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Pro und ContraWeihnachten in Deutschland verbringen?

Kommentar von N. Tenberg und R. Sotschek

Streit mit der Familie, schlechtes Wetter und vollgestopfte Züge – an Weihnachten Deutschland zu entfliehen, erscheint vielen wie der pure Luxus. Doch die Heimat hat auch ihre Vorteile.

Bringt einen leider nicht immer zum Zug: Der Weihnachtsmann. Bild: dpa

P ro

Das Wetter nervt, die Menschen sowieso. Der Körper leidet an akuter Überzuckerung und gelegentlich kommt Panik auf, wie das alles zu schaffen sein soll, mit dem Packen, den Geschenken, mit den Vorräten, die anzulegen sind, weil die Geschäfte zu dieser Zeit für moderne Zeiten undenkbar lang geschlossen bleiben. Blöd ist nicht, wer zur Weihnachtszeit mit dem Gedanken spielt, das Land zu verlassen. An den Strand nach Asien, zum Skifahren in die Alpen oder eben wie die junge niederländische Seglerin Laura Dekker in die Karibik. Aber lohnt sich das? Nein, ganz bestimmt nicht!

Zwar kann ein Weihnachtsfest weitab von der Heimat vielleicht vom Druck befreien, der damit einhergeht, ein Fest voller Erwartungen bestreiten zu müssen. Doch gleichzeitig liegt in dieser Flucht eine verpasste Chance. Nämlich die, endlich mal Frieden zu schließen, mit der Familie. Oder der Heimatstadt, in der man schon seit Jahren nicht mehr lebt und in die man aber zurückkehrt. Natürlich wirkt die hässlich, spießig und gar nicht wie ein Sehnsuchtsort. Aber sicher leben auch hier ein oder zwei Menschen, mit denen man gerne einmal im Jahr in glühweinseliger Atmosphäre zusammenkommt. Die verabreden sich sowieso schon seit Wochen über Facebook, wer möchte das also verpassen. Bleiben nur noch die Eltern, die Geschwister, die angeheiratete und auch die nachwachsende Familie. Mit denen kann man sich streiten, muss man aber nicht. Ich jedenfalls halte mich mit dem Dooffinden Ende Dezember zurück.

Darin, unkritisch zu sein, liegt auch ein Luxus, den sich eben nicht leistet, wer Weihnachten unbedingt verreisen möchte. Schließlich liegt in den jährlich wiederkehrenden Weihnachtsritualen, ja auch in der Diskussion um die Gans und den Wein, um den Baum und den Schmuck, etwas beruhigend Kontinuierliches.

Ich nehme das gerne an. Dafür muss ich nur das Wetter, die Überzuckerung, die Panik und das Packen aushalten. Meiner Meinung nach ein kleiner Preis dafür, dass mir meine hässliche Heimat wenigstens einmal im Jahr glanzvoll und festlich erscheint.

NATALIE TENBERG ist Redakteurin im Kultur- und Gesellschaftsressort der taz, taz zwei.

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Contra

Weihnachten ist überall lästig, aber im Gegensatz zu Deutschland macht man in Irland das Beste draus. In Deutschland herrscht zu Weihnachten Kontaktsperre. Die jungen Leute fahren pflichtschuldig zu den Eltern und richten sich auf drei Familientage ein, abgeschottet von der Außenwelt und ohne Fluchtweg. Man sieht ihnen die Angst an, wenn sie sich auf deutschen Bahnhöfen zum Weihnachtstransport sammeln: Sie sehen aus "wie eine besiegte Armee" (W. Droste).

In Dublin geht man am Heiligabend auch zum Bahnhof - aber aus anderen Gründen. In den Zügen vom Land ist ein Waggon für die Truthähne reserviert. Dort hängen sie, mit dem Kopf nach unten, an Eisenhaken und haben ein Namensschildchen ums Bein gebunden. Dabei handelt es sich um den Namen der Dubliner Familie, der das Tier von der bäuerlichen Verwandtschaft zum Verzehr geschickt wurde.

