Schräglage mit Currywurst

Lessing für die Pisa-Generation: Arte zeigt „Emilia Galotti“ als trendy Berlin-Soap mit Originaldialogen (20.40 Uhr)

Das Original ist bekannt: Prinz Hettore verliebt sich in ein frommes Bürgermädchen, obwohl doch längst beschlossen ist, dass das rechtschaffene Fräulein selbigen Tages den Grafen Appiani heiraten soll! Verstört rennt es nach Hause, berichtet alles der Mutter und wirft sich brav dem Verlobten an den Hals. Hettores Kammerdiener hat aber bereits einen Hochzeitsverhinderungsplan in petto: Er inszeniert einen Überfall auf die Kutsche und lässt Emilia von Pseudorettern auf Hettores Lustschloss bringen. Appiani kostet diese Attacke leider das Leben, und die Verlobte des Prinzen sowie der Brautvater tun das Übrige zum tragischen Ausgang der Geschichte. So ist das in Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“.

Es gibt vermutlich nicht viele Menschen, denen dabei auf Anhieb Parallelen zum heutigen Berliner Gaststättengewerbe und zu schöngeistig veranlagten Nachtklubbesitzern einfielen. Immerhin: Der Berliner Regisseur Henrik Pfeifer ist einer von ihnen. „Lessings ‚Emilia Galotti‘ “, gab er zu Protokoll, „verkörpert für mich den Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit.“ Diesen Kampf hat er in einen Film mit dem schlichten Titel „Emilia“ übertragen, in dem Menschen im heutigen Berlin ihre Dialoge genauso sprechen, wie Lessing sie aufgeschrieben hat.

Und das geht so: Emilias Mutter (Daniela Zähl), stolze Besitzerin des Ristorante Galotti, steht in der Kneipenküche, trocknet Besteck ab und fragt den Beikoch: „Wer sprengte da in den Hof?“. Der Beikoch antwortet: „Unser Herr, gnädige Frau.“ Man muss wissen, dass die gnädige Frau, die jetzt verzückt „Mein Gemahl, ist’s möglich, so unvermutet?“ ruft, am Vorabend figurnah aufgerüscht mit ihrer Tochter in einem Nachtklub verkehrte. Glücklicherweise wurde dort nicht gesprochen. Sonst hätte die Minirock-Emilia (Ivonne Schönherr) ihre coole Mama nämlich siezen müssen. Im Club jedenfalls wird der vom Monarchen zum Staatsschauspieler und Klubbesitzer umgesattelte Hettore (Felix Lampe) auf das Partygirl Emilia aufmerksam.

Falls die Konfrontation Lessing’scher Sprache mit Jeansjackenträgern, Currywurstessern und Klubgirlies zur Verbesserung der Pisa-Ergebnisse beitragen sollte: Nur zu! Wer der Pisa-Generation entwachsen ist, kann sich ja immer noch an der Komik erfreuen, die die Schräglage zwischen Text und Bild mit sich bringt (und an der die größtenteils überzeugenden Schauspieler wenig Schuld tragen). Oder am pittoresken Berlin: Bei den spiegelnden Friedrichstraßen-Fassaden, den begehbaren Dächern und der innenarchitektonischen Klubcoolness müsste es jedenfalls mit dem Teufel zugehen, wenn der alte Lessing nicht auch noch zum Werbeträger für Reisebusunternehmen geeignet wäre! Christine Wahl