Plüsch, der in die Kälte kam

Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Eine nicht mehr zeitgemäße Geschichte neu aufbrechen: Joachim Schlömer inszeniert „Die Fledermaus“ von Johann Strauß an der Bonner Oper

VON FRIEDER REININGHAUS

Die Geschichte der „Fledermaus“ stammt aus der Sphäre der Spekulanten, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts andere und sich, dann auch die zuvor in gewisser Weise solidarische Bürgerlichkeit und am Ende sogar die Operette ruinierten. Dass die Begierden eines Herrn wie Gabriel Eisenstein – mit oder ohne „von“, dass Lust und Leid der Damen vom Schlage Rosalindes oder die Sehnsüchte der Adeles und Idas freilich nur schnöde und öde seien, entspringt der Sicht des fortgeschrittenen Regie-Theaters auf die Belle epoque, die ja Wien als Hauptstadt der Donaumonarchie die letzte bedeutende Zufuhr der Prachtentfaltung bescherte. Vor deren – gewiss fragwürdigem – Hintergrund ist das Stück zu sehen, sind die sich erhebenden Wirren, Wirbel und Walzermelodien, diese streckenweise hinreißenden, dann aber immer wieder auch denkwürdig gebrochenen Strudel der Musik zu hören.

Der musikalische Leiter Roman Kofman hat kein Händchen für den Wiener Effet des luziden Tonsatzes von Johann Strauß. Im besten Fall sorgt er dafür, dass das Beethoven Orchester Bonn korrekt begleitet und dass es bei den Einsätzen nicht allzu vernehmlich klappert. Die Ouverture, dies Zauberding zwischen Melancholie, Rausch, Kater und Katzenjammer, wird von Musikern exekutiert, die Dienst an einem ihnen nicht erschlossenen Notentext tun und kein Herz für die göttlich-abgründige Melange haben, die so verteufelt schwer zum quirligen (und doch nicht überdrehten) Leben zu erwecken ist. Das Sänger-Ensemble kann sich teilweise über die Niederungen des Grabens erheben: Daniel Ohlmann gibt den halbseidenen Neureichen mit dem nötigen Quantum Schmelz – mit trügerischer Naivität glaubwürdig – und Donát Havár den Heldentenor aus k.k.-Zeiten genau als die Nervensäge, die er zu sein hat. Ein wirklicher Lichtblick ist das Streben des Stubenmädchens Adele nach Höherem auf dem Feld von Musik und Darstellender Kunst: Anna Virovlansky beglaubigt durchweg, dass sie mit ihrer Methode, die Männer für ihre Karriere einspannen zu wollen, das Leben verfehlen wird.

Der Bühnenbildner Jens Kilian hat für die Sphäre der Eisensteins eine überzeugende Lösung gefunden: ein senkrecht gestellter roter Teppich, eine Art Flokati mit übertrieben dicken Fäden, versperrt die Bühne. Aus Schlitzen, deren Anzüglichkeit theatral genutzt wird, treten die Protagonisten und greifen auch ein paar Hände zu viel nach weiblichen Brüsten. Überhaupt hat es Joachim Schlömer mit dem Busengrapschen. Der Choreograph kontrahierte die Figuren des Gefängnisdirektors Frank und seines Schließers Frosch zu einer, die die Handlung und das Wienerische von Anfang an und in Häppchen bis Ende zum Ende vorm Hintergrund der Operetten-Tradition kommentiert. Und so wird, ohne ihre Finessen selbst zu nutzen, die Handlung indirekt erzählt. Bei Orlofsky ist amerikanischer Abend und nix ruuusisch – der Prinz selber mit dem abgehalfterten Louis Gentile als Bud-Spencer-Typ besetzt und das Gefängnis findet einfach gar nicht erst statt.

Unverkennbar bleibt der Wille Schlömers, die als nicht mehr zeitgemäß erachtete Geschichte auf- und umzubrechen. Der Mangel dieser „Fledermaus“-Produktion liegt auf dramaturgischem Gebiet. Denn die Triebhaftigkeit, von der das Stück handelt, ist so akut wie die Blindheit und der Egoismus der Akteure oder die groteske Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem schönem Schein und den Abgründen von Ökonomie, Recht und Ordnung.

23. November, 19:30 UhrInfos: 0228-778008