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Kolumne IdoleZeiten des Abschieds

Es gibt noch so viel zu sagen, aber das Beste kommt jetzt zum Schluss.

O b ich irgendwie verbittert sei, war die zaghafte Frage meiner Mutter als Reaktion auf meine letzte Kolumne, in der ich dem Schauspieler Leonardo DiCaprio ein Hefegesicht angedichtet habe. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber den Anschein einer Verbitterung zu erwecken, ist meiner Ansicht nach das Zweitschrecklichste, was einem passieren kann. Ich denke sofort an Mundwinkel mit kleinen Gewichten daran; Mimikfalten eines Gesichtes, das nie gelächelt hat, und ein grau-freudloses Äußeres, das auf ein ebenso grau-freudloses Inneres schließen lässt. Autsch. Um dieser Kolumne einen würdigen Abschied zu bereiten und nicht als verkniffene Bitch in Ihrem Lesergedächtnis zu bleiben, möchte ich Ihnen ein paar Anregungen geben. Es sind Idole, über die ich bisher nicht geschrieben habe; Dinge, für die es sich meiner Ansicht nach zu leben lohnt. Und alles ganz ernst gemeint. Echt, jetzt.

1. Die häufig unterschätzte und doch fulminant trashige, spannende und absolut Sog entwickelnde Lektüre der Gespenster-Geschichten von Hajo F. Breuer, für 50 Cent pro Stück aus dem Comic- oder Ramsch-Antiquariat.

2. Die wundersam-lakonischen Gedichte Mascha Kalekos ("Mein schönstes Gedicht? / Ich schrieb es nicht. / Aus tiefsten Tiefen stieg es. / Ich schwieg es").

taz

Kirsten Reinhardt ist taz.de-Redakteurin.

3. Die von Tove Jansson erdachte Angewohnheit der Mumins, sich vor dem Winterschlaf den Bauch mit Tannennadeln zu füllen. ("Denn so hat man es schon immer gemacht") und das traurig-schöne Buch "Herbst im Mumintal", in dem nicht ein einziger Mumin auftaucht.

4. Der Song "Pancho and Lefty" des Folksängers mit der undurchdringlichsten Visage der Vereinigten Staaten von Amerika - Townes Van Zandt.

5. Die Schönheit von Friedrich Hölderlin auf dem Bild in meinem Deutschbuch aus der zwölften Klasse und dazu seine Gedichte und sein Wahnsinn im Tübinger Turm.

6. Die Geschichten "Berge des Wahnsinns" und "Der Fall Charles Dexter Ward" von Howard Phillips Lovecraft. War Zeit seines ziemlich deprimierenden Lebens leider ein Rassist, doch diese beiden Texte rauben, vor allem bei Herbststürmen vorgelesen, den letzten Nerv. ("Tikili-li!")

7. Der Dokumentarfilm "Full Metal Village" über das Metal-Festival im schleswig-holsteinischen Dorf Wacken. Danke an die Regisseurin Cho Sung-hyung!

8. Bob Dylans Radiosendung "Theme Time Radio Hour". Mit His-Bobness-Schmirgelstimmen-Moderation und "Dreams, Schemes and Themes".

9. Noch eine Radiosendung, ebenfalls wöchentliche und monothematisch: "This American life", als Podcast oder zum Live-im-Netz-Hören. Ganz toll ist die Folge über "Superpowers", mit einer Partyumfrage, ob man lieber unsichtbar sein möchte oder die Fähigkeit zum Fliegen haben will. Und einer Frau, die sich selbst zur Superheldin gemacht hat, weil sie zur CIA wollte.

10. Und zuletzt: Das tolle Phönix-Video von Lonski&Claassen.

Nun, damit sind Sie sicher eine Weile kulturell versorgt. Wenn bloß zwei, drei Menschen im Laufe der Zeit über zwei, drei Dinge, die ich geschrieben habe, nachgedacht, sich gefreut oder geärgert haben, bin ich zufrieden. Von diesen möchte ich mich hiermit herzlich verabschieden. "Tschüss", "Sayorana", "Adieu". Und jetzt aber raus, es ist Frühling und die Sonne scheint!

P.S. Es gilt noch ein Missverständnis aufzuklären: Nein, ich bin nicht die Schwanzbeauftragte der taz - wie mir einst anlässlich einer anderen Kolumne von einem erbosten Leser unterstellt wurde. Ich wüsste nicht einmal, dass es eine solche Zuständigkeit in dieser Zeitung gäbe. Aber wenn es sie denn gäbe, würde ich mich natürlich sofort darum bewerben. Allein schon des irrwitzigen Titels wegen.

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4 Kommentare

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  • HF
    Hajo F. Breuer

    Liebe Frau Reinhardt,

     

    leider bin ich erst jetzt durch einen Zufall auf Ihre Kolumne aufmerksam geworden. Dass Sie mich in einem Atemzug mit Hölderlin, Lovecraft und Dylan nennen – ja, mich sogar an erster Stelle! –, freut und ehrt mich. Doch Ehre, wem Ehre gebührt.

     

    Zwar habe ich die Texte für weit mehr als 1000 Hefte der Gespenster-Geschichten verfasst, aber diese Hefte sind nicht von mir allein, sondern das Ergebnis eines auch in der Rückschau immer noch großartigen Teamworks.

     

    Am Anfang einer jeden der ca. 60.000 (oder mehr? Ich weiß es nicht genau) Comic-Storys in den Heften stand das Skript, eine Art Drehbuch, in den meisten Fällen verfasst von Peter Menningen und Uwe Helmut Grave (es gab auch noch andere, aber die beiden haben den Löwenanteil geschrieben). Diese Skripts gingen dann an Comic-Künstler in aller Welt, die dann die jeweilige Geschichte gezeichnet haben. Erst dann kam ich ins Spiel und habe die Texte zu den Comics geschrieben. Nicht zu vernachlässigen für den Erfolg der Serie ist auch der Redakteur Ewald Fehlau, ohne den das Phänomen Gespenster-Geschichten niemals möglich gewesen wäre.

     

    Also, wenn Sie jemanden für die Gespenster-Geschichten ehren wollen, dann bitte das gesamte Team. Im Falle der Weigerung müsste ich Sie sonst mit einem furchtbaren Dämonenfluch belegen, der uns damals verlagsintern ziemlichen Ärger bereitet hat: Lhok dnu Uar dnis edieb ualf!

  • S
    senil

    ich fand idole fast immer top.

    schade.

  • B
    brjon

    Großer Mist, meine Lieblings-Kolumnenschreiberin hört auf!

    Generationsfragen der Intimrasur, Erlebnisse einer jungen Mutter im Büro, Leonardo DiCaprios Gesicht - all dies habe ich stets sehr vergnügt gelesen und mich dabei auch immer wieder ein bisschen in die Frau auf dem kleinen Bild verguckt.

    Vielen Dank für die unterhaltsamen Artikel der vergangenen Jahre, nicht nur an dieser Stelle (der Bart-Artikel ist beispielsweise ebenfalls unvergessen)!

  • L
    Lähelonewitz

    cu

     

    was ham denn die lächelfanatiker?