Kommentar Schneechaos: Just in time
Auf Kante genähte Quartalsprognosen versagen, wenn auch nur eine Variable anders ausfällt als erwartet. Und kurzfristiges Denken rächt sich langfristig.
V ordergründig geht es um fehlendes Streusalz, Minusgrade und empfindliche Technik. Die bundesweite Kältewelle sei, so wird allenthalben behauptet, ein außerordentliches und unberechenbares Phänomen. Oder es zeige sich, wie empfindlich unsere hochtechnisierte Lebensweise auf Störungen reagiert.
Die Deutungen sind nicht ganz falsch. Doch hinter diesen Erscheinungen steckt mehr: Die Engpässe bei der Straßenreinigung, bei ICE-Zügen und Stromversorgung offenbaren einen Mangel an vorausschauendem Denken bei Behörden und Unternehmen.
Nehmen wir drei Beispiele: Private Firmen bauen nur so viel Salz ab, wie sie im kommenden Winter zu verkaufen glauben. Lagerhaltung ist teuer. Für die Schnellzüge, die über Weihnachten auf der Route Berlin-München ausfielen, gab es keinen adäquaten Ersatz. Reservezüge kosten Geld.
ist Parlamentskorrespondent der taz
Und als vor vier Jahren Strommasten im Münsterland unter der Eislast umknickten und hunderttausende Menschen Weihnachten bei Kerzenlicht verbringen mussten, da hatte der Stromkonzern RWE die andernorts übliche Verlegung der Kabel unter die Erde versäumt. Weil so etwas Kosten verursacht, aber keinen Ertrag bringt.
Doch dieses Kurzfristdenken ist falsch. Firmen und Behörden unterliegen gewiss dem Zwang, immer neue Einsparmöglichkeiten auszumachen. Wer aber diesen Spardruck nüchtern den langfristigen Folgen gegenüberstellt, kann mitunter - Geld sparen.
Straßenreparaturen im Frühjahr, ausgefallene Arbeitsstunden von Pendlern im Stau, Behandlungskosten für gestürzte Passanten, aber auch erzürnte Bahn- und Strom-Kunden, die den Anbieter wechseln - all dies verursacht messbare Kosten und gehört zu einer Gesamtrechnung dazu.
Auf Kante genähte Quartalsprognosen versagen, wenn auch nur eine Variable anders ausfällt als erwartet. Und kurzfristiges Denken rächt sich langfristig.
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