2. Ökumenischer Kirchentag: Wo bitte geht’s hier zur Einkehr?

125.000 Christen in 3.000 Veranstaltungen auf dem Massen-Event Ökumenischer Kirchentag. Auf der Suche nach einem Ort der Ruhe - ohne Chor, Posaunenbläser und Käßmann.

Oasen aus Sandhäufchen mit Plastikpalmen und Felsen aus Pappmaché. Bild: thomas dashuber

MÜNCHEN taz | Menschen überall. In der Innenstadt, der Messelinie U2, den Shuttlebussen des Kirchentags. Wie eine langsam rollende Lawine wälzt sich die Masse mit ihren orangenen Erkennungs-Schals in Richtung Messe. Alle pilgern sie zu den Käßmanns, Hirschhausens und Merkels dieser Tage. Aber wo bitte geht’s hier zur Einkehr? Wo kann ich mich nach einem anstrengenden Kirchentag in die Waagerechte begeben, den Lärm und die Menschen ausblenden, mal ein paar Minuten für mich sein?

Ein besorgter Pfadfinder sieht meinen schleppenden Gang und meine Augenringe von weitem und schickt mich in Halle B2. Gleich mehrere Oasen erwarten mich dort, kleine Sandhäufchen mit Plastikpalmen und mächtige Fake-Felsen aus Pappmaché. „Oase der Versuchung“ – nein danke, vielleicht später. „Oase der Fußwaschung“, als wenn jemand die Füße, die seit Stunden in Stiefeln vor sich hin schwitzen, wirklich waschen möchte. „Oase der Begegnung“. Eben nicht, verdammt!

Und da ist sie endlich, weiß Gott keine Fata Morgana: die „Oase des Schweigens“. Mitten in der Messehalle, von Ruhe kann keine Rede sein, aber nun gut. Versuchen wir es. Ich lege mich auf den gelben Teppich, mitten in eine Traube Mit-Ausgebrannter. Wir schweigen gemeinsam. Meine Glieder und Augenlider werden ganz schwer, doch Ruhe und Entspannung wollen sich einfach nicht einstellen. Ich kann nicht, wenn mich alle beobachten können.

Weiter geht’s. Ein anderes Service-Angebot des Kirchentags erwartet mich in Halle A4: Jeder, der möchte, kann sich aufs Ohr hauen, in von der Bundeswehr bereitgestellten Betten. Diese stehen zu mehreren zwischen Plastik-Stellwänden, Marke Krankenhaus-Mehrbett-Zimmer. Ich könne schlafen, solange ich wolle, erklärt mir die freiwillige Helferin Paula und führt mich zu meinem Bett in einem „Sechser-Séparée“. Es gebe sogar einen Weckdienst.

Auf jedem Nachttisch, einem Würfel aus braunem Pappkarton, warten Kuscheltiere auf die Ermüdeten. Ich decke mich zu und drücke meinen Hasen an die Brust. Die Geräuschkulisse rückt immer weiter in die Ferne: Petra Paus Stimme von der Podienreihe „Ressourcen der Demokratie“, das Schnarchen meiner Bettnachbarin, Kindergeschrei.

Kuscheltiere und Krankenhaus-Atmosphäre. Bild: smechowski

Das erste Mal in meinem Leben liege ich in einem Feldbett, mitten in einer Messehalle. 30 Meter über mir riesige, graue Stahlträger. Das grelle Licht der Neonröhren blendet mich. Ich schließe die Augen – und schlafe ein. Gefühlte zwei Minuten später kommt jäh der nicht bestellte Weckruf: Die Gruppe von „ÖKT Barrierefrei“ singt schallend im Kanon „Rock my soul in the bosom of Abraham“ und klatscht dazu im Takt. Nach dem großzügigen Sekundenschlaf wanke ich gerädert zurück in die Menge.

Genau dort, verloren im Pulk, wünsche ich mir plötzlich einen Ort herbei, den ich schon lange nicht mehr aufgesucht habe: die Kirche. Ruhe, Einkehr, Besinnung, ob nun religiös motiviert oder nicht. Hat mich etwa der Ökumenische Kirchentag wider Erwarten der Kirche, wenn auch nur als Ruheort, wieder näher gebracht? Die Stille gehört zum Kerngeschäft der Kirche – doch den meisten braven Christen vor Ort scheint genau das Gegenteil zu gefallen: das Massenspektakel mit Applaus.

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