Am Abend geht es zum Vorglühen ins Wirtshaus. Am ersten Weihnachtsfeiertag sind die Pubs geschlossen, aber dafür haben die Iren einen schönen Brauch erfunden: Die halbe Nation ist vormittags unterwegs, um die andere Hälfte zu besuchen und sich gemeinsam, bei einem Gläschen Hochprozentigen, auf das Festmahl vorzubereiten. Der Truthahn kommt diesem Weihnachtsumtrunk sehr entgegen. Man schiebt den Vogel vormittags in die Bratröhre und muss sich nicht mehr um ihn kümmern, bis er gar ist - im Gegensatz zur deutschen Weihnachtsgans, die ständig beschöpft werden muss. Außerdem gibt ein Truthahn mehr her, man braucht sich in den nächsten Tagen nicht um das Mittagessen zu kümmern, sondern vertilgt die Reste. Zwar sieht das Tier in rohem Zustand recht hässlich, fast anstößig aus, so dass man ihm am liebsten ein Leibchen überziehen möchte, aber wenn es aus der Bratröhre kommt, bietet es einen stattlicheren Anblick als ein Gänschen.

"Wirklich eine abstoßende Institution, dieses Weihnachten", hat der Dubliner Schriftsteller George Bernard Shaw einmal geschrieben. "Wir müssen uns vollfressen und betrinken, nur weil Weihnachten ist." Das ist ja das Gute an irischer Weihnacht.

RALF SOTSCHEK ist Irlandkorrespondent der taz und lebt in Dublin.

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12 Kommentare

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  • V
    vic

    @ Raphael,

     

    Ein Kommentar, der (leider) wohltuend aus dem Rahmen fällt.

    Danke, und viel Spaß - wobei auch immer.

    vic

  • R
    Raphael

    Herrje, manchmal geht einem doch glatt die Hutschnur hoch, wenn man sich die Kommentare der taz-Leser hier anschaut:

     

    Der eine holt sich einen runter, weil er den Redakteure endlich mal (vermeintliche) Fehler im Gebrauch der deutschen Sprache nachweisen kann, dabei offenbaren diese Erbsenzählerei und ihre Diktion lediglich Fehler im eigenen Charakter. Nicht mal Weihnachten kann man solche "schwerwiegenden Fehltritte" verzeihen...

     

    Die anderen, die konventionell Weihnachten begehen, werden sofort als "Spießbürger" diffamiert und anderweitig angefeindet. Na wenn das alles ist, was einem zum Spießbürger macht...

     

    Und dann melden sich noch die zu Wort, die anhand dieser kleinen Texte den allgemeinen Verfall der taz entdecken wollen, anstatt einfach mal dankbar zu sein, dass wie das Schumacher- Comeback und der harmlose Benedikt-Zwischenfall keinerlei Erwähnung findet, anstatt hier genauso wie bei den anderen "Qualitäts"-Medien bis zum Erbrechen ausgeschlachtet zu werden.

     

     

    Aber wahrscheinlich ist jeder Tag, an dem niemanden ans Kreuz nageln kann, ein verlorener Tag. Gerade an Weihnachten, gel?

  • P
    Peterchen

    Deutsche Weihnacht=großer Mist.

    Weihnacht bei anderen (Nichtdeutsche)=alles toll.

     

    Wer so denkt, der sollte einsehen dass nicht die deutschen Weihnachten schlimm sind, sondern lediglich er selbst ein unausstehlicher Miesepeter ist ... der dann natürlich auch allen anderen die Feiertage versaut, mit seiner krampfhaften Schlechtmacherei.

     

    Also ich hatte einen tollen heilige Abend mit der Familie, gleich gehts mit einem Festessen weiter.

    Von Streit keine Spur, auch Panik hat niemand.

     

    ... Aber vielleicht liegt das auch an Thüringen und das Deutschland wo es Horror-Weihnachten gibt ist nur die ehemalige BRD.

