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Linken-Politikerin über Programmdebatte"Mehr Staat ist nicht automatisch links"

Die Linkspartei-Politikerin Ulla Lötzer kritisiert, dass der Entwurf für das Parteiprogramm zu sehr auf Verstaatlichung setzt. Ihre Alternative: mehr demokratische Kontrolle von Unternehmen

"Mischformen beim Eigentum sind wichtig". Bild: dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Frau Lötzer, es soll, laut Grundsatzprogramm der Linken, keine Privatbanken geben. Ist das nicht zu eng?

Ulla Lötzer: Nein, die Finanzkrise hat gezeigt, wie gefährlich die nicht regulierte private Finanzindustrie für die gesamte Wirtschaft ist. Staatliche Großbanken können eine sinnvolle Alternative sein.

Ist das nicht DDR light?

Nein, es soll ja auch Genossenschaftsbanken geben, die in Privatbesitz sein können. Und Sparkassen in kommunalem Besitz. Wir wollen mehrere Formen.

Die Linkspartei will auch "strukturbestimmende Großbetriebe in gesellschaftliches Eigentum überführen". Ist da nicht zu viel Staat?

Da gibt darüber eine intensive Debatte. Ich bin nicht der Meinung, dass viel Staat gleich links ist. Wir müssen den Shareholder-Value-Wahnsinn, die Privatisierung von Daseinsvorsorge, die ökologische Krise, das Treiben von Konzernen in der Dritten Welt ändern sowie soziale und ökologische Belange stärken.

bundestag
Im Interview: 

Ulla Lötzer, 60, ist Sprecherin der Linksfraktion für Globalisierung. Sie kommt aus NRW und zählt zur gewerkschaftsnahen "Sozialistischen Linken".

Und wie?

Darauf gibt es eben nicht nur eine Antwort. Mischformen beim Eigentum sind wichtig. Das gibt es bereits: etwa bei VW. Außerdem ist es sinnvoll, Unternehmen auf Sozial- und Ökobilanzen zu verpflichten. Wir brauchen mehr Demokratie in der Wirtschaft im Betrieb und darüber hinaus, etwa über Branchenräte, in denen auch Gewerkschaften und Umweltverbände beteiligt sind, die strukturpolitische Entscheidungen treffen.

Also mehr Kontrolle, aber nicht mehr Staatseigentum?

Ja. Von den vier großen Energiekonzerne sind zwei, Vattenfall und EnBW, größtenteils in Staatsbesitz. Und die unterscheiden sich in ihrer Praxis nicht von privaten Konzernen. Das zeigt, dass staatliches Eigentum nicht automatisch besser ist.

Sondern?

Bei der Energie gehören die Netze natürlich in öffentliche Hand. Bei der Energieerzeugung sind mehr dezentrale Strukturen der richtige Weg - zentralistische Konzerne, egal ob privat oder staatlich, der falsche.

In NRW will die Linkspartei Eon und RWE verstaatlichen. Ist das machbar?

Ich war gegen diese Forderung - und im Dringlichkeitsprogramm ist sie auch abgeschwächt. Machbar ist allerdings eine Kommunalisierung. Es gibt ja Kommunen, die Teile des Netzes von Eon gekauft haben.

Was muss sich an dem Programm der Linken ändern?

Die Wirtschaftsdemokratie kommt zu kurz. Anstatt ideologisch starr auf Staatseigentum an Großbetrieben fixiert zu sein, müssen wir mehr Fantasie für Mischformen entwickeln. Und genauer beschreiben, was geht.

Zum Beispiel?

Etwa Belegschaftsbeteiligungen an Unternehmen. Aber man muss erklären, warum dieses Modell in Schweden gescheitert ist und es weiterentwickeln. Es gibt außerdem Beispiele demokratischer Kontrolle, von denen wir lernen können. In Porto Alegre gibt es im Rahmen der Bürgerhaushalte Gruppen, die Betriebe demokratisch kontrollieren. So ist es gelungen, einem global agierenden Konzern Auflagen zu machen, zum Beispiel einen Anteil von Indigenen einzustellen und einen Teil des Gewinns in Bildung zu investieren. Das ist in einem Schwellenland möglich. Warum nicht bei uns?

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14 Kommentare

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  • W
    wolfgang

    Der Satz in der Überschrift scheint mir die erste wirklich kluge Erkenntnis der Linken seit der Wende zu sein. Nun muß man aber nicht den Markt abschaffen oder die Diktatur des Neoboulevariats ausrufen. Gründet einfach mit Euren eigenen Piepen Firmen und Banken und macht den alteingesessenen Kapitalisten Konkurrenz. Das Bessere setzt sich durch. Ökobank und dgl. haben auch mal so angefangen. Das ist solide und anständig. Der ständige strategische Populismus dagegen führt ungefähr dahin, wo die Griechen heute sind. Das will hier niemand.

