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Musiktheater in BremenAnschlussfähige Avantgarde

Mit "Die Gehetzten" bringt das Bremer Theater eine Oper zur Uraufführung, die durchaus ihren Weg ins Repertoire finden könnte: Dafür bürgt der gutbürgerliche Humor, der Bernd Redmanns Stück für jedes Abo-Publikum zugänglich macht.

Das Datennetz und seine Göttin (Nadine Lehner): Die Bremer Uraufführung der "Gehetzten" kennt keine falsche Scheu vor unmittelbarer Bildersprache. Bild: Jörg Landsberg

Die Vergabe von Uraufführungs-Aufträgen durch deutsche Theater ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Zumindest nicht in deren kostenintensivster Sparte, der Oper. Bremen leistet sich den relativen Luxus der unmittelbaren Zeitgenossenschaft im Musiktheater immerhin etwa einmal pro Spielzeit. Diesmal mit einer Arbeit von Bernd Redmann, der in München eine Professur unter anderem für Gehörbildung bekleidet, Vorstandsmitglied der deutschen "Gesellschaft für Musiktheorie" ist - und noch nie zuvor eine Oper geschrieben hat.

Die Ankündigungen ließen nichts Gutes ahnen. "Es ist einfach die passende Oper zu unserer gegenwärtigen Welt!", posaunte das Bremer Theater selbst und verhieß "ein Panorama der Absurdität" samt "Ästhetik der Irritation und Unvorhersehbarkeit": Begriffe, mit denen man offenbar meint klingeln zu müssen, um "zeitgenössisch" auf der Höhe zu sein.

Redmann selbst sprach von "Revue-Charakter" und einem "Patchwork" verschiedenster Stile zwischen Mozart, Jazz und Tango. Und was erwartet man, wenn der Regisseur vorab verkündet, das Stück sei "interpretatorisch weit zu fassen"? Eben: ein postmodernistisches Collagen-Mischmasch mit niedrigem Message- und Sinnlichkeitsfaktor.

Doch die Oper mit dem eher irreführenden Titel "Die Gehetzten" entpuppt sich bei ihrer Uraufführung als sinnenfrohe Farce, als stellenweise sogar großartige Groteske. Sie besitzt weder stringente Handlungen noch sich entwickelnde Figuren, aber zahlreiche theatrale Situationen, in denen sich die SängerInnen spielerisch nach Herzenslust austoben.

Zum Beispiel der bei einer Probe ermordete Regisseur, der nach seiner Auferstehung aus einer Gefriertruhe heraus eine Pressekonferenz über die "Kunst der Zukunft" abhält und daraufhin von einem Sänger, der im echten Parkett einen falschen Zuschauer mimt, wild beschimpft wird, woraufhin sich der Opernchor selbst niedermetzelt und … und dann kommt irgendwann das Jüngste Gericht, in diesem Fall ein Amtsgericht, dessen Amtsträger alle unter 30 sind, ein Grab öffnet sich und aus dem Mund der Toten krabbeln Kakerlaken, während sie vom - kleines Missverständnis - "jüngstem Gesicht" singt.

Kurz: Die vier hoch motivierten HauptdarstellerInnen stürzen backstage in immer neue Kostüme und Rollen, ein Umstand, der noch am ehesten den Titel des in 21 Fragmente aufgesplitterten Stücks rechtfertigt.

Während zeitgenössisches Musiktheater sonst oft die lyrischen oder dramatischen Register zieht, setzen Redmann, von dem auch das Libretto stammt, und sein Regisseur Kay Kuntze, bekannt als künstlerischer Leiter der Berliner Kammeroper, auf Humor - in all seiner Ambivalenz zwischen erheiternd und bieder. Redmann und Kuntze bedienen durchaus auch jenen Bereich gutbürgerlichen Humors, der sich seit Jahrhunderten an musikalischen Scherzen à la Haydns "Abschiedssinfonie" erfreut: Auch bei den "Gehetzten" treten die MusikerInnen am Ende sukzessive ab, die Posaune - des Komponisten Lieblingsinstrument - macht sozusagen das Licht aus.

Zuvor jedoch ist von dem nur 13-köpfigen Ensemble der Bremer Philharmoniker, das statt aus dem Graben - den es im Schauspielhaus ohnehin nicht gibt - hinter einer Mauer spielt, mitunter Spannendes zu hören: Immer dann, wenn sich Redmann nicht nur im epigonale Zitieren quer durch die Musikgeschichte ergeht, sondern eigene, fein ziselierte Klangnuancen ins Allerlei zwischen Requien und Gassenhauern einbringt. Mit Tarmo Vaask hat ein Dirigent die Leitung, der sich mittlerweile als hoch kompetenter Geburtshelfer sämtlicher Bremer Uraufführungen einen Namen gemacht hat.

So entsteht ein Stück ohne allzu nachhaltige Wirkungen, aber von kurzweiliger Gegenwart: Wer reingeht, wird sich sicher nicht langweilen. Das ist gut, wäre aber natürlich zu wenig, wenn nicht die Spiellust so ansteckend wäre, mit der insbesondere Christian Hübner und Christian-Andreas Engelhardt in Bente Matthissens lustvoll errichteten Bühnenbildern agieren. Engelhardts großer komödiantischer Erfolg in "Die Gehetzten" spiegelt das Prinzip, nachdem man dieser Oper durchaus eine Zukunft außerhalb der Schublade nur einmal gespielter Erstlingswerke zutrauen kann: So wie Engelhardt bislang ungeahnte Qualitäten im eher seltenen Tenor-Fach "farcenhafter Humor" zeigt, so werden die "Gehetzten" dank ihrer durch das Prädikat "zeitgenössisch" geadelten Amüsement-Trächtigkeit die Gunst des Publikums finden - als "anschlussfähige Avantgarde", die weder weh tut noch langweilt.

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