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Umstrittene MassentierhaltungHähnchenfabriken rücken vor

Nachdem sie sich im Westen von Niedersachsen breit gemacht haben, dringen die Mastanlagen nun auch im Osten vor. Als Türöffner fungiert ein Riesen-Schlachthof im Landkreis Celle.

Der geplante Riesen-Schlachthof in Wietze stinkt der dortigen Bürgerinitiative gewaltig. Bild: dpa

"Billigfleisch aus Wietze versaut die Region!" steht auf einem Transparent, das ein Gegner des geplanten Schlachthofes in der Hand hält. Rund 200 Demonstranten machen ihrem Unmut Luft. Das war in der vergangenen Woche, kurz bevor der Gemeinderat von Wietze im Kreis Celle für die Ansiedlung des Mega-Schlachthofes in dem Heideörtchen stimmte - mit einer Gegenstimme des einzigen Grünen-Ratsherrn.

Ähnlich wird es wohl auch morgen aussehen. Dann entscheidet der Rat, ob der Flächennutzungsplan für das Areal geändert wird. Mehr als zweieinhalb Millionen Tiere pro Woche sollen dort getötet, zerlegt und verpackt werden. Bis zu 400 Mastställe in der Umgebung wären nötig, um den Bedarf der Fabrik zu decken. Von "Emslandisierung" sprechen die Gegner - von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen die Befürworter.

Investor Franz-Josef Rothkötter, Chef von "Emsland Frischgeflügel", kann die Kritiker nicht verstehen: "Von bestimmten Kreisen ist ein Gespenst an die Wand gemalt worden." Der Schlachthof im Kreis Celle sei gut für die Region, meint Rothkötter. Wer anders denke, habe "ideologisch vorgefertigte Meinungen".

In seinem Schlachthof im westniedersächsischen Emsland beschäftigt Rothkötter nach eigenen Angaben mehr als 1.000 Menschen. So viele könnten es irgendwann einmal auch in Wietze sein. Wietzes Bürgermeister Wolfgang Klußmann (CDU) empfängt Rothkötter mit offenen Armen: "Ich glaube, es wäre ein historischer Fehler, diese Möglichkeit an Wietze vorbeiziehen zu lassen." Wenn der Konzern aus dem Emsland nicht im Kreis Celle investieren würde, dann ginge er in einen der Nachbarkreise.

Die Mitglieder einer Bürgerinitiative hoffen dennoch, den Großschlachthof stoppen zu können. "Wir werden mit rechtlichen Mitteln gegen den Schlachthof vorgehen", sagt BI-Sprecherin Gabriele Ruschmeier. Derzeit sammelt sie Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Die Chancen stehen eher schlecht: Gerade mal 80 Mitstreiter konnte die BI am vergangenen Wochenende zu einer Demo in die Celler Innenstadt bewegen. Die Mehrheit der rund 8.500 Wietzer schweigt. Widerstand regt sich allerdings auch an Standorten der geplanten Mastanlagen, die den Schlachthof beliefern sollen. "Bei uns entstehen keine Arbeitsplätze, dafür aber Gestank", sagt Hugo Voges, Ortsbürgermeister von Hämelerwald an der Grenze zum Landkreis Peine. Dort plant ein Landwirt einen Stall für rund 39.500 Hähnchen. Voges will, dass wenigstens Filter eingebaut werden. Viel Aussicht auf Erfolg hat er mit dieser Forderung aber nicht - Filteranlagen sind gesetzlich nicht vorgeschrieben. Und der Landkreis Peine muss den Bau nach eigenen Angaben genehmigen. "Wenn der Antragsteller die Formalien einhält, hat er einen gesetzlichen Anspruch darauf", sagt eine Kreissprecherin.

Die Mastanlage in Hämelerwald soll etwas weniger als 40.000 Tiere fassen. Damit ist sie gerade so klein ausgelegt, dass das Genehmigungsverfahren ohne Beteiligung der Öffentlichkeit abläuft. Bürger haben dadurch etwa keine Chance, in die Planungsunterlagen zu schauen. Auch die meisten der ansonsten geplanten Ställe in Ostniedersachsen sind für etwas weniger als 40.000 Tiere ausgelegt. Das hat System. "Bei einer Öffentlichkeitsbeteiligung zieht sich das Verfahren hin", sagt Michael Arens von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Die Grünen im Niedersächsischen Landtag forderten unlängst, die Widerspruchsrechte von Bürgern, Kommunen und Verbänden zu verbessern - und die Lebensbedingungen der Tiere in den Mastanlagen. Die Betreiber haben allerdings wenig zu befürchten. Im Landtag lehnten CDU und FDP mit ihrer Mehrheit den Grünen-Vorstoß ab.

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7 Kommentare

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  • K
    Kleinbauer

    Leute, nicht jammern sondern Fleisch, Obst und Gemüse beim ländlichen Erzeuger und Direktvermarkter kaufen. Alles andere hilft nix, die kapieren es nie.

