: Gefühle laufen heiß
ROMANTIK Jane Campions Film „Bright Star. Meine Liebe. Ewig“ erzählt von der Liebe zwischen dem Dichter John Keats und der Schneiderin Fanny Brawne
VON ANDREAS BUSCHE
Ruhig und gleichmäßig fädelt sich die Nadel durch die feinen Stoffe. Die Bewegungen sind geschickt und zeugen von Routine. In der Kunstfertigkeit der Handgriffe wird die Liebe zum Material sichtbar; die verspielten Details – Verzierungen, Schleifen, Rüschen, Säume – verleihen den Formen individuellen Charakter.
Die Arbeit am Material besitzt eine Anmut, von der die beiden Männer am Tisch hinter Fanny nur träumen können. Während die junge Frau in ihre Stickerei vertieft ist, brüten der junge John Keats und sein Mentor Charles Brown in einer anderen Ecke des Raumes gemeinsam über einem Gedicht. Von der Leichtigkeit des poetischen Schaffensprozesses ist wenig zu spüren.
In der hermetischen Männerwelt schwerer Gedanken wirkt Fanny wie ein Fremdkörper. Dieses Bild aus Jane Campions neuem Film „Bright Star“ beruht noch auf ganz traditionellen Vorstellungen von Arbeitsteilung: Frauen sind für die häuslichen Arbeiten zuständig, während die Männer die Kopfarbeit verrichten. Es liegt an Fanny, die materiellen Verhältnisse klarzustellen. Auf einen abfälligen Kommentar Browns entgegnet sie schnippisch, dass ihre Näherei wenigstens keine brotlose Kunst sei.
Fanny ist bereits weiter
Fanny Brawne (von Abbie Cornish wunderbar feinfühlig gespielt) ist für Jane Campion eine eher untypische Figur. Die Frauenfiguren der neuseeländischen Regisseurin befinden sich im ständigen Widerspruch mit ihren gesellschaftlichen Rollen; aber noch keine von ihnen hat sich mit einer solch ungezügelten Leidenschaft über die Verhältnisse erhoben. „Bright Star“ erzählt von Fannys dreijähriger Liebesbeziehung zu dem englischen Romantiker John Keats (Ben Whishaw) bis zu dessen Tod im Frühjahr 1821. Eine Affäre, die dank intensiver Briefwechsel für die Nachwelt dokumentiert ist.
Weil dem zu Lebzeiten verkannten Keats die finanziellen Mittel fehlten, stand es ihm nicht zu, um Fannys Hand anzuhalten. Zudem steckte die britische Klassengesellschaft im Zeitalter der Vernunft fest; die Männer hatten Probleme damit, ihre Gefühle zu zeigen. Emotionale Ersatzhandlungen findet Campion in der Kunst. Keats’ Gedichte beschreiben eine Gefühlswelt, die auszuleben er nicht imstande ist. Fanny ist da bereits weiter. Ihre extravaganten Kreationen, jede für sich ein Blickfang in modernistisch-schlichtem Design, deuten an, dass sie ihren eigenen Kopf hat, der nicht so recht ins Bild der Zeit passen will. Diese Unbedingtheit macht sie im Vergleich mit Keats zur weit interessanteren Figur des Films. Fanny ist nicht bereit, die strikte Trennung zwischen ihrer Umwelt und ihrer Gefühlswelt hinzunehmen.
Am Rande des Klischees
Jane Campion wagt sich mit „Bright Star“ weit auf das Terrain von Jane Austen vor, nicht zuletzt weil sie sich eines Bilderrepertoires bedient, das man etwas vorschnell als abgeschmackt bezeichnen könnte. Visuell laviert „Bright Star“ am Rande des Klischees: sommerliche Lichtschleier über einer lavendelfarbenen Blumenwiese, das Flattern von Schmetterlingsflügeln, die Berührung der Liebenden durch geschlossene Wände, während sich die verschlungene Sprache Keats um die somnambulen Bilder von Campions Kameramann Greig Fraser rankt. Alles unheimlich geschmackvoll, delikat und manchmal auch hochgradig manieriert.
Die atemlose Erregung ihrer Figuren rührt jedoch nicht von der geistigen Enge eines Milieus oder von den korsettverstärkten, hochgeschlossenen Kleidern der Damenwelt her. Soziale Konventionen spielen in „Bright Star“ eine untergeordnete Rolle. Campions Film schwelgt vielmehr in der Leidenschaft der jungen Liebenden, insbesondere der Fannys, die sich ihren Gefühlen mit stolzer Unerschrockenheit ausliefert. Einmal verwandelt sie ihr Zimmer in ein Schmetterlingshaus, während sie einen Brief ihres Geliebten erwartet. Wie absolut diese Gefühle sind, zeigt sich, als der Brief nicht die ersehnte Antwort bringt. Von der Fantasiewelt der jungen Frau bleibt nur ein Haufen zusammengekehrter Falter übrig.
„Bright Star“ verweigert sich dem Pathos des Kostümdramas durch eine bewunderungswürdig kontrollierte Inszenierung und durch Whishaws und Cornishs zurückhaltendes Spiel. Oft genügen eine einfache Geste oder ein ruhiger Blick in die Gesichter der Darsteller. Auf Cornish lastet dabei die größere Verantwortung. Hochgradig emotionale Frauenfiguren sind seit je ein Klischee des Hollywood-Melodrams. Campion gesteht dieser Emotionalisierung dagegen emanzipatorische Qualitäten zu, weil Gefühle, wie Fanny sie auslebt, in einer stark repressiven Gesellschaft zu einem Akt der Befreiung werden. Diese Erkenntnis verleiht den heißlaufenden Gefühlszuständen in „Bright Star“ eine seltene Aufrichtigkeit.
■ „Bright Star. Meine Liebe. Ewig“. Regie: Jane Campion. Mit Ben Whishaw, Abbie Cornish u. a. Großbritannien u. a. 2009, 120 Min.
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