Grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert: "Bremen hat gar kein Fett"
Eine andere Haushaltspolitik ist möglich, findet Karoline Linnert. Für den Fall weiterer schwarz-gelber Steuersenkungen droht Bremens grüne Finanzsenatorin allerdings mit Verfassungsbruch.
taz: Frau Linnert, macht Bremen noch Haushaltspolitik?
Karoline Linnert: Natürlich.
Naja, die Bürgerschaft hat nur zwei Promille des Haushalts-Entwurfs für 2010 verändert…
Ab 2020 müssen Bund und Länder laut Grundgesetz ohne Neuverschuldung auskommen. Um das den Haushaltsnotlageländern zu ermöglichen, hatte die Föderalismuskommission 2009 jährliche Hilfen in Höhe von 800 Millionen Euro beschlossen.
Davon erhält Bremen 300, das Saarland 260 sowie Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt je 80 Millionen Euro.
Einnahmen von 3,2 Milliarden erwartet Bremen 2010 - 899 Millionen Euro weniger als Ausgaben.
Von den 4,1 Milliarden Euro Ausgaben entfallen 405 Millionen auf Investitionen, 651 Millionen auf Zinszahlungen.
…das zeigt, wie eng die Spielräume in Bremen sind.
Ja eben: Und im kommenden Jahr bestimmt den Haushalts-Entwurf neben der Wirtschaftskrise auch noch der Bund mit. Lässt sich da noch von Politik machen sprechen?
Nicht, wenn man unter Politik machen versteht, immer mehr Geld auszugeben. Ich denke allerdings, dass Politik machen, auch Umbau und Umverteilung bedeutet. Und da geht so Einiges…
…selbst wenn der Bund mitredet?
Die Kontrolle durch den Bund beschränkt sich auf den Finanzrahmen. Wir schließen darüber ein Abkommen. Das wird uns einen Konsolidierungspfad bis 2020 auferlegen, damit wir ab dann ohne neue Kredite auskommen.
Wenn ein Flächenland eine Stadt unter Haushalts-Aufsicht stellt, prüft die übergeordnete Behörde jede einzelne Ausgabe.
So wird das bei uns nicht. Wir werden ein Finanztableau verabreden. Das heißt, es wird festgelegt, wie viel Schulden wir in den Jahren ab 2011 machen dürfen, so dass in zehn gleichen Schritten bis 2020 das Staatsdefizit auf Null sinkt.
Also - erstens: Die Wohnungsbaugesellschaft verkaufen, zweitens: …?
Nein, das ist ausgeschlossen. Wer so etwas behauptet, schürt nur Ängste. Weder wird uns der Bund auferlegen, Vermögen zu veräußern oder den Notruf für vergewaltigte Frauen einzustellen, noch wird er uns verbieten, Kindergartenplätze zu schaffen. Das darf er gar nicht. Die Länder sind verfassungsrechtlich eigenständig, was ihre Finanzpolitik angeht. Daran wird nicht gerüttelt.
Ach, de jure bestimmt doch auch die aktuelle Bürgerschaft eigenständig über den jeweiligen Haushalt - bloß ist der schon weitgehend verplant, allein die Zinsaugaben liegen bei 651 Millionen Euro. Wäre das keine Entmachtung?
Gesellschaftspolitisch kann diese Dimension der Vorverpflichtungen nicht richtig sein: Wir binden Geld über Jahrzehnte hinweg durch lange Verträge und Kapitaldienstfinanzierung, so dass die Menschen nach uns absehbar noch viel weniger Spielräume haben werden. Das finde ich falsch. Ich denke, wir müssen es schaffen, Nein zu sagen, auch wenn wir einen Vorschlag supertoll finden - eben weil wir wissen, dass es nach uns die Leute ausbaden müssen.
Schwierig.
Ja, Menschen funktionieren nicht so. Ich ärgere mich oft, weil häufig sehr bedenkenlos Entscheidungen getroffen wurden, die Spielräume für die Zukunft so einengen. Das ist eine Frage der Geisteshaltung: Kriege ich das hin, mir selber Beschränkungen aufzuerlegen? Da müssen wir alle besser werden.
Na, dann mal los mit den Sparvorschlägen: Wie heißen Bremens zehn Schritte zur Konsolidierung?
Wir wollen das schaffen, indem wir nur einen Teil des für die kommenden Jahre zu erwartenden Steuerwachstums für unvermeidliche Ausgaben verwenden. Und nicht alles!
Lässt sich das auch weniger technisch formulieren?
Ich versuche ja gerade dem Glauben entgegenzuwirken, dass man sagt: Wir brauchen jetzt einschneidende Maßnahmen, groß und spektakulär und blutig und tabulos - und dann haben wir das Geld zusammen. Das ist ja mehr so FDP-Niveau. Aber so wird es nicht kommen.
Sondern?
Es geht wirklich darum, zehn Jahre lang dafür zu sorgen, dass die Staatsausgaben kaum höher sind, als im Vorjahr. Mir ist klar, dass sich das bei Inflation, Tarifsteigerungen und wachsenden Sozialausgaben nur schaffen lässt, wenn man in einigen Bereichen kürzt - gerade wenn man noch politische Schwerpunkte setzen will.
Und das reicht, damit Bremen ab 2020 keine neuen Schulden aufnehmen muss…?!
Leicht wird das nicht. Aber ich glaube, es schadet dem Kopf nicht, sich Gedanken darüber zu machen, wie man mit den vorhandenen Ressourcen zurecht kommen kann. Für Grüne ist das eine Selbstverständlichkeit.
Bloß beruht die Kalkulation auf einem erwarteten Steuerwachstum…
Ja. Wir nehmen die Planzahlen des Bundes. Die sind ehrgeizig ...
… oder illusorisch: Wie sollen Steuern wachsen, die man senkt?
Das sind eben die zentralen Punkte: So weit ich weiß, will die schwarz-gelbe Koalition die Steuern um weitere 24 Milliarden senken. Und durch den Bildungsgipfel stehen uns wohl weitere Ausgaben ins Haus.
Und dann?
Wenn wir die Auflagen einhalten, bekommt Bremen neun Jahre lang 300 Millionen Euro. Das ist viel Geld. Aber: Wenn uns ständig neue, ideologische Steuersenkungen die Geschäftsgrundlage zerstören, dann können wir das gar nicht schaffen. Dann müssen wir dankend verzichten.
Ja aber - die Schuldenbremse steht doch im Grundgesetz …!
Was von uns verlangt wird, ist ehrgeizig genug. Man kann jetzt nicht auf unsere Kosten weitere Mätzchen machen. Hamburgs Finanzsenator Michael Freytag hat gesagt: Da wird mit dem Fett der Länder das Kotelett des Bundes gebraten. Ein wahrer Satz - bloß: Bremen hat gar kein Fett.
Hoffentlich ist wenigstens die Pfanne beschichtet.
Bestimmt. Die wurde mal angeschafft in der Zeit, als noch ordentlich investiert wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution