piwik no script img

Kommentar TürkeiDes Machogehabes müde

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Häme aus dem Regierungslager, Kilicdaroglu sei ein "schwacher Führer", könnte sich gerade zu seinem Vorteil auswirken.

S eit dem letzten Samstag hat "The Wind of Change" auch die Türkei erreicht, zumindest die türkische Opposition. Die neue Parteiführung der CHP mit Kemal Kilicdaroglu an der Spitze verspricht, die Agonie der Opposition zu beenden und endlich wieder eine politische Alternative zur islamisch grundierten Alleinherrschaft der AKP unter Tayyip Erdogan aufzubauen.

Bislang lebte die AKP auch und nicht zuletzt von der Schwäche der Opposition. Deniz Baykal, der lange, lange Jahre die CHP beherrschte, hatte die einstige sozialdemokratische Partei von Bülent Ecevit immer mehr und immer tiefer in eine rechte, nationalistische Ecke manövriert. Für die CHP unter Baykal gab es nur noch den Kampf für die Bewahrung des kemalistischen Erbes und seiner laizistischen Tradition.

Und so war es Baykal, der die Sozialdemokraten und Linke, aber auch viele moderne Türken, die zur konservativen-islamischen AKP eine Alternative suchten, praktisch politisch heimatlos machte. Denn seine rückwärts gewandte CHP war für Leute dieser Einstellung einfach nicht wählbar. Gleichzeitig scheiterten alle Neugründungen, die das von Baykals CHP geschaffene Vakuum füllen wollten, an der Zehnprozenthürde, die eine Partei in der Türkei überwinden muss, um ins Parlament zu kommen.

Alle diese politischen Strömungen setzen nun auf Kilicdaroglu. Begeistert stellten etliche Kommentatoren nach dessen Antrittsrede auf dem Parteitag fest, dass er in einer Stunde kein einziges Mal das Wort Laizismus benutzt hat. Stattdessen sprach er von Arbeitslosigkeit, von einer Familienversicherung und von einer Stärkung der Gewerkschaften. Er will weg von der unheilvollen Allianz mit dem Militär, für die Baykal stand. Statt über Religion und Kemalismus, über Kopftuch und Stahlhelm, wird in der Türkei plötzlich wieder über Korruption, Arm und Reich und Arbeit für alle geredet. Fast schon über Nacht ist der Mann zu einem Hoffnungsträger weit über seine Partei hinaus geworden.

Dabei hat Kilicdaroglu bislang noch viele Fragen offengelassen. Seine Aussagen zum türkischen EU-Beitritt gingen über Floskeln nicht hinaus, wie überhaupt die Außenpolitik für ihn noch keine Rolle spielt. Klare Aussagen zu Minderheitenrechten blieb er gleichfalls schuldig. Bislang hat die CHP systematisch gegen Verbesserungen für religiöse oder ethnische Minderheiten votiert. Doch auch wenn der neue Parteichef keine ethnische Politik machen will, wie er sagte, Kilicdaroglu kommt aus einer alevitisch-kurdischen Familie und wird deshalb der kurdischen Frage sicher mehr Empathie entgegenbringen, als Baykal das getan hat.

Die Türken erwarten jetzt eine konstruktive Opposition. Die meisten von ihnen sind das Machogehabe von Baykal wie von Erdogan mehr als leid. Die Häme aus dem Regierungslager, Kilicdaroglu sei ein "schwacher Führer", könnte sich infolgedessen gerade zu seinem Vorteil auswirken. Nach dem Getöse der letzten Jahre sind viele Wähler und Wählerinnen durchaus angetan von dem Gedanken, mal wieder in einem zivilen Ton angesprochen zu werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • R
    Realist

    Ihren Kommentar hier eingebenWAS BITTESCHÖN HAT ERDOGAN GEMACHT?. Ausser sich immer wieder mit dem Gründer der Rebuplik Türkei ( Atatürk) und seinem modernen System auseinander zu setzen, wo er ehe dankbar sein müsste. Kein Stein wurde gelegt, kein Fabrik wurde gegründet. Für die Demokratie .. alles was er versprochen hat, nichts wurde gehalten. Die Anzahl der Menschen, die in den Gefängnissen sitzen, nur weil sie ihre Meinungen kundtun, haben in seiner Zeit höchstrekord erreicht. Minderheitenrechte, vergessen wir blos. Die Versprechungen gegen über der Aleviten, was war das denn weg damit. Der Druck in der Justiz und in Medien, niemals wurde es so schlimm. Er hat beinahe alle Zeitungen und TV-Kanäle gekauft oder seiner Mannschaft verkauft, sodass sich niemand über dinge objektiv äussern kann ohne irgendwie bestraft zu werden. In Aussenpolitik hat er versagt(Entfernung von AB und Co, genauso mit USA obwohl USA ihm zur Macht verholfen hat), im Innenpolitik genauso, jedentag sterben Menschen durch die PKK .. Bislang hat er sich mit den gebildeten, intellektuellen, Ärzten, Lehrern, Professoren, Offizieren, Mittelsicht das A und O der Türkei angelegt (wegen persönlicher Defizite nehme ich an).

    Eines hat sich geändert das stimmt. Er allein und seine Unterstützer sind nur reicher und reicher geworden ..

     

    Ja, ich glaube, dass Kilicdaroglu sogar persönlich ein viel besserer Mensch ist, geschweige denn ein ehrlicher Politiker. Wenigstens weiß er wie man in der politischen Bühne mit Menschen ohne zu beleidigen redet ..da wäre Türkei schon dankbar ..könnt ihr euch ausmalen wie es den Leuten da schon geht ..

