: Die Castoren Nummer 57 bis 68 rollen
Tausende Demonstranten protestieren an der Transportstrecke gegen die neunte Lieferung von hochradioaktivem Müll. Bürgerinitiative will mit Verfassungsbeschwerde das Demo-Verbot kippen, das regelmäßig für die Transportstrecke gilt
AUS GORLEBEN, PARIS JÜRGEN VOGES UND DOROTHEA HAHN
Um 12.09 Uhr passierte der Zug gestern die deutsch-französische Grenze: Der Castor-Transport war pünktlich. „Planmäßig“, wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen betonte. Im Bereich des Bahnhofs Wörth seien zwar „vereinzelt Demonstranten gesichtet worden“ – aber alles blieb ruhig.
Mal zehn, mal etwas weniger Beteiligte – längs der Strecke hat es gestern in Frankreich an mehreren Stellen nur kleine Proteste gegeben. In Maxéville war es Antiatomaktivisten gelungen, die zwölf Castoren am Morgen eine Viertelstunde lang aufzuhalten. In Avricourt, wo der junge Anti-AKWler Sebastien bei einer Blockadeaktion im vergangenen Jahr ums Leben kam, hängten DemonstrantInnen Erinnerungsschilder auf.
Zweihundertfünfzehn Traktoren waren es wohl, die sich gestern bei Klein Gusborn zwischen Dannenberg und Gorleben zu einem großen Anti-Castor-Kreuz formierten. Die Bauern aus dem Wendland zeigten, dass sie sich auch dem neunten Castor-Transport nach Gorleben entgegenstellen wollen. Zusammen mit den Bauern waren in Klein Gusborn 1.500 Demonstranten unterwegs. Schon am Samstag gingen in Hitzacker 4.000 AKW-Gegner auf die Straße.
Am Abend gelang es gestern hunderten Treckern, die südliche Straßenstrecke für die Castoren Nummer 57 bis 68 in die Zwischenlagerhalle zu blockieren. Die Polizei versuchte zunächst, die Kennzeichen aufzunehmen und zu räumen, doch konnte sich die Hundertschaft kaum Respekt verschaffen und gab ihr Unterfangen auf. Bei Redaktionsschluss dauerte die Blockade an.
Zuvor hatte die Polizei angegeben, dass sich die Zahl der angemeldeten Protestaktionen im Vergleich zum Vorjahr etwa halbiert habe – auf 28. Die Polizeiunterkunft in Neutramm wurde zur gleichen Zeit von Treckern blockiert. Später sammelte die Polizei dort nach eigenen Angaben haufenweise Krähenfüße ein.
Am Sonntagmorgen organisierten ältere AKW-GegnerInnen an der Ausfahrt der Castor-Umladestation mit mitgebrachten Stühlen eine symbolische Straßenblockade. Radfahrer und Reiter waren gegen den Transport unterwegs.
Die Bürgerinitiative stellte gestern eine Verfassungsbeschwerde vor, mit der sie das Demonstrationsverbot kippen will, das regelmäßig für die Transportstrecke verhängt wird. Obwohl die Gerichte in den letzten Jahren zahlreiche Polizeimaßnahmen im Nachhinein für rechtswidrig erklärt haben, wurde die Gefahrenprognose, die den Demonstrationsverboten zugrunde liegt, noch nie inhaltlich überprüft Diese Prognose rechnet den Demo-Anmeldern regelmäßig Anschläge und Sabotageakte zu, die von ganz anderen, anonymen Castor-Gegnern verübt wurden. Bislang hat jedoch kein Verwaltungsgericht eine Beweisaufnahme über die polizeiliche Prognose zugelassen. Anwältin Donat sieht in den Demonstrationsverboten einen Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit sowie die Rechtsschutzgarantie und den Anspruch auf rechtliches Gehör.
Greenpeace verlangte vom künftigen Umweltminister Sigmar Gabriel, dass als Alternative zu Gorleben auch andere mögliche Endlagerstandorte untersucht werden. Der designierte Umweltstaatssekretär Michael Müller hatte angekündigt, die Entscheidung für ein Endlager zu beschleunigen. „Die Suche wird schneller und weniger in die Tiefe gehen“, sagte der SPD-Politiker der Berliner Zeitung.
Der Castor-Transport wird heute in Dannenberg erwartet. Von dort wird der Atommüll auf der Straße weiter nach Gorleben transportiert.
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