piwik no script img

SehnsuchtGärten, vor Orkanen geschützt

Weil der Helgoländer sich nach nach dem Land sehnt, schafft er sich einen Ort, wo kein Wasser ist: einen Kleingarten. An den Idyllen, die wir basteln, kann man sehen, was wir vermissen.

Zu hoch gebaut: In den 60er Jahren wurde verlangt, dass die Höhe des Gewächs- und Gartenhauses die Zaunhöhe nicht überragt. Bild: Ulrike Schmidt

Die Hütten haben kleine Fenster. Sind auch welche zugewachsen. Stehen Hecken da aus Grün, Mauern aus Holz. Die Gärten sind aufgeräumt. Die Menschen auch.

An den Idyllen, die wir basteln, kann man sehen, was wir vermissen. An der Kleingartenanlage auf Helgoland sieht man, wie schwer das Leben hier ist. Was das Meer für die Helgoländer bedeutet, sieht man dort, wo sie es los zu werden versuchen. Ist nicht einfach, wenn man davon umzingelt ist. Da muss man sich den Ort, wo kein Wasser ist, schaffen. So, wie wir uns in der Stadt das Meer machen, mit Teichen und Seen, macht sich der Helgoländer das Land. Weil es das ist, wonach er sich sehnt.

Auch nach den Farben, die fast überall auf der Insel von Himmel und Meer weggesaugt werden. Nach Bäumen, die es hier nicht gibt, weil der Tourist von überall das Wasser sehen soll. Auch wenn dem Helgoländer ohne Farbe und Bäume das Wasser bis zum Hals steht. Touristisch bringt der Meerblick das Geld, für den Helgoländer ist es aber dann und wann lebenswichtig, keinen zu haben.

Mit dem Aufzug ins Oberland und dann rechts halten. An der Klippe entlang zur Kleingartenanlage. Den Verein gibt es seit dem 1. April 1968, einem Jahr in dem hierzulande manches anfing. Auch Kleingartenvereine.

Da kommt Kai Lange angeschnauft, der Erste Vorsitzende der Kleingärtner. Von Beruf Verwaltungsangestellter und als Kämmerer für die Finanzen der Insel zuständig. Es gibt 120 Gärtner auf Helgoland, 100 von ihnen sind in 75 Gärten aktiv. Die Anlage ist 8.000 Quadratmeter groß, das macht pro Garten so zwischen 100 und 150 Quadratmeter. "Nicht vergleichbar mit Anlagen auf dem Land", sagt Lange. Es gibt ein paar Gärten, die sind nur unwesentlich größer als ein Badetuch.

Mehr Land im Westen

Es besteht eine Warteliste, auf der ist ein Duzend Helgoländer aufgeführt. Müssen zwei bis drei Jahre warten, bis ein Plätzchen frei wird. Der Helgoländer gibt seinen Garten nur auf, wenn es gar nicht mehr geht. Lange will erweitern, Richtung Norden geht nicht, zu stürmisch, im Westen ließe sich was machen. Da gibt es Land, das der evangelischen Kirche gehört. Die Kleingärtner haben schon mal vorgefühlt. Gleich beim Krater aus dem Zweiten Weltkrieg, die Galloway-Rinder, die hier grasen, finden auch ein paar Meter weiter was zu fressen.

In jedem zweiten Garten steht ein Gewächshaus. In den 60erJahren wurde von den Gärtnern verlangt, dass die Höhe des Gewächs- und Gartenhauses die Zaunhöhe nicht überragt. Eine Bauvorschrift, für die Touristen gemacht, die Insel und Bewohner am Leben erhalten, und es ihnen schwer machen. Das hatte zur Folge, dass die Häuschen in den Boden eingegraben werden mussten und die Gärtner trotzdem den Kopf einziehen mussten. Der für die Einhaltung der Regeln zuständige Beamte war selbst Kleingärtner und achtete unnachgiebig darauf, dass gegen seine Regeln nicht verstoßen wurde. Eines dieser Häuschen steht noch, soll aber abgerissen werden. Wäre ein Fehler.

Gärten zur Versorgung

Damals wurden die Gärten wegen der Versorgung betrieben. Alles, was auf die Insel importiert werden muss, war und ist teuer. Kartoffeln wurden angepflanzt, findet man auch heute noch. "Liefern beste Ergebnisse", sagt Lange. Grünkohl, Salat, Weiß- und Rotkohl, Tomaten, Gurken, Zwiebeln. Stachelbeeren, Rhabarber, Erdbeeren, Himbeeren. Man denkt ja, das Salz in der Luft, das alles zerfrisst und zum Rosten bringt, lässt nichts wachsen, und nur die grünsten Daumen können auf der Insel erfolgreich sein. Lange schüttelt den Kopf. Man muss sein Gärtchen allerdings so anlegen, dass es vor den Orkanen, die über die Insel fegen, geschützt ist.

