Ein kultischer Genuss

ESSEN Pferdefleisch essen ist hierzulande verpönt. Anders als Rind oder Schwein gilt das Ross heute als Freund des Menschen

VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

BERLIN taz | Iiih, Pferdefleisch. Nicht die mangelhaften Kontrollen und verschlungenen Handelswege des Fleisches scheinen das hauptsächliche Problem des derzeitigen Lasagne-Skandals, sondern das Tier, das es geliefert hat. Leser und Fernsehzuschauer werden darüber aufgeklärt, ob der Verzehr von Pferdefleisch per se gefährlich sei. Vergiftet mit Pferdelasagne?

In Italien, Frankreich, Belgien oder der Schweiz werden Pferde ganz selbstverständlich gegessen, ihr Fleisch gilt als gesund und schmackhaft, dem von Rindfleisch nicht unähnlich. Warum also die Aufregung? Historiker wie Manfred Rech, der vor einigen Jahren in Bremen eine Ausstellung zur Kulturgeschichte des Pferdes kuratierte, verweisen auf die lange nachhallende Propaganda der christlichen Obrigkeit, die es erst im 8. Jahrhundert nach Christus schaffte, den Sachsen das kultische Pferdefleischessen auszutreiben. Doch dass Zeus Europa in Gestalt eines stolzen Stieres entführte, hält hierzulande niemanden von der Rinderbulette fern. Das Rindvieh habe die Achtung eben längst verloren, die ihm früher entgegengebracht wurde, sagt Florian Werner, der eine Kulturgeschichte über „Leben, Werk und Wirkung“ der Kuh geschrieben hat, sie gelte als stumpf und blöde. Und habe mit der Industrialisierung der Landwirtschaft und somit auch der Rinderzucht nachgerade jeden Zauber verloren.

Dabei hatten Pferd und Rind auf dem Land durchaus eine ähnliche Funktion, waren Zug- und Arbeitstier, die man am Ende ihrer Kräfte aufessen konnte. Die Stellung des Pferdes allerdings war stets ambivalent. Galt sein Fleisch noch bis ins Anfang des 20. Jahrhundert als Arme-Leute-Essen (womöglich, weil stets alte Gäule statt zarte Jungtiere verzehrt wurden), war es als Nutztier auf Straße und Acker angesehen; zudem galt es auch als Status- und Herrschaftssymbol.

Im Zuge der Industrialisierung von Landwirtschaft, Verkehr und Krieg haben Pferde dann eine ganz andere Zuschreibung erfahren als Kühe oder gar Schweine. Während diese zu gesichtslosen Fleischlieferanten ohne eigene Individualität oder Ansprüche degradiert worden sind, schafften die Pferde es in die Kategorie „Freund des Menschen“. Sie haben Namen bekommen – als Sportpartner auf dem Parcours wie die „Wunderstute Halla“ oder als Filmstar wie Fury oder Black Beauty. Das hat durchaus auch eine ökonomische Komponente. So werden die berühmten Islandpferde in ihrer Heimat selbstverständlich verspeist, worüber man aber nicht gern spricht, weil es die romantische Aura des Exportschlagers beschädigen würde. Egal, in der öffentlichen Wahrnehmung ähneln Pferde heute eher Katzen und Hunden als Kühen und Schweinen.

Rechtlich gelten sie zwar noch immer als Lebensmittel, doch ihr Stellungswechsel zeigt sich auch hier. Die EU schreibt für jedes Pferd einen „Equidenpass“ vor, das seine Herkunft nachweist und in dem etwa auch eingesetzte Medikamente eingetragen werden. Der Besitzer muss sich entscheiden, ob er sein Tier in diesem Pass als „Schlachttier“ oder „nicht als Schlachttier“ verwendet werden darf. Diese Entscheidung kann nicht rückgängig gemacht werden. Wählt der Halter die zweite Variante, ist eine legale Verarbeitung zu Lasagne ausgeschlossen, es bleibt nur der Weg in die Hundefutterdose. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung empfiehlt ihren Mitgliedern zwar die Schlachttier-Variante, allerdings mit wenig Erfolg. Von den rund 60.000 Pferden, die in Deutschland rein statistisch jedes Jahr sterben, werden nur rund 12.000 geschlachtet.

Zwar dürfen bei Pferden, die vom menschlichen Verzehr ausgeschlossen sind, zur Not auch Medikamente eingesetzt werden, bei den Schlachttieren nicht. Doch da der Tierarzt in beiden Fällen über ausreichende Mittel verfügen dürfte, um seine Patienten zu heilen, ist die Entscheidung gegen eine Kennzeichnung als Lebensmittel wohl vor allem gefühlsbedingt. Der „Partner Pferd“ bekommt eine schmerzfreie Spritze im heimischen Stall – und endet in der Tierkörperbeseitigung als Seife. Auf keinen Fall soll er wie Kuh und Schwein ins Schlachthaus.

Dieser emotionale Umgang mit dem Pferd fügt sich recht logisch in das System der Massentierhaltung ein. Hier braucht jedes Tier einen Platz – entweder in Haus oder Wildnis – oder als Rohstofflieferant . Die Folgen sind die ebenso bekannten wie grässlichen Haltungs- und Schlachtbedingungen der zu Tausenden zusammengepferchten Rinder, Schweine und Hähnchen. Insofern ist die nach unseren Gesetzen hergestellte und kontrollierte Rindfleisch-Lasagne im Supermarkt das eigentlich Ekelhafte.