Kommentar Haiti: Die zweite Phase der Hilfe

Die meisten Haitianer überleben heute dank gegenseitiger Solidarität, nicht dank auswärtiger Hilfe. Wer Haiti effektiv helfen will, sollte die Haitianer in den Mittelpunkt stellen.

Humanitäre Katastrophenhilfe in schwachen Staaten gehorchen ihren eigenen Gesetzen: Zunächst hat niemand einen Überblick, kostbare Tage vergehen mit Informationsbeschaffung. Ist dann das Ausmaß der Not klar, rollt die Hilfsmaschinerie an. Es werden Spenden gesammelt - und unzählige Regierungen, Organisationen und Hilfswerke konkurrieren um die Deutungshoheit und das Handlungsmonopol. Ist die Phase der akuten Not vorbei, beginnt die langfristige Versorgung.

Haiti befindet sich heute in der zweiten dieser drei Phasen. USA, EU, UNO, Haitis Regierung und Hilfswerke liefern sich gegenseitig einen Wettlauf um die Erdbebenopfer. Die einen setzen auf die effektivste Hilfe, die anderen auf die sichtbarste Präsenz. Das US-Militär ist konkurrenzlos, was das schnelle und massive Einfliegen von Hilfsgütern angeht. Die UN-Mission ist dazu nicht in der Lage wegen der Unmöglichkeit, ihr unter anderen Bedingungen definiertes Mandat und ihre Einsatzregeln dem neuen Umfeld schnell anzupassen. Die erfahrensten Hilfswerke arbeiten lieber ganz ohne Militär. Die meisten Haitianer überleben heute dank gegenseitiger Solidarität, nicht dank auswärtiger Hilfe.

Daraus ergeben sich auch unterschiedliche Deutungsmuster für Haitis Katastrophe. Kommandanten eines Militäreinsatzes achten vorrangig auf die Sicherheitslage, nicht auf die Notlage. So wartet jetzt alle Welt gebannt auf Plünderungen und Übergriffe seitens der verzweifelten Bevölkerung. Die Haitianer werden zu potenziellen Störern in ihrer eigenen Hilfe. Bald dürften auch die Wiederaufbauplanungen für Port-au-Prince ohne die Betroffenen gemacht werden, von einer geschwächten Regierung, die sich auf internationale Gewehre verlässt und der die eigene Bevölkerung nicht traut. Auch dies gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen humanitärer Katastrophen in schwachen Staaten. Wer Haiti effektiv helfen will, sollte die einfachen Haitianer in den Mittelpunkt stellen.

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