Sport im geteilten Deutschland: Binationale Kampfzone

Eine Ausstellung zeigt, wie sich die beiden deutschen Staaten in den 50er-Jahren im "großen und kleinen Sportverkehr" begegneten, oft ohne ideologische Barrieren

Diese Tafel sollte die DDR-Athleten im Leistungszentrum in Kienbaum bei Berlin vor den Olympischen Spielen 1980 motivieren. Bild: punctum/bertram kober

LEIPZIG taz | Das Erste, was einem auffällt, ist ein großes Plakat mit einer Trainingsjacke. Der Reißverschluss ist nicht ganz hochgezogen. Links von ihm ist die Jacke blau und "DDR" ist da in weißen Großbuchstaben aufgestickt. Darunter ist das Wappen dieses untergegangenen Staates zu sehen: Hammer, Zirkel und der Ährenkranz auf schwarz-rot-goldenem Grund. Rechts ist die Jacke in Weiß gehalten und mit dem Bundesadler versehen. "Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland" steht unten auf dem Plakat geschrieben - am Eingang des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Das sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch gut gemacht. Eine Sportausstellung also ist hier im Ableger des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.

Um was geht es da in den mehr als 1.100 Exponaten, die in mühevoller Sammelarbeit in über zwei Jahren zusammengetragen wurden? Um das legendäre Sparwasser-Tor bei der Fußball-WM 1974 in Hamburg vielleicht oder um den Zieleinlauf zwischen Heide Rosendahl und Renate Stecher zwei Jahre zuvor bei den Olympischen Sommerspielen in München? Zwei von vielen Sportereignissen, die sinnbildlich für die deutsch-deutsche Sportgeschichte stehen. Sportdramen, die sich im kollektiven Gedächtnis der seit zwanzig Jahren wiedervereinten Nation tief eingegraben haben. Es geht, das vorab, aber um viel mehr. Um mehr als nur um die Anhäufung und Darstellung solcher Sportfossilien.

Die Ausstellung beschreibt den Sport und seine Entwicklung in Gänze und mit all seinen Facetten. Als eine Art binationale Kampfzone mit hoher Erlebnisdichte, als emotionale wie ideologische Kraftquelle beider deutscher Staaten. Und das Spannendste daran sind seine Anfänge im geteilten Deutschland bis zum Mauerbau 1961. Die Zeit des Wiederaufbaus des Sports in Zeiten des Kalten Krieges, seine Etablierung, die ersten Erfolge, die gemeinsamen Wettkämpfe, die Rückschläge, der "große und kleine Sportverkehr", wie es offiziell genannt und vertraglich manifestiert wurde. Merkwürdigerweise ist über diese Phase der deutsch-deutschen Sportbeziehung bis heute nur wenig bekannt. Dabei ist sie die lebhafteste und spannendste zugleich, auch wenn ein gemeinsamer historischer Fixpunkt wie beispielsweise das Sparwasser-Tor fehlt.

Über 1.100 deutsch-deutsche Sportbeziehungen pro Jahr gab es bis zum Mauerbau 1961. Oft spielten sie sich unspektakulär dies- und jenseits der staatlichen Sportideologie und Staatsgrenzen ab. In Sporthallen in Kleinstädten beim Freundschaftsvergleich zwischen Turnern und Handballern oder in großen Fußballarenen wie dem Leipziger Zentralstadion. Hier trafen sich am 6. Oktober 1956 der amtierende DDR-Meister Wismut Karl-Marx Stadt und der mit nicht weniger als fünf Weltmeistern von 1954 bestückte 1. FC Kaiserslautern zu einem Freundschaftsspiel. Über 100.000 Zuschauer strömten ins Stadion. Ein bis heute gültiger Nachkriegsrekord in Deutschland für ein Fußballspiel. Fritz Walter gelang ein legendäres Hackentricktor und das Match endete 5:3 für das Spitzenteam aus dem Westen, was gar nicht so wichtig war. Bei solchen Aufeinandertreffen von Sportlern aus dem geteilten Deutschland war kaum etwas zu spüren von der höchst unterschiedlichen Ausrichtung des Sports in Ost und West.

