die wahrheit: Endstation Doha
Die Zukunft des Eisenbahnverkehrs – Die Deutsche Bahn im Orient.
Katar, im Jahr 2015. Muhammad al-Sadr steht auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Umm Said und wartet auf den Zug, der ihn zu seiner Arbeitsstätte in Doha bringen soll. Unbarmherzig brennt die Sonne auf den katarischen Wüstenbahnhof, doch der elegant gekleidete 29-jährige Manager des Staatskonzerns Qatari Diar ist kein bisschen nervös, und das, obwohl sein Zug schon über zwei Stunden Verspätung hat. In perfektem Englisch erklärt er dem Reporter, dass Zeit für den Araber keine Rolle spielt. "Kommt der Zug heute nicht, kommt er morgen, so Gott will!" Als der hochmoderne Pendelzug dann mit fünfstündiger Verspätung in Umm Said einläuft, steigt al-Sadr gutgelaunt in den klimatisierten Waggon. Glückliches Arabien, wo ausgeschlafene Menschen mit Gleichmut und Gelassenheit den Widrigkeiten des Bahnverkehrs zu begegnen wissen.
Die Deutsche Bahn hatte im Herbst 2009 auf ihrem internationalen Expansionskurs den Zuschlag für den größten Auftrag der Unternehmensgeschichte erhalten. Konzernchef Rüdiger Grube unterzeichnete in Doha Verträge zum Aufbau eines Schienennetzes für den Personen- und Güterverkehr in Katar. Das Emirat hatte vor, 17 Milliarden Euro zu investieren. Vorgesehen waren unter anderem eine 180 Kilometer lange Strecke nach Bahrain sowie ein Schienennetz von 325 Kilometern für den Güterverkehr. Nun, nach sechsjähriger Bauzeit, ist das Wunderwerk deutscher Ingenieurskunst fertig und hat die Erwartungen der technikbegeisterten Katarer in allen Punkten übertroffen.
Im Jahr 2009 war vereinbart worden, dass die eigens gegründete Qatar Railways Developement Company (QRDC) für alle Planungs- und Baumaßnamen verantwortlich zeichnet, während die DB Regio Katar unter der Leitung des früheren Bahnchefs Hartmut Mehdorn den Betrieb der Strecken übernehmen sollte. Mehdorn jedenfalls hat den Wechsel auf die arabische Halbinsel nur selten bereut. Heute bekennt er freimütig: "Der arabische Bahnkunde zeichnet sich durch eine ausgeprägte Leidensfähigkeit aus. Das sind Kunden, wie ich sie mir während meiner aktiven Zeit in Deutschland auch manchmal gewünscht hätte."
Nehmen wir die katarische Staatsbahn nun doch einmal näher unter die Lupe: Das rollende Material ist mit edelsten Materialien ausgestattet. Stromabnehmer aus Platin oder sandfarbene Ledersitze in den Abteilen gehören ebenso zum Standard wie vergoldete Klobrillen und diamantbesetzte Wasserhähne in den großzügig dimensionierten, beduinengerechten Zugtoiletten. Selbstverständlich spiegelt sich das autokratische Herrschaftssystem auch in den Wagenklassen wieder. Neben der der Herrscherfamilie al-Thani vorbehaltenen Executive-Klasse gibt es die 1. Klasse (nur für Männer), eine 2. Frauenklasse sowie die "Holzklasse" für Ungläubige und Arbeitssklaven.
"Good Morning, Ladies and Gentlemen. Im Namen der DB Regio Katar begrüße ich Sie herzlich an Bord des WE 3214 von al-Wakrah nach al-Khawr. Unser nächster fahrplanmäßiger Halt ist Doha. Die Mitarbeiter der DB Regio Katar würden sich freuen, Sie im Bistro-Treff zwischen der 1. und 2. Klasse begrüßen zu dürfen. Unsere Empfehlung des Tages: Linseneintopf "Tausendundeine Nacht" mit Halal-Frankfurter-Würstchen." Zwar erforderten die an den arabischen Gaumen angepassten Bistro-Spezialitäten der DB eine gewisse Umgewöhnung auf Seiten der Araber, doch mittlerweile haben sie an Leckereien wie Pichelsteiner Eintopf "Riad" oder Katarer Rippchen mit Sauerkraut durchaus Gefallen gefunden.
Auch die Preisgestaltung treibt Mehdorn jeden Tag aufs neue die Freudentränen in die Augen. "Hier regt sich niemand über eine Preiserhöhung auf. Der Scheich und seine Untertanen wissen unsere Mobilitätsdienstleistung zu schätzen. Es ist zum Beispiel durchaus üblich, dem Schaffner ein großzügiges Trinkgeld zu geben."
Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein - irgendwann ist auch für den leidensfähigsten Beduinen das Maß voll. Als der Wüstenexpress "Prinz Dschemal" kürzlich fünfzig Kilometer vor dem Bahnhof Umm Bab auf freier Strecke mitten in der Wüste stehen blieb, weil eine Wanderdüne den Schienenstrang unter sich begraben hatte und erst nach sechsstündiger Wartezeit der Schienenersatzverkehr mittels einer Kamelkarawane bereitgestellt werden konnte, kannte die Wut der hitzköpfigen Passagiere keine Grenzen. Hartmut Mehdorn wurde als Verantwortlicher des Desasters festgenommen und in den Kerker geworfen. Dort musste er bei Brot und Wasser vier Monate schmachten - bis die Wanderdüne den Schienenweg wieder freigegeben hatte. RÜDIGER KIND
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