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Kolumne Die ChartsWollen Sie noch Tiere essen?

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Die Charts mit der Serie: Was im 21. Jahrhundert wirklich zählt. Folge 2: Fleisch.

U nlängst kaufte ich am Bahnhof eine Zigarre und rauchte sie dann zu Besuch bei Menschen, die da gar nicht drauf stehen. Sie dachten lange, ich mache einen Witz. Das war auch so. Auf eine Art. Soll heißen: Ich mache viele Dinge, obwohl sie scheiße sind. Oder weil. Eins allerdings beschäftigt mich gerade so sehr, dass ich erwäge, es bleiben zu lassen. Und das ist Fleisch essen. Genauer gesagt: Tiere essen.

Klar ist: Ich werde nicht einfach damit aufhören, um den Klimawandel zu begrenzen. Nach der Logik: Eigentlich super, aber jetzt müssen wir leider wegen CO2-Vermeidung auf das Essen von Tieren und speziell Kühen verzichten. Ich werde auch nicht aufhören, um Hunger und Elend zu verringern, weil für ein Kilo Kuh zehn Kilo Getreide und unzählige Liter Wasser draufgehen. Die entscheidende Frage ist auch nicht: Ist es richtig, so Tiere zu essen, wie es in unseren bürgerlichen und proletarischen Massentierhaltungsgesellschaften getan wird? (Die Antwort ist eh klar.) Und auch nicht: Ist es überhaupt richtig, Tiere zu essen? (Das wird im 21. Jahrhundert nicht auszudiskutieren sein.) Die entscheidende Frage lautet: Ist mir und uns auch morgen noch danach, Tiere zu essen?

Z. B.: Es gehört schlicht zu meiner eingeübten Kultur und Vorstellung von einem guten Leben, dass man Schnitzel essen geht. (Auf keinen Fall aber Innereien.) In Deutschland. Nun das Spannende: In Kalifornien ist das anders. Meine Frau und meine Tochter sind Flexitarierinnen, d. h., sie leben zu Hause weitgehend fleischfrei. Beide ernähren sich in den USA komplett ohne Fleisch (ohne Fisch sowieso). Ich habe in vier Wochen dreimal zu den Spiegeleiern Bacon-Streifen bestellt. Ansonsten Humus-Bagel. Pasta. Salate. Ab und zu einen Getreide-Burger mit Fries.

marco limberg

Peter Unfried ist Chefreporter der taz.

Es war nicht mal so, dass wir Fleischfreiheit als kategorischen Urlaubsimperativ ausgegeben hatten. In dem kalifornischen Haus stand selbstverständlich neben dem Surfboard auch ein Grill auf der Veranda. Das Grillen von Tierteilen gehört da auch in der bildungs-, ernährungs- und klimabewussten Mittelschicht zum Lebensstil. Und doch: Die Tage vergingen und am Ende waren sie fleischfrei gewesen. Die Gedanken und die Träume übrigens auch. Und dann landeten wir in Berlin, und ich dachte an Schnitzel. Und meine Tochter fuhr zu ihrem Metzger-Opa und haute sich eine gleich mal eine Riesencurrywurst rein.

Da stellt sich die Frage: Wie kommt es, dass wir an einem anderen Ort einen fleischfreien Lebensstil begehrenswert finden? Offenbar ist es in anderer Umgebung leichter, Lebensstilprägungen zu hinterfragen und neue auszuprobieren. Vielleicht ist das ja übertragbar und man kann einen neuen geistigen Ort für eine gesellschaftliche Überarbeitung unserer Ernährungskultur (und entsprechende politische und wirtschaftliche Allianzen) schaffen.

Ja, aber. Was wird aus Argentiniens BIP, was aus dem Großvater meiner Kinder und vor allem: Was wird aus meinen geselligen Schnitzelabenden? Tja. Es geht darum, sich kulturell so zu entwickeln, dass Veränderungen nicht als Freiheitsberaubung verstanden werden. Um mal mit einem Missverständnis aufzuräumen: Die derzeit herrschende Kultur ist ja in Wahrheit die Kultur des unbewussten Verzichts - des Verzichts auf ausgeblendete Aspekte von Lebensqualität und Teile der Zukunft. Die Frage ist demnach nicht: Was dürfen wir noch? Die Frage ist: Was wollen wir?

