Kommentar russisch-amerikanische Abrüstung: Ein Drittel weniger Wahnsinn
Das Denken in Kategorien von hunderten oder tausenden Waffen entstammt der virtuellen Welt der Nuklearkriegsplaner. Mit der realen Welt hat es wenig zu tun.
N och vor seiner Wahl sprach Barack Obama in Berlin von einer Welt ohne Atomwaffen. Als Oberbefehlshaber über das US-Atomwaffenarsenal wiederholte der Präsident im letzten Jahr in Prag sein Plädoyer für atomare Abrüstung und seine Vision einer atomwaffenfreien Welt.
Jetzt, so scheint es, ist ein erster Schritt dahin geschafft. Wird das kurz vor dem Abschluss stehende Abkommen zwischen den USA und Russland tatsächlich umgesetzt, dann werden bald ein paar hundert Atomwaffen weniger einsatzbereit sein. Um etwa ein Drittel wollen beide den Teil ihres Arsenals verringern, mit dem sie sich gegenseitig treffen können.
Bedauern kann das niemand. Und wer möchte, darf auch ein wenig jubeln. Doch selbst wenn die Atomwaffen nicht nur außer Betrieb gesetzt, sondern tatsächlich vernichtet würden, selbst wenn auch in Europa gelagerte Atomwaffen mit einbezogen wären - ein erster Schritt zu einer vollständigen atomaren Abrüstung wäre es auch dann nicht.
Eric Chauvistré ist Redakteur im Auslandsressort der taz.
Denn bei Atomwaffen versagt die einfache, lineare Logik. Zahlenmäßige Reduktion bedeut nicht zwangsläufig geringere Gefahr. Die Atombombe ist die einzige Waffe, die allein und in kürzester Zeit kaum ermessliche Zerstörung auslösen kann. Vor allem aber ist sie die einzige Waffe, gegen die es keine effektive Verteidigung gibt - weil eine Verteidigung gegen Atomwaffen das unmögliche Kriterium der absoluten Verlässlichkeit erfüllen müsste. Das macht die Atomwaffe zu einer einzigartigen Waffe.
Das Denken in Kategorien von hunderten oder tausenden Waffen entstammt der virtuellen Welt der Nuklearkriegsplaner. Mit der realen Welt hat es wenig zu tun. Darin ist die Reduktion der Arsenale nicht mehr als ein Drittel weniger Wahnsinn.
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