  • Y
    yakitora

    Die Iren haben eben einen Sinn fürs praktische: hl. Abend vorglühen, den Weihnachtstag mit'm Hochprozentigen beginnen, dann richtig gut essen, und schon ist stille Nacht. ;-)

  • AE
    A. Elisabeth

    manchmal beschleicht mich, besonders wenn ich solche artikel lese, doch irgendwie der eindruck, dass die taz nicht mehr so recht weiß, worüber sie eigentlich noch schreiben könnte.

    über die weihnachtstage sind dann wahrscheinlich alle qualitäts-journalisten aufgebraucht, und die pausenfüller schreiben halt irgendwas, damit was geschrieben wird.

     

    armes deutschland!

  • R
    reblek

    "Das Wetter nervt, die Menschen sowieso." Was nervt,ist eine solche, nämlich falsche, Ellipse: "Die Menschen nervt."

     

    "... weil die Geschäfte zu dieser Zeit für moderne Zeiten undenkbar lang geschlossen bleiben." Sie sind wohl eher "lange" geschlossen, denn "lang" ist ein Raummaß.

     

    " ... bei einem Gläschen Hochprozentigen, auf das Festmahl vorzubereiten." Ich empfehle "bei Hochprozentigem".

  • GR
    Guntram Rücker

    Lieber Heinrich, mach Dir keine Illusionen, das biografische Zeitfenster ohne die Rituale hast Du schon genutzt, nun geht alles so weiter. Erst müssen die Eltern bzw. Schwiegereltern versorgt werden bis sie in die Ewigkeit eingehen, dann kommt die Tochter wieder nach Hause und bringt Freund, später Enkel mit. Ein Leben ohne Weihnacht wirst Du nicht mehr erleben! Finde Dich in Dein Schicksal!

  • T
    Thomas

    Trotz aller Pro- und Kontra-Argumente wünsche ich der TAZ-Redaktion und der Leserschaft ein Frohes Fest!

  • V
    vic

    Die Frage stellt sich für mich nicht, zum Reisen braucht man Geld.

    Außerdem gibt es nichts Schlimmeres, als Deutsche im Ausland zu treffen, die es lustig finden dort Weihnachten zu feiern.

  • MZ
    Mao Zedong

    Lieber Herr Flor, Ihr Weihnachten wird so ablaufen: Tannenbaum schmücken, Ankunft der Schwiegereltern, Besuch des Weihnachtsgottes-dienstes, Essen, Bescherung. Denn die Tochter kommt ja über Weihnachten heim ins Elternreich. Mithin ist Ihr angebliches Gespanntsein doch wohl nur Verzweiflung ob der eigenen geistigen Ödnis. Oder Sie fürchten, dass Sie allein mit Ihrr Frau dasitzen und kein Wort kommt mehr aus dem Mund heraus bzw. der Fernsehkasten ersetzt das Gespräch und das "Gewunsel" der Kinder. Daher ein gut gemeinter Rat: Einfach mal die Schwiegereltern via Telefon ausladen, die Frau in den Tannenbaum schubsen und in eine echt versiffte Speluke einkehren, um den Abend mit falschen Freunden und hochprozentigen Wässerchen ausklingen zu lassen: Es lohnt sich!

  • W
    wuff

    Herr Flor,

     

    sind Sie etwa ein Spießbürger, wie er im Buche steht?

     

    Es gibt doch hundert Möglichkeiten oder mehr, Weihnachten zu verbringen, in Deutschland kennt man halt nur zwei davon und hält sich krampfhaft daran.

     

    Frohes Fest.

  • HF
    Heinrich Flor

    Bis zur Geburt unserer Tochter habe ich es strikt abgelehnt so Weihnachten zu feiern wie meine Eltern. Seitdem ist der Ablauf dieses Festes jedes Jahr gleich: Tannenbaum schmücken, Ankunft der Schwiegereltern, Besuch des Weihnachtsgottes-dienstes, Essen, Bescherung usw. Ich bin ja sehr gespannt wie dieser Tag ablaufen wird, wenn unsere Tochter nicht mehr zuhause wohnt und noch keine Enkel um den Baum wunseln?