Für unseren einzigen echten Familienvegetarier war das nie ein Thema. Er ist 2000 geboren und lebt unaufgefordert und unaufgeregt die zeitgemäße Esskultur des 21. Jahrhunderts. Here, There and Everywhere.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

10 Kommentare

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  • N
    Nachbar

    Ich antworte hartmut 27.01.2010 11:09 Uhr

     

    Die Liebe zu Dir selbst (zB gesund leben) ist das Klügste was wir alle auch für uns tun können. Denn daraus folgt als natürlicher Impuls die Liebe zu allen anderen und der Welt. (Niemand täte da irgendjemanden – Mensch und Tier – was er/sie selbst auch nicht will, dass man ihm/ihr tut) Damit wäre mein Kommentar im Grunde zu Ende. Doch ich denke, ein paar Differenzierungen machen es heller:

     

    Niemand tut innerhalb des Kontexts seiner Modellvorstellung von der Welt irgend etwas, das "falsch" ist. (= Der Zweck heiligt immer alle Mittel – für sich oder die verbundene Interessengruppe – siehe FDP).

    Da zB Konzerne durch ihre Aktienbesitzer verpflichtet sind, immer Maximalgewinn zu erwirtschaften, ist Ausbeutung und Umweltzerstörung, die logische Konsequenz, wenn das Unternehmen sich kaufmännisch "clever" ernähren will und nicht sich ständig über eventuelle Kurs-Mangelerscheinungen und die damit notwendigen PR-Ergänzungen Gedanken machen will. Ihnen mangelnde Moral vorzuwerfen, kann nur zur Entgegnung führen: "..wie war noch mal das Wort...?"

    Auch bei der Tieresserdiskussion geht es nicht um Moral. Es geht um uns: Wer wollen wir sein? Wer sind wir, was tun wir, solange wir das Problem ausblenden/verdrängen?

     

    Kant erinnert imperativ an das Bedenken der Folgen der eigenen Entscheidung: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde". Solltest Du das akzeptieren (muss niemand), weißt Du, dass Fleisch nicht für alle Menschen reichte, wie für Dich jetzt. Und Tierfolter, täglicher millionenfacher Tiermord, Gülleverseuchung, CO2, Hungertote durch Tierfutterproduktion, Pharmastoffe im Nahrungsmittel und Umwelt, Energieverbrauch u.a. müssten sich vervielfachen.

     

    Lieber hartmut, die Frage für Dich selbst heißt doch: Willst Du so einer sein, für den sowas getan wird (= Mittäter, nicht nur Mitläufer) - und nicht nur, wie geht es mir maximal gut auf Kosten anderer und der Welt?

     

    Ich denke, Du bist wie wir alle wunderbar und ganz liebenswert.

    Lebe das doch einfach. Dann wirst Du ohne Sorge um Deine Ernährung – weil die dann nicht mehr aus der Sorge kommen wird, wie offensichtlich jetzt – gesund leben.

    Falsch ernähren kann man sich als Fleischesser/in, Vegetarier/in und Veganer/in.

    Gesund und ausgewogen kann man sich ernähren als Fleischesser/in, Vegetarier/in und Veganer/in.

    Und doch ist es jeweils nicht das Gleiche.

     

    Sich ständig Gedanken um etwas machen, dass ist bei allen Sachen immer nur am Anfang so. Später ist alles normal alltäglich und anders kaum mehr denkbar. Wie Deine Ernährung jetzt.

  • V
    vic

    Nein, ich esse schon sehr lange keine Tiere mehr, und das Gerede von Mangelerscheinungen ist Blödsinn.

    Ich als Sportler habe jedenfalls keine bemerkt.

    Außerdem spielte die Furcht vor Mangelerscheinungen bei meiner Entscheidung keine Rolle.

    Ich achte nur Leben - jedes.

  • A
    Angela

    Aus www.vegetarisch-leben.ch

    Dieses Buch erläutert schon seit Jahren, dass der Konsum von Fleisch, Fisch und tierischen Produkten unserer Umwelt schadet, hier eine kleine Lesekostprobe, das Buch ist auch online lesbar auf der oben genannten Adresse:

     

    Fleisch ernährt wenige auf Kosten vieler, denn für die Produktion von Fleisch wird wertvolles Getreide, das die Menschen direkt ernähren könnte, an Tiere verfüttert; in Europa sind das etwa 60% des erzeugten Getreides. Laut amtlichen Angaben des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten werden in Amerika über 90% des angebauten Getreides an Schlachttiere (Rinder, Schweine, Schafe, Hühner usw.) verfüttert. Oder anders ausgedrückt: An die Schlachttiere Amerikas wird jährlich mehr Getreide verfüttert, als die Bevölkerung von Indien und China zusammengenommen zur Ernährung braucht! (aus: Das Brot des Siegers, S. 27)

     

    Weltweit gesehen, wird mindestens ein Drittel der gesamten Getreideernte an Vieh verfüttert. Von der Getreidemenge, mit der man 100 Schlachtkühe ernährt, könnte man 2000 Menschen Nahrung bieten.