Piet hat es mit Kräutern

Harry hat einen schnuckeligen Garten. HSV und FC St. Pauli-Emblem einträchtig nebeneinander - je weiter man weg ist, desto höher steht man über dem kleinlichen Hader - und vier Rosensorten: altrosa, gelb, rot, gelb-orange. Geranien, Nelken, Lavendel, Kohlrabi, Rote Beete, Bohnen, Salat, Birnen, Feigen, Zucchini, Lauch. Piet, im Garten nebenan, hat es mehr mit Kräutern. Salbei und Rosmarin, Basilikum und Oregano, Dill und Bohnenkraut.

In Olaf Olsens Garten steht Olaf Olsen: Pepita-Hut, Hände in den Taschen, Puschen an den Füßen. Neben Olaf Olsen, wie in vielen Gärten, ein Fahnenmast. Hängt aber weder eine HSV- noch eine Werderfahne dran, und auch die von Helgoland, sondern weißes Kreuz auf rotem Grund. Die Mutter war Dänin. Olsen hat in Kopenhagen eine Lehre gemacht, hat lange auf Sylt gelebt, und in Oberstorf. Als ihm ein Kumpel sagte, er soll mitgehen nach Helgoland, um dort zu kellnern, hat er ihm einen Vogel gezeigt. "Nie mehr Insel, dort gibt es doch nur Steine und Wasser", hatte sich Olsen geschworen. Ist aber dann doch mitgegangen. "Ist doch immer dasselbe", sagt Olsen, "ne Frau hat mich geschnappt". Er ist geblieben. Sein Garten ist nicht in Schuss, weil Olsen, nicht mehr der Jüngste, monatelang krank war. Hat gerade angefangen, für Ordnung zu sorgen, konnte sich aber nur um die Steckrüben kümmern. "Die mag ich", sagt er.

Bei Olsen ist mehr Leben

Das Gras steht hoch, gefällt ihm nicht, ist aber ein wohltuender Kontrast zu den auf Stoppelhöhe gebrachten Nachbaranlagen. Bei Olsen sind mehr Insekten und ist mehr Leben. Ingrid Petzold aus Uhingen, deren Mann aus Göppingen und Küchenmeister in der Paracelsus-Klinik ist, zeigt mir Wolfgangs Garten: Radieschen, Karotten, Erbsen. "Der kocht damit", sagt Frau Petzold.

"Wir haben hier etwa 150 Zentimeter Erde, dann kommt der Fels", erklärt Lange. Der Kleieboden, mit dem der Kleingärtner hier kämpft, ist so fett, dass er nicht vom Spaten geht. Wenn es nicht regnet, ist er hart wie Beton. "Es regnet ja zu wenig", sagt Ingrid Petzold, "denjenigen, die nicht auf Helgoland leben, kommt das wie viel Regen vor, aber das sind immer nur kurze Schauer, dann hört es auf". Das reicht nicht, um den Boden etwas geschmeidiger zu machen. "Wir brauchen viel Sand und Torf, um die Erde nutzbar zu machen", erklärt Lange.

Um den Sand Idylle gebaut

Günther Köhn, 68, in Rente gegangener Zimmerer, hat zehn Lastwagenladungen Sand in seinen Garten geschippt. Und drum herum viel Idylle gebaut. In der Hütte lässt Köhn, dessen Eltern vor dem Zweiten Weltkrieg schon einen Garten hatten, und der zu den 68er-Gärtnern gehört, seiner ausgeprägten Sammelleidenschaft freien Lauf: Bierdeckel, Bierseidel, Figuren, Wimpel, Krimskrams. Und im Garten ein Grill und eine grün eingerahmte Sitzecke. Sehr lauschig. "Jo", fragt Köhn, "was wollt ihr trinken? Ich hab alles da!"

Er hat tatsächlich alles da: Die Farben, das Grün, die Sonne, das Licht. Schön ist, dass man das das Insel beherrschende Element in zwei Versionen gebändigt im Glas hat. Mit etwas Kohlensäure und in Eisform. Man schmeckt es kaum. Das Wasser. Das Andere ist stärker.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!