund – dass unsere Stadttheater keine anderen Texte als diese Klassiker haben, den aktuellen Problemlagen heute auf den Leib zu rücken.
Aber es gibt auch Tröstliches zu berichten, gerade auch was Autoren und den Rückblick auf das Theatertreffen angeht. Das wird seit 35 Jahren vom Stückemarkt begleitet, der noch kaum aufgeführte Autoren in szenischen Lesungen vorstellt. Beachtlich ist die Liste von denen, die bei diesem Stückemarkt Starthilfe erhalten haben und zu einer wichtigen Stimme der Literatur und des Theaters geworden sind – von Herbert Achterbusch und Volker Braun, über Thea Dorn, John von Düffel, Elfriede Jelinek bis Albert Ostermaier und Roland Schimmelpfennig. 30 dieser Autoren haben zum Jubiläum Kurzstücke geschrieben, die, wie Ivonne Büdenhölzer, die Leiterin des Theatertreffens, ankündigte, an drei Tagen hintereinanderweg vorgestellt werden. Das klingt doch, als wäre da doch viel Musik drin.
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