  • AR
    Antje Reifferscheidt

    Da hilft nur Boykott. Letzten Endes kommt billige Fleischproduktion teurer... Antibiotika & co machen es ungesund und geschmacklos und auch Hühnerfleischfabriken- abgesehen von der unnötigen Tierquälerei- führen zum abholzen der Wälder ...

    Wer sich selbst achtet, mutet einem anderen Lebewesen keine solchen torturen zu. was ich nicht will, das man mir tu, das füg´ich keinem anderen zu.

  • EW
    Eckard Wendt, AGfaN e.V.

    Zum Kommentar von Antonietta muss richtigstellend gesagt werden, dass die Fa. Rothkötter die CO2-Betäubungsanlage von Storck also bislang keine Elektrobad-Betäubung anwendet. Letztere hat den Nachteil, dass es immer wieder einigen Tieren gelingt, den Kopf nicht in das bad gelangen zu lassen. Sie werden dann bei Bewusstsein entblutet. Das kann bei der CO2-Betäubung nicht passieren. Allerdings hat dieses Verfahren den Nachteil, dass sich das Gas in Verbindung mit der Feuchtigkeit der Atemwege zu Kohlensäure wird, einem stark reizendem Gas, das schlimme Todesängste auslöst. Diese Phase dauert etwa 20 Sek.

    Ergänzend zu meinem Kommentar und vorstehender Anmerkung möchte ich noch darauf hinweisen, dass Fleisch von Tieren, die unter den ihnen zugemuteten schlechten Haltungs- und Betäubungsbedingungen so viel negative Energie in ihrem Körper angesammelt haben, dass ihr Fleisch bei ganzheitlicher Betrachtung nur minderwertig sein kann.

  • A
    Antonietta

    Nur fünf Wochen Lebenszeit werden einem Masthähnchen zugestanden. Ein Quadratmeter ist der gesamte Lebensraum für 25 Tiere. Bis zu 8 Prozent, das sind jährlich rund 3 Millionen Tiere, sterben bereits während der Mast. Die Schlachtung bei völlig unzureichender Betäubung im Elektrobad beendet ein elendes Leben voller Qualen.

  • EW
    Eckard Wendt

    Die von Rothkötter und Bürgermeister Klußmann (Wietze) verfolgte Strategie setzt auch steigenden Geflügelabsatz. Dabei erkennen immer mehr Menschen, daß der "Gummiadler" aus deutschen Landen nicht das Maß aller Dinge sein darf. Produziert wird er auf Kosten der Umwelt und der Menschen, nicht nur hier bei uns, sondern auch z.B. in Brasilien, woher zumindest der Eiweißträger Soja, aber auch weitere Futtermittel wie Weizen importiert werden. Dass aber eben dort 25% der Bevölkerung unterernährt sind und viele von ihnen an den Folgen ihrer Unterernährung sterben, das berücksichtigt der Unternehmer Rothkötter in seinem ideologischen Schema nicht ... er selbst hungert ja nicht!

    Schon jetzt ist abzusehen, dass der hiesige Markt die zusätzlichen Masthühner nicht abnehmen kann. Aber auch das braucht Herrn Rothkötter nicht zu beunruhigen, weil er zunächst die Preise "wegen Überangebots" herabsetzen kann und gegebenenfalls die Produktion auf der Stufe der Mäster anpassen, also Ställe leer stehen lassen wird. Die Mäster aber müssen, ohne Einnahmen zu haben, ihre für den Stallbau aufgenommenen Kredite bedienen. Pleiten sind da vorprogrammiert! Und wenn alle Stränge reißen und es auch für Herrn Rothkötter ans Eingemachte geht, wird er unisono mit seinen ebenfalls auf Wachstum geeichten Konkurrenten Wesjohann (Wiesenhof) und Stolle nicht nur EU-Subventionen fordern, sondern auch erhalten. Dass durch subventionierte Exporte der Binnenmarkt der Importländer kaputtgemacht wird, stört Herrn Rothkötter ebenfalls nicht, denn er lebt ja hier und nicht als armer Schlucker in Kamerun, Sierra Leone oder ...

  • H
    hannah

    Abertausende fuehlender Lebewesen auf engstem Raum, Massentoetungen als Alltag, und das Hauptargument gegen diese Mordanlage ist die Geruchsbelaestigung. Typisch deutsch (ohne Intention der Gleichsetzung mit anderen deutschen Verbrechen - es geht mir hier um die absolut egozentrische Ignoranz gegenueber dem Unrecht in der Nachbarschaft. Beziehungsweise die froehliche Mitwirkung, etwa durch den Verzehr, der in dere taz-Auflistung von Toetung, Zerlegung und Verpackung fehlt. Und das bleibt sich in dieser Gesellschaft offenbar immer gleich).

  • L
    Lars

    Schlachthöfe, moderne Massenvernichtungsbetriebe.

     

    Wenn man sonst keine Sorgen hat als sich wegen Billigproduktion" aufzuregen. Schlachtbetriebe bieten weitaus umfangreichere Angriffspunkte. Angefangen damit, dass sie Millionen Leben vernichten um der imaginären Überlegenheit menschlicher Tiere anderer Tierarten gegenüber Ausdruck zu verleihen und um die menschliche Dekadenz weiter zu fördern.