"Mit Sport ist gut Politik machen", das hatte der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, in den Fünfzigerjahren schnell erkannt. Er, der sich selbst gerne als Sportler stilisierte, gab die Instrumentalisierung des Sports offen als Ziel aus und propagierte es, wo immer es massenwirksam ging. "Der Sport sollte beim Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft helfen, ihr dienen, sie etablieren und die Menschen für diesen neuen Gesellschaftsentwurf begeistern", sagt Michael Barsuhn, der als Historiker diese Leipziger Ausstellung mitgestaltet hat.

"Sportler sein ist gut. Sportler und fortschrittlicher Mensch sein ist besser", so hieß die Losung der SED, die ihre erst 1957 gegründete Sportorganisation, den Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB), fest im ideologischen Griff hatte. Im Westteil wollte man den Sport politikfrei und unabhängig halten, was aber nur leidlich gelang. So unterstützte der bereits 1950 gegründete Deutsche Sportbund (DSB) die Bundesregierung unter Kanzler Adenauer in ihrem Anspruch, die alleinige Vertretung Deutschlands zu sein. Trotzdem förderten beide Seiten den deutsch-deutschen Sportaustausch. Und gerade deshalb war die von der BRD betriebene Isolierung der DDR in ihren frühen Jahren vielleicht nirgendwo sonst so aufgebrochen wie im Sport. Zwar nahmen DDR-Sportlerinnen und Sportler weder an den Olympischen Winterspielen 1952 in Oslo noch an den Sommerspielen im selben Jahr in Helsinki teil oder an der Fußball-WM in der Schweiz zwei Jahre später. Doch schon seit 1950 kooperierten die Sportfachverbände eifrig. Es gab erste gesamtdeutsche Meisterschaften oder seit 1951 sogar eine erste gesamtdeutsche Mannschaft der Tischtennisspieler. Das war durchaus im Sinne der offiziellen DDR-Doktrin, der die gemeinsamen Teams bis Mitte der 50er-Jahre prima in die rhetorische Wiedervereinigungsoffensive passten. Erst dann änderte die DDR ihren Kurs. Sie fürchtete die "Infiltration" ihrer Botschafter im Trainingsanzug durch den Klassenfeind. Auch dem Deutschen Sportbund missfielen die gesamtdeutschen Mannschaften mehr und mehr. Willi Daume, DSB-Präsident, plädierte ab 1954 dafür, die DDR-Sportverbände international anzuerkennen.

In den Sportarten der Leichtathletik wie dem Radsport waren die gesamtdeutschen Teams bei internationalen Wettkämpfen populär und beliebt. Die Fans in Ost und West sahen sogar im gemeinsamen Mannschaftssport das national verbindende Element und erhofften von ihm eine politische Signalwirkung für eine zukünftige Wiedervereinigung. Die SED instrumentalisierte zunächst diese Botschaft: Die ostdeutschen Sportler waren angehalten, im persönlichen Gespräch mit ihren westdeutschen Sportkameraden SED-Losungen ("Deutsche an einen Tisch") heranzutragen. Der Westen jedoch wollte sich dieses Politisierungsgebaren nicht mehr gefallen lassen. Der gesamte deutsch-deutsche Sportverkehr wurde im Herbst 1952 von Seiten der BRD aufgekündigt. Erst als die DDR zwei Monate später im "Berliner Abkommen" auf den politischen Missbrauch des Sportverkehrs verzichtete, kam der Freundschaftsspielverkehr wieder ordentlich in Gang. Jedoch hielt auch diese Entwicklung nicht lange vor. Mitte der Fünfzigerjahre schwenkte die SED auf einen eigenstaatlichen Kurs um. Ein propagandistisches "Spielen um die Einheit" hatte nun für die SED seinen Zweck verloren. Trotzdem zog die DDR-Sportführung ihre Mannschaften aus dem deutsch-deutschen Spielverkehr nicht zurück. "Die Fünfzigerjahre waren geprägt durch ständige Kurswechsel auf sportpolitischer Ebene beider Seiten", sagt der Sporthistoriker Barsuhn. Auch das macht die Ausstellung so spannend. Zu sehen ist sie noch bis zum 5. April im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig.

Die Ausstellung "Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland" ist bis zum 5. April 2010 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische Straße 6, 04109 Leipzig

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