Nach dem Abschalten von google.cn: Kein Informationsgewinn
Googles Schachzug mag viele überrascht haben, doch Chinas Behörden waren vorbereitet. Die staatliche Zensur stopfte sofort die Lücke, die Google durch den Umzug hinterließ.
PEKING taz | Wochenlang hat Google gezögert, jetzt ist es so weit: Wer in China gestern die vertraute Webseite google.cn anklickte, landete automatisch auf der Webseite google.com.hk. Mit der freundlichen Begrüßung: "Willkommen in der neuen Heimat von Google in China".
Damit hat der Internetgigant die Konsequenz aus einem Konflikt gezogen, der Ende vergangenen Jahres aufgebrochen war. Damals hatten sich Firmensprecher mit einer dramatischen Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt: Google sei massiven Hacker-Angriffen aus China ausgesetzt, man sei nicht bereit, unter den bisherigen Bedingungen in der Volksrepublik weiterzuarbeiten. Die Angriffe halten Google zufolge noch immer an.
Mit der Ankündigung, die seit 2006 in China praktizierte Selbstzensur zu beenden, fachte Google nicht nur in China, sondern weltweit eine Debatte an: Wie viel ist die Freiheit des Internets wert? Welches Recht haben Regierungen, sich und ihre Untertanen vor unerwünschten Informationen zu schützen? "Unser optimistischer Glaube, dass der Nachteil der Selbstzensur durch den Informationsgewinn für unsere Nutzer überwogen wird, hat sich nicht bestätigt", räumte Google-Sprecher Oberbeck gestern ein.
Über 384 Millionen Chinesen nutzen inzwischen das Internet, das die Regierung als strategisch wichtig für die Modernisierung des Landes erachtet - und zugleich als mögliches Hilfsmittel für organisierten Widerstand fürchtet. Google ist der zweitwichtigste Suchdienst in der Volksrepublik, nach dem heimischen Baidu, der rund 66 Prozent des Marktes besetzt.
google.com.hk: Von Deutschland und von Orten außerhalb Chinas bemerkt man die chinesische Zensur nicht. Das Hongkonger Google liefert Ergebnisse zum Tiananmen-Massaker. Nutzt man google.com.hk aber vom chinesischen Netz aus, ist die Information zu Tiananmen nicht verfügbar - man erhält eine Fehlermeldung.
Suchbegriffe: Dass die chinesische Regierung einzelne Google-Suchbegriffe blockiert, ist neu. Vor Googles Rückzug aus Peking hatte die chinesische Regierung zu diesem Handeln allerdings auch keinen Anlass, denn google.cn beteiligte sich an der in China üblichen und geforderten Selbstzensur.
Netzsperren: Außerdem verwendet die chinesische Regierung Netzsperren via IP-Adressen: Zum Beispiel ist das Video-Portal YouTube und das soziale Online-Netzwerk Facebook im chinesischen Netz blockiert. Gibt der Nutzer die Webadresse einer blockierten Seite in die Browserzeile ein, wird seine Anfrage umgeleitet und kommt nicht bei der gewünschten IP-Adresse an.
Tiefe Eingriffe in Datenverkehr: Es ist davon auszugehen, dass die chinesische Regierung noch tiefer in den Datenverkehr eingreift und seine Bürger und ihr Surfverhalten weitergehend technisch überwacht.
Selbstzensur: Zensur ist aber nicht nur Technik: Wer im chinesischen Netz präsent sein will, muss sich an die chinesischen Zensurgesetze halten - oder hat mit strafrechtlichen oder finanziellen Konsequenzen zu rechnen. Anbieter werden für die Inhalte, die einzelne Nutzer hochladen, verantwortlich gemacht. (jus)
Google beschäftigt in seinen drei chinesischen Niederlassungen - Peking, Schanghai und Guangzhou - etwa 600 Mitarbeiter. Der geplante Umzug ins politisch liberale Hongkong, das seit 1997 wieder zu China gehört, betrifft die Mitarbeiter des Google-Suchdienstes. Die Marketing- und Forschungsabteilung von Google soll in Peking bleiben - deutlicher Hinweis darauf, dass Google das Land nicht ganz verlassen will.
Trotzdem reagierte die Pekinger Regierung scharf auf den Schritt des US-Konzerns: "Google hat sein schriftliches Versprechen gebrochen, seine Suchmaschine in China zu filtern", zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua gestern einen ungenannten Mitarbeiter des staatlichen Informationsbüros. Man sei "empört" über das "unverantwortliche Handeln" und "uneingeschränkt dagegen, kommerzielle Probleme zu politisieren".
Die China Daily veröffentlichte einen Kommentar unter dem Titel "Kann China ohne Google leben?" Er verglich die "Arroganz" von Google mit der Haltung ausländischer Mächte, die China im 19. Jahrhundert mit ihren Kriegsschiffen und Kanonen zur Öffnung nach außen gezwungen hatten.
Ähnlich verteidigten chinesische Funktionäre in den vergangenen Wochen die Souveränität und Unabhängigkeit ihrer Heimat gegenüber ausländischen Interessen. Als die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton den Fall Google in China aufgriff und die Verteidigung der Internetfreiheit als Kerninteresse der amerikanischen Außenpolitik bezeichnete, sahen sie sich bestätigt.
Für Chinas Internetnutzer ändert sich in der Praxis wenig: Die staatlichen Zensoren waren vorbereitet. Wer gestern politisch sensible Begriffe - etwa "Falungong" und "Tiananmen-Massaker" - oder auch nur die chinesischen Schriftzeichen des Staats- und Parteichefs Hu Jintao bei Google eintippte, der erhielt wie früher die verhasste Ansage: "… kann die Seite nicht öffnen". Nur die kleine Minderheit von Chinesen, die Proxy-Server oder andere technische Tricks benutzen, kann die "Große Brandmauer" überwinden, wie die ausgeklügelte Kombination von technischen Filtern und Sperren allgemein genannt wird.
Die ersten Reaktionen in Internetforen und auf den Straßen Pekings waren so bunt wie die Interessen der Nutzer: "Damit habe ich nichts zu schaffen", sagte gestern etwa der 30-jährige Techniker Wang Yi, der sein Geld mit der Reparatur von Computern verdient. "Ich nutze Baidu." Ein Google-Fan schrieb: "Ich bin traurig, wir sollten offen genug sein, um internationale Konkurrenz zuzulassen."
Ein Geschäftsmann: Um die Beschäftigten bei Google, die jetzt ihren Job verlieren, "mache ich mir keine Sorgen - die finden sehr schnell was Neues". Aber die vielen chinesischen Firmen, die als "Suchmaschinen-Optimierer" Google bislang zugearbeitet haben, "müssen jetzt mit dem Ruin rechnen".
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