Ehrenmorde: "Das Problem besteht noch genauso"
Durch den Tod Hatun Sürücüs entspann sich eine breite gesellschaftliche Debatte über "Ehrenmorde". Das Schlaglicht hilft den betroffenen Frauen, meint Sabine Wagenfeld, aber die Hilfe greife zu kurz.
taz: Frau Wagenfeld, was hat sich nach dem Mord an Hatun Sürücü für Frauen in ähnlichen Lagen geändert?
Sabine Wagenfeld: Vor allem gab es eine Sensibilisierung der Betroffenen. Auf der einen Seite war natürlich die Angst der jungen Migrantinnen: Das könnte mir auch passieren. Auf der anderen Seite wurden durch die damaligen Diskussionen die Möglichkeiten der Hilfe betroffenen Frauen näher gebracht. Und auch die Umwelt ist sensibilisiert, offensichtlich misshandelte Frauen werden öfter von Bürgern angesprochen und auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht. Das Hilfesystem wurde seitdem verstärkt in Anspruch genommen.
Und auch ausgebaut?
Sabine Wagenfeld arbeitet bei Zuff e.V., Zufluchtswohnungen für Frauen aus Not- und Gewaltsituationen: (030) 694 60 67, Soforthilfe auch in türkischer Sprache.
Die Menschenrechtsarbeit für Frauen und die Anti-Gewalt-Arbeit sind seitdem weit stärker vernetzt - in der türkischen Community gibt es starke Bemühungen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Die Stadtteilmütter haben sich als qualifizierte Ansprechpartnerinnen etabliert, der Verein Hatun&Can, der zu Ehren der Getöteten gegründet wurde, bietet ehrenamtlich unbürokratische und schnelle Hilfe. Mehrsprachigkeit wird immer öfter angeboten im Frauenhilfesystem.
Somit ist also das Problem gelöst?
Zwangsheiraten und Gewalt gegen Frauen, die sich der Oberherrschaft des Patriarchats nicht beugen, gibt es noch genauso, das Problem wird nur besser beleuchtet. Es gibt zwar einen Fokus auf die Opfer von Zwangsheiraten, aber diese Hilfe greift zu kurz. Unser Etat ist seit Jahren mehr oder weniger eingefroren. Und die Jugend- und Familienhilfe werden beständig gekürzt, dabei sind das doch mit die einzigen Zugänge in problematische Familien. An die betroffenen Frauen heranzukommen, ist meist sehr schwer.
Was bleibt zu tun?
Vor allem sollte der Status der Betroffenen beachtet werden. Gewalt gegen Frauen und Kinder kommt ja auch in deutschen Familien vor. Was die Situation für Migrantinnen dramatischer macht, ist ihr ungesicherter Aufenthaltsstatus. Dadurch wird die Abnabelung weit schwieriger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!