  • TA
    Türke @ ali mali

    Egal ob Alevite - Sunnite oder Ermeni, Kurde oder Türke , sind wir doch alle Kinder dieses Lands/Bodens, haben Jahrhunderte friedlich miteinander gelebt und werden es noch Jahrhunderte weiterhin tun.

    Die Abspaltungsversuche des Westens werden scheitern -ohnehin ist ihre Außen Politik eine Katastrophe!

     

    In einer Demokratie muss der Frau das Recht gegeben werden kein Kopftuch tragen zu müssen, aber eins tragen zu dürfen wenn Sie möchte,darüber haben sie nicht zu entscheiden!

     

    Die CHP hat hoffentlich begriffen das Ihre Reaktionäre Haltung zu Zeiten der Veränderung bei vielen auf Unmut gestoßen ist -die Außen Politik dürfte sich aber auch unter Kilicdaroglu kaum ändern, daher brauchen sie sich gar nicht freuen!

    Sie müssen langsam begreifen das wir zu "mächtig" sind um weiterhin Ihre Handlanger zu sein !

     

    MfG

  • H
    Hakan

    Endlich ist Herr Baykal weg, der die CHP zu einer reaktionären Partei verkommen ließ. Ich bin selbst ein Sozialdemokrat und ein Kemalist, aber ich zähle mit Sicherheit weder Baykal, noch die CHP zu den Sozialdemokraten und schon gar nicht zu den Kemalisten. Ein Kemalist ist ein Mensch der stets für den Fortschritt und für das Moderne im Volk kämpft. Dabei auch bereit ist, revolutionär diese Ziele durchzusetzen. Atatürk war diese erste revolutionär, der die Türkei aus dem Mittelalter innerhalb weniger Jahre ins 20. Jahrhundert befördert hat. Hättet es damals schon Herrn Baykal gegeben, hätte er sicherlich Atatürk und sein Kampf für die Änderung der türkischen Gesellschaft bekämpft. Herr Baykal sollte sich schämen sich als Sozialdemokrat und Kemalisten zu bezeichnen. Herr Baykal ist für mich nur ein reaktionäre Nationalist und die CHP eine faschistische Partei. Ich hoffe jedoch inständig, dass ich als Sozialdemokrat und als Kemalist, mit Herrn Kilicdaroglu in der CHP wieder eine politische Heimat in der Türkei finde.

  • AM
    Ali Mali

    ich hoffe das bei den nächsten wahlen die partei von erdogan abgestraft wird. was sich gerade in der türkei abspielt ist länger nicht mehr zu ertragen.

     

    schlüsselposititonen werden nur noch an islamisten vergeben, die söhne von erdogan sind stolze besitzer von yachten. minister versorgen ihre familienmitglieder mit tollen jobs und aufträgen.

     

    die juwelen der türkischen wirtschaft wurden an ausländische investoren verkauft und die arbeiter gehen leer aus. die jugendarbeitslosigkeit ist immens, kinderarmut und kinderarbeit hat sich erhöhr. die familienministerin bezeichnet homosexualität als krankheit, minderheiten haben immer noch keine rechte. und die kopftuchtragenden frauen werden immer mehr.

     

    erdogan verhält sich wie ein sultan und denkt er könne bald europa erobern. es wird zeit das die türken und die europäer wach werden.

     

    denn es gibt viele deutsche unternehmer die von erdogan profiteren, auf kosten der demokratie in der türkei.

  • C
    ceyweb

    Kilicdaroglu ist ein alevit und dazu Kurde.

     

    In Europa wird immer wieder behauptet, dass in der Türkei Aleviten und Kurden unterdruckt werden.

     

    Von 1 Presidenten waren bis jetzt 9 Kurden. Jetzgier President ist ein halber Armenier.

     

    Derzeit die hälfte der Ministerpresidenten sind Kurden. 60% der Abgeordnete sind Kurden.

     

    Der Staatsapparat gehört zu 95% den Aleviten und antiislamisten.

     

    Nur zur Info.

  • T
    Tayfun

    Hoffungsträger???

    Für was bitte??

    Die Türkei hat schon seit einigen Jahren den Hoffungsträger überhaupt! dieser heißt ERDOGAN.

    Wer sonst hat die Türkei zu so einen Fortschritt verholfen??

    Erdogan hat vieles zu positiven verändert und ändert noch mit aller Kraft.

     

    Ghandi....eine Beleidigung meiner Meinung nach jemanden so zu nennen der noch nichts auf die Beine gestellt hat.

    Die CHP (Cumuriyet Halk Partisi) zu deutsch: Türkische Volkspartei steckt in vielen Putsch- Skandalen und Korruptionen sind in der Tagesordnung. Verwickelt ist die CHP auch mit dem Staat im Staat, mit der die Türkei viele Probleme bis dato hat und hatte.

    Das Militär kann dank Erdogan auch seine Macht nicht mehr verwirklichen.....somit wäre auch das Kurdenproblem, Griechenland, Zypern, die Armenien Frage in der Türkei gelöst.

    Aber das wollen diese Menschen(CHP) halt nicht.

    Sie wollen die Türkei unter ihrer Macht halten damit sie die Taschen voll machen können.

    Ich sage NEIN zu CHP!!

  • G
    Guest

    'Macho' steht eigentlich neudeutsch für 'Kanacke'. Achtet mal drauf. Das Vokabular ist flexibel. Die Einstellung bleibt gleich.

  • Z
    Zaza

    Kilicdaroglu ist mit 100 prozentiger sicherheit kein alevitischer kurde sondern ein alevitischer Zaza.

    Zaza sind keine Kurden.

    Wenn ihr über ihn recherchiert dann macht das bitte richtig.