  • N
    Nobilitatis

    afa: "der Markt muss weg"

    Und die Gravitation auch. Dann fällt niemand mehr hin.

  • O
    ole

    Doch noch nicht alles verloren in dieser Partei?

    Werden wir ja bald sehen...

  • V
    vic

    Ich wünsche mir, dass die Linke die Chance erhält ihre Vorschläge und Vorstellungen einzubringen. Dass ihr Einfluss groß genug ist.

    Bei diesem "Experiment" bin ich gerne mit dabei. Meine Stimme gehört ihnen ohnehin.

    Oder habe ich irgendetwas Gutes bei den Regierungen der letzten 15 - 20 Jahre versäumt?

  • T
    Thom

    Reinecke Fuchs... wann wird dich der Spiegel endlich ins Paradies holen? Linke haben mit dem Staat nichts zu tun. Und Staatsmonopolisten sind auch nicht besser als andere Kapitalisten.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Die Demokratsierung von staatlichen Institutionen ist wegen der langen Tradition öffentlicher Rechenschaft durch politische Öffentlichkeit bei weitem leichter zu etablieren.

    Es ist schon erschreckend, wie nach der langen Untertanenstaattradition mit tatsächlichem Ausgang in 2 Weltkriegen es 50 Jahre lang immer geschafft wurde und wird, Ansätze wirklicher Demokratie immer draussen zu halten. Demokratie ohne Demokraten hiess es in den 20igern, und bis heute wird "Machenschaften" ungestört sehr viel Raum gelassen.

    Mit der Demokratie in der Wirtschaft ist es weit und breit nicht weit her, und sie ist noch viel viel leichter störbar und hat noch mehr aktive Opponenten.

    Das Bankenwesen hat fast Kommandozentralenfunktion für die nichtstaatlcihenoragnsierten Teile der Wirtschaft.

    Das merkt man an den Summen, um die es geht.

    Die gehören auch mehr unter die Kontrolle derer, um die es da geht.

  • C
    claudia

    „Mehr Staat statt privat?”

     

    Zur Zeit haben wir das Problem, daß eine Oligarchie von Privatbesitzern bzw. deren hochdotierte Beauftragte über Produktionsmittel und erzeugten Mehrwert verfügen. Das hat dazu geführt, daß alle ökonomischen Entscheidungen vom Bedürfnis der besitzenden Minderheit bestimmt werden. Das geschieht auch durch den Kauf von Politikern und Parteien. Zum Nachteil der Mehrheit.

     

    Durch die oligarchische Verfügungsgewalt über die Volkswirtschaft sind erreichbare Lösungen unserer Probleme blockiert. Ob beim Umweltschutz, bei der Gesundheit oder bei der Stabilisierung der Teilhabe am Kreislauf von Produktion und Konsumtion.

     

    Daß der "Gebrauch des Eigentums zugleich der Allgemeinheit dient", wie GG Artikel 14 vorschreibt, funktioniert nicht. Denn dem Eigentümer geht das Wohl der Allgemeinheit am A.... vorbei.

     

    Weil das Volk Konzerne nicht einfach kaufen kann, könnten Verstaatlichungen gemäß GG Artikel 15 Lösungswege öffnen.

    Ob über Verstaatlichungen Problemlösungen möglich sind, hängt aber in hohem Maße von der Gestaltung des Staates ab.

    Parallel zu Verstaatlichungen muss also der Staat demokratisiert werden, sonst wird das nichts.*

    Zusammen mit Verstaatlichungen müssen klare Ziele formuliert werden. Für das Erreichen der Ziele ist demokratische Kontrolle über den Staat unverzichtbar.

     

    ---

    *Demokratie ist auch, aber nicht ausschließlich eine Frage der Struktur. Sondern auch des Bewußtseins. Das heißt, wir müssen eine möglichst breitgefächerte Diskussion über die Gestaltung der Lebensqualität in Gang bringen und in Gang halten.

     

    ---

    @ Schulz:

    >>Fuer jeden Menschen 1 Million oder mehr Lebensstartkapital vom Staat bei der Geburt ausgezahlt, bevor die Sklavenarbeit in Form von Arbeitnehmertum angeht?>Gibt es ueberhaupt Arbeit fuer alle?>Der Staat wird zum Bankenstaat, wenn die Banken kaputt gehen, geht der Staat auch kaputt.

  • D
    deadleader

    Ob das Fähnchen jetz nun Rot oder Schwarz is ,

    solange es keine echte Demokratie gibt, wird sich für den kleinen Mann auf der Straße nicht viel ändern .

