GLAUBEN: Gänsehaut in Gröpelingen

Mit einer "Jugendkirche" will die evangelische Kirche Heranwachsende ansprechen, die nichts mit ihr anzufangen wissen. Dafür investiert sie über eine halbe Million Euro

Action in "Eden 2.0" Bild: cja

Es ist so voll, dass in den Gängen Papphocker aufgeklappt werden, die vom Kirchentag im Mai übrig geblieben sind. Seit langer Zeit dürfte die einstige Gröpelinger Philippuskirche nicht mehr so viele Gottesdienstbesucher gesehen haben. Im Mittelgang ist ein Kreuz aus Blumenbeeten aufgebaut, die Gäste sollen dort Osterglocken-Setzlinge einpflanzen um "die Kirche aufblühen zu lassen." Durch die Stuhlreihen laufen Mädchen und verteilen Knetgummi: Jeder soll "etwas von sich" kneten und zur Erinnerung an die Eröffnungsfeier an ein großes Holzkreuz kleben.

Vor über fünf Jahren beschloss die Bremer Evangelische Kirche (BEK), eine Kirche "von und für Jugendliche" einzurichten. Vor 18 Monaten räumte die Philippusgemeinde das Feld, um dem Projekt Platz zu machen. Am Samstag nun eröffnete der "Garten Eden 2.0", so heißt die Jugendkirche, in die die BEK bis 2013 über eine halbe Million Euro investiert. "Wir danken für den Mut, hier Prioritäten gesetzt zu haben", sagt zu Beginn des Gottesdienstes Projektleiterin Almut Schmidt.

"2.0", das spielt an auf die neue Generation des Internets mit seinen Blogs und Social Networks, in dem die Hierarchie von Konsumenten und Produzenten aufgehoben ist. Ähnlich will die Jugendkirche sein - kein Pfarrer, die Jugendlichen selbst sollen entscheiden, was passiert, Finanzhoheit inklusive. Landesjugendpfarrerin Ruth Fenko gelobte Zurückhaltung. "Macht Euren Kram alleine - unseren Segen habt ihr", bescheidet sie den meist jungen Gästen. Die sollen aus der Kirche einen "Ort größtmöglicher Kommunikation" machen, hofft BEK-Cheftheologe Renke Brahms.

Kommunikation mit der Jugend, daran mangelt es der Kirche wie an kaum etwas anderem. "Vielen Jugendlichen heute ist die Institution Kirche von vornherein fremd und deshalb gleichgültig - sie wollen sie nicht einmal mehr verändern", fand eine Studie des Rates der Evangelischen Kirche heraus. Die Kirche sei "auf dem religiösen Markt für Jugendliche nur noch eine Anbieterin für Sinnfragen neben anderen." Sie könne "auf keinen Bonus rechnen und nur wenig voraussetzen."

Entsprechend groß sind die Hoffnungen, die nun in die Jugendkirche gesetzt werden. Schon seit einigen Wochen proben dort rund 30 Jugendliche ein Musical, heute führen sie einen Ausschnitt daraus auf, der die alttestamentarische Geschichte des Esau inszeniert.

Dann kommt eine Habenhauser Bibelrockband auf die Bühne, die tatsächlich "Himmlisch" heißt. Der Sänger trägt einen türkisfarbenen Pulli und eine gleichfarbige Sonnenbrille im Haar und versichert, dass ihr Set ausnahmslos aus "bekannten Hits" zum Mitsingen bestehe. Zur Sicherheit werden die Texte trotzdem an eine Leinwand projiziert. "Das ist so ein Gänsehaut-Feeling wie beim Kirchentag hier", ruft der Sänger. Und spätestens als ein Mädchen und ein Junge vom Altar zur Kollekte für ein haitianisches Behindertenprojekt aufrufen, erinnert die Stimmung in der Tat an einen Kirchentag.

Genau daran aber könnte die Jugendkirche mittelfristig kranken. Denn ihre ganze Semantik und Symbolsprache unterscheidet sich bisher jedenfalls in Nichts von der gewöhnlicher Jugendgottesdienste - was es schwierig machen dürfte, dort zu punkten, wo man mit Kirche wenig anzufangen weiß. Kontrapunktisch zum Bibelrock immerhin ging es zu Ende: Der Name des Hip-Hop-Trios, das am Abend seinen Jugendkirchen-Rap präsentierte, lautete "D.I.P." - als Kürzel von "Dick Into Pussy".

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