Ihr Kinderlein, kommet

GETRENNTE VÄTER Zu der Weihnachtsfeier des Vereins Väteraufbruch in Hamburg waren auch die Ex-Frauen und Kinder eingeladen. Sie kamen nicht

Man isst Plätzchen, backt Waffeln und singt Lieder. Irgendwann stellt sich die Erkenntnis ein, dass heute keine Kinder mehr kommen werden

VON JOHANN TISCHEWSKI

Eigentlich wollte Hagen mit seinen beiden Kindern kommen. Wie jedes zweite Wochenende fuhr er am Samstag zur Wohnung seiner Ex-Frau. Er darf sich der Wohnung nicht näher als drei Meter nähern. So wartete er auf der Straße. Um nichts zu verpassen ist er immer ein paar Minuten vor dem verabredeten Termin dort. Normalerweise sollte sich dann irgendwann die Tür öffnen und seine Kinder herausgeschoben werden.

Dieses Jahr hat sich der Verein „Väteraufbruch für Kinder“ für seine Weihnachtsfeier etwas Besonderes einfallen lassen: eingeladen wurden neben den Vereinsmitgliedern auch die Expartner und die gemeinsamen Kinder. Weißer Stuck ziert die hellblauen Wände und Decken des Schrödersaals an der Alster. In der Ecke ein großer Tannenbaum, auf den Tischen Nüsse, Mandarinen und Kerzen. Die Väter stehen in kleinen Grüppchen beieinander, trinken Kaffee. Viele tragen weihnachtliche Strickpullover, manche haben sich auch extra schick gemacht. Bis jetzt ist noch keines ihrer Kinder erschienen, geschweige denn eine der Ex-Frauen – aber es ist ja auch erst fünf und die Veranstaltung soll bis acht gehen.

„Wenn alles gutgeht, kann ich meine Kinder am Zweiten Weihnachtstag sehen“, sagt Hagen. Seine Ex-Frau hat ihn damals auf Körperverletzung verklagt. Er bestritt die Tat. Es stand Aussage gegen Aussage. Der Richter glaubte der Mutter. Seitdem ist Hagen vorbestraft und die Karten im Poker um die gemeinsamen Kinder stehen schlecht. „Ich bin froh, dass ich die Kinder jetzt wenigstens jedes zweite Wochenende sehen darf“, sagt er. Nur halte sich seine Ex-Frau oft nicht an diese vor Gericht ausgehandelte Einigung, so auch wieder an diesem Samstag. Hagen ist darum ohne seine Kinder da.

Die meisten Männer hier sehen sich als Opfer: als Opfer der Justiz, der Rechtsauslegung und oft auch der herrschsüchtigen Ex-Frauen. „Der Gedanke, dass zu einem Streit immer zwei gehören“, sagt Hartmut Haas, „ist falsch. Wenn man sich wirklich streiten will, braucht man gar keinen Konterpart.“ Aber wer versucht, das Verhalten mancher Elternteile mit Logik zu erklären, könne eh einpacken. Haas ist Vereinsvorsitzender. Als Anwalt setzt er sich beruflich für die Betroffenen ein. Selber betroffen sei er zwar nicht, sagt er, aber er empfinde für seine Mandanten eine Verantwortung, die über das Gerichtliche hinausgehe.

Oft gehe es bei Sorgerechtsprozessen gar nicht nur ums Juristische, sondern viel eher ums Psychologische, erklärt er. Im Verein können sich die betroffenen Väter mit anderen austauschen. Besonders gut gebrauchen kann das zum Beispiel Godo. Die Beziehung zu seiner Partnerin endete schon während der Schwangerschaft. Seine mittlerweile sieben Jahre alte Tochter hat er bis jetzt noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Godo glaubt, dass er vor allem den bürgerlichen Schwiegereltern nicht so recht gepasst hat. Mit viel Geld und Elan sei man damals gegen ihn vorgegangen. Eine Einladung für die heutige Weihnachtsfeier habe er seiner Tochter gar nicht erst gesendet.

Als seine Tochter auf die Welt kam, habe er einen Apfelbaum gepflanzt und ihn nach ihr Fiona-Baum benannt, erzählt Godo. Das erste Geschenk an sie sollte ein Apfel von diesem Baum sein. Doch das Geschenk kam zurück und die Mutter erwirkte eine einstweilige Verfügung, die ihm das Überbringen von Geschenken untersagt. Der Verein sammelt Geschenke, die Väter nicht überbringen dürfen und verwahrt sie in der Hoffnung, sie irgendwann an den Adressaten weiterleiten zu dürfen.

Auch im Schrödersaal bekommt keiner der anwesenden Väter die Möglichkeit, sein Weihnachtsgeschenk zu überreichen. Man isst Plätzchen, backt Waffeln und singt mit der extra engagierten Liedermacherin Weihnachtslieder – aber irgendwann stellt sich einfach die Erkenntnis ein, dass heute keine Kinder mehr kommen werden.

Etwas abseits sitzt Inge mit ihrem zwölfjährigen Sohn Maurice. Auch sie warten. Bis Punkt acht Uhr. Dann gehen sie. Maurice’ Vater hat sich die letzten zwei Jahre nicht bei ihnen gemeldet. Sie hatte gehofft, dass im unverbindlichen Rahmen dieser Weihnachtsfeier ein Wiedersehen, vielleicht sogar eine kleine Geschenkübergabe, möglich sein könnte. Vergebens.