Die heterogene Protestbewegung

OPPOSITION Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi sind die Führer der „Grünen Bewegung“. Doch nicht alle teilen ihre Ziele

BERLIN taz | Seit der umstrittenen Präsidentenwahl im Juni dauern die Massenproteste der Opposition im Iran an. Offenbar haben all die Repressionsmaßnahmen, tausende Festnahmen, Folterungen und Vergewaltigungen in den Gefängnissen, denen 79 Menschen zum Opfer fielen, Schauprozesse und erzwungenen Geständnisse es nicht vermocht, die Protestierenden zum Schweigen zu bringen. Wohin werden diese Proteste führen, wie kann es weitergehen?

An der Spitze der Protestbewegung, die den Namen „Grüne Bewegung der Hoffnung“ trägt, stehen zwei gestandene Männer der Islamischen Republik. Mir Hossein Mussawi war neun Jahre lang unter Revolutionsführer Ajatollah Chomeini Ministerpräsident, und der geistliche Mehdi Karrubi stand zwei Perioden lang als Präsident dem Parlament vor.

Beide bekennen sich nach wie vor zur Verfassung der Islamischen Republik, keiner von ihnen hat bislang das System des Welayat-e Faghieh, die absolute Herrschaft der Geistlichkeit in Frage gestellt. Ihr erklärtes Ziel ist die Reform des islamischen Staates. Das Schwergewicht zwischen islamisch und Republik, Begriffe, die sich eigentlich widersprechen, soll auf Republik gelegt werden. Dies würde letztendlich auf die Einschränkung der Macht des Revolutionsführers und des Wächterrats hinauslaufen.

Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass nur ein Teil der Millionen, allen voran der Jugendlichen und Studenten, die an den Demonstrationen teilnehmen, sich mit diesen Zielen identifizieren. Die Protestbewegung ist heterogen. Ein großer Teil hat längst dem gesamten System den Rücken gekehrt und strebt eine andere Staatsordnung an, eine demokratische, ideologiefreie Republik. Es gibt auch linke Gruppierungen, die bereits offen erklären, dass ihr Weg weit entfernt liegt von dem Mussawis und Karrubis.

Dennoch scheinen die Protestierenden, bis auf wenige Ausnahmen, sich auf Forderungen geeinigt zu haben, die von allen Seiten akzeptiert werden. Konkrete Forderungen wie freie Wahlen, Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung, Aufhebung der Zensur und Auflösung der Sittenpolizei, Verbot der Einmischung der militärischen und paramilitärischen Kräfte in die Politik nutzen sowohl jenen, die meinen, den islamischen Staat reformieren zu können, wie jenen, die einen anderen Staat anstreben. Solange Mussawi und Karrubi nicht umfallen und bei diesen Forderung bleiben und solange andere Gruppen sich mit radikalen, umstürzlerischen Forderungen zurückhalten, kann das ungeschriebene Bündnis aufrechterhalten werden. Versuche der herrschenden Macht, die Protestbewegung zu spalten, sind bisher allesamt gescheitert. Die Gefahr ist, dass die Verschärfung der Repressalien die gesamte Bewegung so radikalisiert, dass die Gemäßigten auf der Strecke bleiben und in die Arme der Macht zurückgetrieben werden. BAHMAN NIRUMAND