Regierungsbildung in NRW: Die drei denkbaren Koalitionen
Wer könnte in Nordrhein-Westfalen mit wem regieren? Drei Koalitionsmodelle sind denkbar. Die taz zeigt Gemeinsamkeiten und Differenzen der Parteien.
Große Koalition
BOCHUM taz | Wahlberechtigt waren 13,3 Millionen - entscheiden könnten 6.000 Stimmen. Nach dem Wahldrama von Sonntag liegt die CDU mit 34,6 Prozent 0,1 Punkte vor der SPD - und will deshalb den Posten des Regierungschefs besetzen. Zwar stellen beide Parteien künftig 67 Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag - doch in der Politik gehe es zu "wie im Fußball", findet der am Wahlabend für Stunden verschwundene Jürgen Rüttgers: "Bei Punktgleichheit entscheidet die Tordifferenz." Wer mehr Stimmen bekommen habe, müsse auch die Regierung bilden dürfen, fordert der wiederaufgetauchte Christdemokrat deshalb, bringt sich aber nicht selbst ins Gespräch. Die SPD-Spitzenkandidatin bekräftigt: "Wir haben den Führungsanspruch" - von Liebesheirat also keine Spur.
Denn inhaltlich trennt Sozial- und Christdemokraten viel: In der Bildungspolitik hatte sich die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft für "längeres gemeinsames Lernen" ausgesprochen. CDU-Chef Rüttgers dagegen plädiert für das dreigliedrige NRW-Schulsystem aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium - und hat die von den Sozialdemokraten Ende der Siebzigerjahre als Alternative dazu gegründeten Gesamtschulen gezielt benachteiligt. Nicht diese, sondern Hauptschulen wurden vorrangig mit Ganztagsangeboten ausgestattet. Auch die von Rüttgers bisherigem "Innovationsminister", FDP-Landeschef Andreas Pinkwart, eingeführten allgemeinen Studiengebühren vom ersten Semester an lehnt die einstige NRW-Bildungsministerin Kraft ab.
Dissens herrscht auch im Sozialbereich: Den von der SPD vehement geforderten Mindestlohn hat Rüttgers Arbeitsminister Karl-Josef Laumann immer abgelehnt. Stattdessen verteilt der Bundesvorsitzende der CDU-Sozialausschüsse gern Trostpflaster, lässt in besonders schlecht zahlenden Brachen Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Im Bereich Verkehr dagegen könnte schnell Einigkeit herrschen. Wie die CDU haben sich auch die NRW-Sozialdemokraten bisher gern als Autofahrerpartei profiliert - und in Beton investiert.
Viel Streit dürfte es aber um die künftige Energiepolitik geben: Als einstiger Umweltminister will SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel aus der Atomenergie aussteigen. Die CDU dagegen fordert Laufzeitverlängerungen, träumt in NRW sogar von einer Renaissance der Hochtemperaturreaktor-Technologie - dabei blieb ein entsprechender Meiler im westfälischen Hamm nach einer Pannenserie nur wenige Stunden am Netz. Im Gegenzug fordern die Sozialdemokraten Bestandsschutz für ihre bergmännischen Traditionsbataillone, wollen mindestens zwei Zechen mit einem "Kohlesockel" am Leben erhalten - was die CDU wegen Kosten in Milliardenhöhe strikt ablehnt: Spätestens 2018 sei Schluss, hat Regierungschef Rüttgers immer wieder beteuert.
Umweltschützer wie der Sprecher des Bunds für Umwelt und Naturschutz in NRW, Dirk Jansen, fürchten deshalb fatale Kompromisse: Die "Kohle-SPD vereint mit der Atompartei CDU", warnt er, stehe für "Stillstand pur".
Der linke Traum
BOCHUM taz | Begeisterung sieht anders aus: "Nicht regierungs-, nicht koalitionsfähig" - so hatte Nordrhein-Westfalens SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft die Linke im Wahlkampf immer wieder beschrieben. Doch nach der mit nur einem Sitz verpassten Mehrheit für Rot-Grün zeigt sich Kraft flexibel: Die SPD sei offen für "Gespräche mit allen Parteien", sagt sie, also auch mit der Linken. Einziges Zugeständnis an rechte Sozialdemokraten, für die ein Bündnis mit der Linkspartei der reine Horror ist: Zuerst soll mit der FDP verhandelt werden.
Dabei stehen sich SPD, Grüne und Linke inhaltlich näher, als manchem Sozialdemokraten lieb ist. Beim landespolitischen Topthema Bildung fordern alle drei Parteien ein Ende des in NRW mehrgliedrigen Schulsystems, das Kinder schon nach der vierten Klasse in Haupt- und Realschüler und Gymnasiasten sortiert: "Soziale Selektion" sei das, wettern PolitikerInnen aller drei Parteien. Allerdings: Während die oft radikal auftretende NRW-Linke den sofortigen Systemwechsel fordert, wollen SPD und Grüne nach den Erfahrungen des Hamburger Schulkriegs behutsam vorgehen und die Eltern mit einbeziehen: Die neuen Gemeinschaftsschulen sollen "von unten" wachsen, plötzliche Schulschließungen vermieden werden. Eine Abschaffung der Studiengebühren fordern dagegen alle drei - die Linke sofort, die SPD erst gegen Ende der Legislaturperiode, also in vier bis fünf Jahren.