  • R
    Ravenbird

    Ich möchte mich der Aussage das mehr Staat nicht unbedingt links ist anschließen. Persönlich halte ich es für sinnvoll die Grundversorgung (Wasser, Strom, Gas etc.) so weit wie möglich in kommunaler Hand zu haben. Auch ein zentrales staatliches Stromnetz das die privaten Anbieter dann zu gleichen Konditionen nutzen können/müssen ist nicht falsch. Jedoch halte ich nichts davon Banken zu verstaatlichen. Hier macht es mehr Sinn entsprechende Regularien und Kontroll- bzw. Eingriffmöglichkeiten für den Staat zu schaffen und diese auch anzuwenden. Ähnliches gilt auch für den Rest der Privatwirtschaft. Sie soll ruhig weiter privat bleiben, aber nur in einer Form in der sie der Gesellschaft und somit den Menschen dient. Freilich gibt es durchaus einige strategische Unternehmen die ich lieber in staatlicher Hand sehe. Dazu gehört zum Beispiel die DB.

     

    Grüße

    Ravenbird

  • A
    afa

    Staat hat tatsächlich eher wenig mit "links" sein zu tun. Im marktwirtschaftlichen System ist der Staat meistens das kleinere Übel, hat allerdings auch große Nachteile.

    Wirklich emanzipatorisch-linke Vorstellungen müssen aber eher darauf bedacht sein, den Staat abzubauen und die Demokratisierung der Wirtschaft voran zu treiben. Das heißt aber auch: der Markt muss weg.

  • S
    Schulz

    Wenn zahlungsunfaehige Unternehmen vom Staat aufgekauft werden, ganz oder teilweise verstaatlicht, kann die Produktion gerettet werden, die Arbeitsplaetze erhalten bleiben (Wunschtraum?),

    die Unternehmer als Sub-Unternehmer des Staates weiterarbeiten.

    Das ist natuerlich eine Mischform, denn dazu braucht der Staat wahrscheinlich noch nicht einmal 51 Prozent des Eigentumes zu halten.

    Wenn aber Banken die Finanzmasse finanzieren,

    sind die Banken die Kapitalisten.

    Der Staat wird zum Bankenstaat, wenn die Banken kaputt gehen, geht der Staat auch kaputt.

    Wollen wir das?

    Welche Alternativen gibt es?

    Fuer jeden Menschen 1 Million oder mehr Lebensstartkapital vom Staat bei der Geburt ausgezahlt, bevor die Sklavenarbeit in Form von Arbeitnehmertum angeht?

    Gibt es ueberhaupt Arbeit fuer alle?

    Welches Modell kann geschaffen werden,

    das die Menschheit zufriedenstellt

    und jeden Menschen zugleich befaehigt mehr als nur zu vegetieren?

  • B
    Brauner

    "Mehr Staat ist nicht automatisch links"

     

    Im Faschismus spielt der Staat bekanntlich auch eine große Rolle. Faschismus ist nach Meinung fast aller Linker nicht links. Also ist aus ihrem Blickwinkel dieser Satz vollkommen richtig.

  • R
    reblek

    "Da gibt darüber eine intensive Debatte." - Herr Reinecke sollte zumindest so nett sein, "Linke" korrekt zu zitieren. Schlecht vorstellbar, dass Frau Lötzer einen solchen Satz gesprochen haben soll.

  • HN
    herr ning

    "Ist das nicht DDR light?"

    herzlich willkommen auf dem niveau der bild-zeitung!

     

    "Ist da nicht zu viel Staat?"

    wieso? weshalb? warum? wie kommen sie auf diese frage? wieso sollte es zu viel sein? ist es nicht vielleicht noch zu wenig? oder genau richtig?

    natürlich ist es für den grünen geschmack der taz zuviel, das merkt man vorne und hinten. das gesamte interview soll ja auch nur dies sagen.

    liebe frau lötzer,

    wenn sie möchten, dass ökologisch und sozial korrekt gewirtschaftet wird, wieso wollen sie dann nicht,dass man das einfach auch so von staats wegen organisiert? linke politik ist für sie nicht gleich mehr staat. sondern was? z.b. eine "Umorientierung in der Wirtschafts-, Finanz- und Handelspolitik." (http://www.ulla-loetzer.de/topic/19.globalisierung.html) ja und wie? ach ja indem man unternehmen auf bestimmte standards verpflichtet....nun. ok. meinetwegen. will man das aber konsequent und effizient machen, dann kaann man es doch gleich vom staat aus selbst organisieren!! merkt das denn einfach keiner von euch?! sicher sie haben hier die perfekte interview-symbiose mit der zeitung, die auf ihren seiten die karmakonsum-konferenz unter teilnahme ihres chefreporters bewirbt, aber sie beide müssen sich doch mal fragen, wenn sie soziale und ökologische standards wollen und demokratische kontrolle, ja wieso wollen sie denn dann keine verstaatlichung? dann haben sie die demokratische kontrolle. und zwar unmittelbat durch das parlament, dem, also dem staat, untersteht das unternehmen dann nämlich tatsächlich.

    einen angenehmen tag und ein gutes gewissen noch, beim latte macchiato aus der ökologisch zertifizierten kaffeemaschine