     

    Alle Schlachttiere auf der ganzen Welt zusammengenommen verbrauchen eine Futtermenge, die dem Kalorienbedarf von 8,7 Milliarden Menschen entspricht – das ist mehr als die gesamte Weltbevölkerung!

     

    Dieses Verfahren, hochwertige pflanzliche Nahrungsmittel in Fleisch umzuwandeln, ist über alle Maßen verschwenderisch, denn Fleischproduktion ist, was Nahrungsmittelerzeugung betrifft, die schlechteste Form der Bodennutzung: Um ein Rind ein Jahr lang zu mästen, benötigt man 0,5ha Land. Nach einem Jahr erhält man von diesem Tier rund 300kg eßbares Fleisch. Hätte man während dieses Jahres auf derselben Fläche Getreide oder Kartoffeln angepflanzt, hätte man (mit Bio-Anbau) mindestens 2000kg Getreide bzw. 15000kg Kartoffeln ernten können!

     

    Anders ausgedrückt: Ein einziges Steak von 225 Gramm enthält soviel Pflanzenenergie, wie benötigt wird, um einen Tag lang rund 40 hungernde Menschen zu ernähren!

  • N
    Nachbar

    Ich antworte hier auf:

    26.01.2010 16:06 Uhr

    von imation: "Wollen Sie noch Tiere essen?"

    Ja, weil es mir schmeckt und ich keinerlei moralische Probleme damit habe.

     

    Deine Antwort können als gespeicherten Textbaustein auch andere bequem nutzen, zB

    Vergewaltiger:

    "Wollen Sie noch Frauen und Kinder vergewaltigen?"

    Ja, weil es mir Spaß macht und ich keinerlei moralische Probleme damit habe.

     

    Banktäuber/innen:

    "Wollen Sie noch weiter Banken ausrauben?"

    Ja, weil ich Geld brauche und ich keinerlei moralische Probleme damit habe.

  • C
    Christine

    Seit acht Jahren esse ich kein Fleisch mehr und ich vermisse es nicht einen einzigen Tag.

    Als ich mit dem Fahrrad an einer Kreuzung warten musste, stand hinter mir ein Schweinetransporter und ich hörte die Schreie der Tiere. Von dem Moment an war es vorbei. Bis heute (21 Jahre alt) bin ich in meiner Familie die einzige Vegetarierin.

     

    Auch indem man ein Tier verzehrt, kann man es wertschätzen. Diesen Gedanken kann ich durchaus nachvollziehen.

    Aber wenn Leute sagen, dass sie kein Kaninchen oder Lamm essen, weil sie dann immer an die niedlichen kleinen Tiere denken müssen, sich stattdessen Salami-Pizza im Restaurant bestellen oder beim Bäcker ein Mettbrötchen kaufen, dann ist das nur eins: feige! Es fehlt an dem nötigen Bewusstsein, wie das Steak, was es im Supermarkt zu kaufen gibt, eigentlich produziert wird. Wer sich Bilder aus Massentierhaltungen ansieht und nicht davor die Augen verschließt, der kann auch solches Fleisch essen.

     

    In meiner Familie habe ich immerhin durchgesetzt, dass nur noch Fleisch aus artgerechter Tierhaltung gekauft wird.

  • NS
    na sowas

    geil,

     

     

    genau aus das prädige ich auch immer, es geht nicht um den ganzen fress die tiere nicht, brot für die welt und so... nein, viel mehr das es auch ohne geht!!

     

    hab gedacht ich wer alleine.. mit der ansicht!!!

  • H
    hartmut

    "Wollen Sie noch Tiere essen?"

     

    Ja, weil es mir schmeckt und ich keinerlei moralische Probleme damit habe. Und weil ich mich ausgewogen ernähren will und nicht mir ständig über eventuelle Mangelerscheinungen und die damit notwendigen Nahrungsergänzungen Gedanken machen will.

  • C
    c.s.

    nein, fleischessen macht doof, schädigt die dna und gene.

     

    http://fleischverbot.info

  • DA
    Detlef Arndt

    Es ist erst mal sicherlich eine rein individuelle Entscheidung, wie jemand damit klar kommt Tiere zu essen. Ich habe es seit 1980 gelassen und bin danach in den Veganismus eingestiegen. Davor verbrachte ich etliche Zeit damit, mir auszumalen, wie man am besten Fleisch essen könnte, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Irgend wann ging es allerdings einfach nicht mehr, da ich mich als Kriegsdienstgegner, nun auch mal als Pazifist verstand.

     

    MfG vom Anti-Jagd Blog:

    http://anti-jagd.blog.de/

     

    http://tierrechte.blog.de

  • I
    imation

    "Wollen Sie noch Tiere essen?"

     

    Ja, weil es mir schmeckt und ich keinerlei moralische Probleme damit habe.