Snooker-Weltmeisterschaft: Der alte Kauz und das Queue
Steve Davis überrascht alle Experten und findet beim wichtigsten Turnier der Snooker-Szene erst im Viertelfinale seinen Meister. Seine große Zeit hatte er vor 20 Jahren.
Und es bewegt sich doch. Jetzt, wo die Fältchen nicht mehr zu übersehen sind, lässt Steve Davis plötzlich Emotionen erkennen. In aller Öffentlichkeit zeigt die Snooker-Legende am Billardtisch ein Mienenspiel, das so komplett wirkt wie sein Spiel. Der alte Kauz (52) lacht und ballt nach einem gelungenen Stoß sogar die Faust. Das ist die zweitgrößte Überraschung, die das WM-Turnier in Sheffield bereithält. Die größte: Der 400:1-Außenseiter, der in den 80ern mit dem Charisma eines Kühlschranks sechsmal die Trophäe gewann, ist immer noch dabei.
Der leise Mann aus dem schäbigen Plumstead in London hat einfach kein Talent, als Ikone seines Sports auf einem Sockel zu stehen. Darum macht er auch nach 32 Profijahren, 100 Finalteilnahmen auf der Main Tour und 316 Century-Breaks - 100 und mehr Punkte am Stück - weiter. Und steht plötzlich wieder unter den letzten acht, weil ihm zuletzt "die größte Überraschung in den 33 Jahren, in denen das Crucible Theatre die Meisterschaft ausrichtet" gelang, so der Guardian: Er warf beim hart umkämpften 13:11 über John Higgins den Titelverteidiger aus dem Turnier.
"Das war vielleicht die beste Leistung meiner Karriere", freute sich der Oldie, der auch für seinen Gegner das Kindheitsidol war. So manche Youngster, gegen die er heute antritt, durften in seiner Ära noch gar nicht lange genug aufbleiben, um ihn im TV zu sehen. Mit dem zäh erkämpften Triumph ist nun "ein Märchen für einen großen Champion" geboren, wie Opfer Higgins erkannte - wenn auch "zu meinem Nachteil".
1. Ronnie OSullivan (England) 53.575
2. Stephen Maguire (Schottland) 48.050
3. Shaun Murphy (England) 47.175
4. John Higgins (Schottland) 45.825
5. Allister Carter (England) 42.525
6. Ryan Day (Wales) 40.675
7. Mark Selby (England) 37.975
8. Marco Fu (Hongkong) 37.350
9. Neil Robertson (Australien) 35.225
10. Stephen Hendry (Schottland) 33.125
11. Mark Allen (Nordirland) 32.875
12. Joe Perry (England) 32.875
13. Ding Junhui (China) 29.644
…23. Steve Davis (England) 24.544
Damit aber scheint vieles, wenn nicht alles möglich: Beweisen muss "The Legend" ja schon länger nichts mehr. Er habe in den letzten Jahren "einen ziemlich Mist" gespielt, gab sich Davis selbstkritisch. Für den länger gehegten Wunsch, zum 50. Geburtstag wieder unter den Top 16 zu sein, reichten die Auftritte dennoch.
Manchmal weiß man eben nicht genau, ob der einst so coole Altprofi mit den Jahren tatsächlich bescheidener geworden ist oder nur ein gewisses Understatement pflegt. Vor dem WM-Turnier will er bloß "ein paar Wochen etwas mehr" gemacht haben, wie er sagt - obwohl Experten in Sheffield einhellig staunen, wie perfekt er nun auch lange Bälle locht.
Wer gegen den netten Herrn mit den Schlupflidern spielt, hat es sowieso nicht leicht: Ein Sieg wird da ebenso erwartet, als träte einer der aktuellen Tennisasse gegen John McEnroe an. So kann Davis sich selbst und andere nur positiv überraschen. "Wie Weihnachten für ein kleines Kind" will er den knappen Erstrundensieg über Mark King (10:9) erlebt haben.
Nur noch schöner, weil mit dem Erfolg auch manche Erinnerung, "wie es sich anfühlt, hier zu sein und wirklich große Matches zu spielen", zurückkamen. Bis heute ist sein nach Mitternacht verlorenes WM-Finale gegen Dennis Taylor (1985) die Sportübertragung mit der größten Einschaltquote in England.
Eine Überraschung weiter kommt nun jeder gewonnene Punkt nur noch obendrauf. Mit umgerechnet knapp 7 Millionen Euro Gesamtprämie im Rücken ist der passionierte Schachspieler weder auf das Preisgeld noch auf das Prestige angewiesen, das es beim wichtigsten Termin der Snooker-Elite zu gewinnen gibt.
Er kann mit der Kühnheit und Gelassenheit des Seniors operieren, der nichts mehr erreichen muss, doch gestern zu Beginn der Viertelfinal-Partie gegen den 24 Jahre jüngeren Neil Robertson zeigte sich Davis indisponiert und lag schnell mit 1:7 zurück. Der punkig geföhnte Australier bringt die andere große Comeback-Geschichte dieses Turniers an den Tisch, da er beim 13:12 im Achtelfinale über Martin Gould schon 5:11 hinten lag.
Es sind junge Stars wie "The Melbourne Machine", der Chinese Ding Junhui (23) oder Mark Selby (26), denen die Zukunft in der britischsten aller Billardvarianten gehört. Noch aber müssen sie sich mit einem Dino herumplagen, der schon in jener sagenumwobenen Ära zwischen dem Abgang des Mammuts und den ersten Handys die Kugeln stieß. Steve Davis schreibt eben in jeder Hinsicht Geschichte.
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