"Unfinanzierbar" sei ein sofortiger Ausstieg aus den Gebühren, findet SPD-Chefin Kraft. Konsens besteht auch im Bereich Soziales wie in Teilen der Verkehrspolitik: Wie die Linken fordern auch SPD und Grüne die Einführung eines Mindestlohns. Außerdem machen sich die drei für die von den Grünen ins Gespräch gebrachte Einführung eines Sozialtickets für den öffentlichen Verkehr stark, das auch die Mobilität von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern sichern soll. "Unsere Wunschkoalition war Rot-Grün", sagt die Landeschefin der Grünen, Daniela Schneckenburger - "aber die inhaltlichen Schnittmengen mit der Linkspartei sind größer als mit der FDP." Schwierig dürften dagegen die Verhandlungen zur Energiepolitik werden.
Zwar lehnen alle drei Parteien jede Laufzeitverlängerung für die maroden deutschen Atomkraftwerke ab. Doch während die Grünen Druck gegen den "Klimakiller Kohle" machen, fordern SPD und Linke einen "Sockelbergbau" in Nordrhein-Westfalen: Mindestens zwei der noch immer Milliarden an Subventionen verschlingenden Steinkohlezechen sollen weiterlaufen. Gesichert werde nicht nur der Zugang zu den Lagerstätten, sondern auch die nordrhein-westfälische Bergbau-Zuliefererindustrie, argumentieren Sozialdemokraten wie Sozialisten. Selbst linke Grüne halten das für "strukturkonservativ", klagen über die "ganz alte Gewerkschaftslinie" beider. Als "nicht finanzierbar" gilt auch die 30-Stunden-Woche, mit der die Linkspartei Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes in NRW beglücken will. Vor einer "Wünsch-dir-was-Politik" warnt Grünen-Chefin Schneckenburger den potenziellen Koalitionspartner deshalb immer wieder - Rot-Rot-Grün könnte sonst schon bei der Aufstellung des ersten Haushalts scheitern.
BERLIN taz | Gerhard Papke. Will man die persönlichen und inhaltlichen Differenzen zwischen FDP und Grünen in Nordrhein-Westfalen auf den Punkt bringen, dann genügt die Nennung dieses Namens. Papke ist Vorsitzender der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag und ausdauerndster Kritiker der Windkraft im Land. Seit Jahren wettert er gegen die "Verspargelung der Landschaft" durch Windräder. Dies ist einer von vielen Gründen, die gegen eine Koalition der FDP mit dem Duo SPD und Grüne sprechen.
In vielen landespolitisch wichtigen Bereichen liegen insbesondere Grüne und FDP über Kreuz. Die FDP, die in Nordrhein-Westfalen seit fünf Jahren ihr Motto "Privat vor Staat" in Politik umsetzt, arbeitet gegen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrsnetzes. Stattdessen haben die Freidemokraten wiederholt für kostenloses Parken in Innenstädten geworben.
Nicht gerade Grünen-freundlich ist auch die Forderung des Innovationsministers und FDP-Spitzenkandidaten Andreas Pinkwart, in Jülich weiter an der Technologie für Hochtemperatur-Reaktoren zu forschen. Der dortige Meiler war der erste deutsche Hochtemperaturreaktor und bis 1988 in Betrieb. Der sogenannte Forschungsreaktor, den Pinkwart weiter betreiben will, war von 1962 bis 2006 in Betrieb. Doch mit Grünen und SPD ist eine Verlängerung der Nutzung der Atomenergie nicht zu machen.
Die Spitzenkandidatinnen Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) haben im Wahlkampf für die Abschaffung der Studiengebühren geworben. Zur Mitte der beginnenden Legislaturperiode soll es so weit sein. Und an diesem Punkt verbinden sich erneut persönliche und sachliche Konflikte zwischen den potenziellen Ampel-Koalitionären. Denn "Professor Pinkwart", wie seine Parteifreunde ihn nennen, hat diese hochschulpolitische Entscheidung vorangetrieben und gemeinsam mit der CDU 2006 beschlossen. Koalierte Pinkwart mit Grünen und SPD, müsste er selbst daran mitarbeiten, Kernpunkte seiner Politik rückgängig zu machen. Das scheint mit ihm nicht machbar.
Dennoch nähert sich Pinkwart zumindest rhetorisch SPD und Grünen an. Nach seinem strikten Nein am Montag sagte er tags darauf, Gespräche seien möglich, wenn die beiden Parteien auf Sondierungen mit der Linken verzichten. Diese Bedingung halten die Grünen für Unsinn. Und die Grünen-Abgeordnete Andrea Asch urteilt gegenüber der taz: "Die FDP fällt um, wenn es um die Macht geht."
Nach der Wahl hatte Hannelore Kraft die Parole ausgegeben: Erst führt die SPD Gespräche mit den Grünen, danach reden wir gemeinsam mit möglichen dritten Partnern, zunächst mit der FDP. Ob es überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen über Inhalte kommt, ist jedoch fraglich.
Die FDP argwöhnt, die SPD nötige die Grünen zu gemeinsamen Gesprächen mit den Freidemokraten nur zum Schein. Denn nach dem Scheitern der Verhandlungen ließen sich, so die Vermutung, gegenüber den rechten SPDlern Sondierungen mit der Linken rechtfertigen. Nach dem Motto: Wir haben wirklich alles versucht, aber die FDP will einfach nicht.
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