Frankreich streikt: Die Schlacht um die Rente
Die französischen Gewerkschaften kämpfen für die Rente mit 60. Die ist für viele Franzosen das Herzstück ihres Sozialstaats. Die Regierung aber will das Rentenalter anheben.
"Es geht für uns um viel", sagt Gewerkschaftsführer Bernard Thibault. Auf dem Spiel steht vielleicht nicht nur die Verteidigung des sauer erkämpften Rechts, mit 60 in Rente gehen zu können. Auf dem Spiel steht auch die Glaubwürdigkeit der französischen Gewerkschaftsverbände, die gestern geschlossen mit einem Aktionstag gegen die Rentenreformpläne der Regierung mobilisierten. Je nach Umfrageinstitut wollen 57 bis 63 Prozent der Leute am gesetzlichen Rentenalter 60 festhalten. Dieses ist in ihren Augen ein Symbol des französischen Sozialmodells. Wenn es falle, sei nichts mehr vor dem Sozialabbau sicher.
62 Prozent der Befragten erklärten laut Le Parisien sogar, sie seien bereit, zur Verteidigung dieser Errungenschaft aus dem Jahre 1983 auf die Straße zu gehen. Längst nicht alle von ihnen hielten allerdings Wort. Immerhin beteiligten sich Zehntausende an den Kundgebungen. Der Unterricht fiel in vielen Schulen ganz oder teilweise aus. Ebenso mussten zahlreiche Flüge abgesagt werden. Nur schwach betroffen von Ausständen war der öffentliche Verkehr, denn die Regierung hatte den Beschäftigten der staatlichen Bahngesellschaft versprochen, sie seien von der Verschlechterung der Ruhestandsbedingungen nicht betroffen.
Auch für die Regierung war der gewerkschaftliche Protesttag ein Test. Sie weiß, dass diese Reform in der Bevölkerungsmehrheit schlecht ankommt und zu einer sozialpolitischen Kraftprobe werden dürfte. Aus diesem Grund wird die öffentliche Meinung schon seit Wochen mit häppchenweise servierten Indiskretionen auf die Sanierungsmaßnahmen zur Finanzierung der Altersvorsorge eingestimmt. Die Staatsführung geht davon aus, dass das Stimmungsbarometer im internationalen Kontext der Krise und der Angst vor einer neuen Rezession mehr auf Resignation als auf Rebellion zeigt. Trotz der breiten Ablehnung einer Erhöhung des Rentenalters von 60 auf 62, 63 oder 65 Jahre will sie noch im Herbst ihre Vorlage im Parlament im Eilverfahren durchbringen. Bis dahin lässt sie sich so wenig wie möglich in die Karten schauen.
Die Gewerkschaften, denen eine Mitbestimmung versprochen worden war, fühlen sich heute von diesem "Lügenpoker", so die Zeitung Midi Libre, an der Nase herumgeführt. Der Regierung ist es so gelungen, das Rentenalter 60 im europäischen Vergleich zur unhaltbaren "Anomalie" und die Anhebung zum Sachzwang zu machen. In Wirklichkeit scheiden die französischen ArbeitnehmerInnen im Durchschnitt vor dem 59. Lebensjahr aus dem Berufsleben aus, und mehr als ein Drittel der 55- bis 65-Jährigen sind vor ihrem Ruhestand nicht mehr erwerbstätig.
Die sozialistische Opposition macht die Debatte zur Rettung des Rentenalters 60 zu einer politischen Auseinandersetzung in Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen von 2012. Parteichefin Martine Aubry verspricht vollmundig, bei einem Wahlsieg der Linken werde das gesetzliche Rentenalter wieder auf 60 gesenkt. Sie schlägt als Alternative vor, die Finanzierung der Altersvorsorge durch eine zusätzliche Besteuerung des Kapitals und der höchsten Einkommen und eine Erhöhung der seit 1979 fixierten Arbeitgeberbeiträge zu sichern.
Staatspräsident Nicolas Sarkozy schiebt die Schuld an der Misere kurzerhand seinem sozialistischen Vorgänger François Mitterrand in die Schuhe: "Wenn ich daran denke, was François Mitterrand angerichtet hat, als er das gesetzliche Rentenalter von 65 auf 60 Jahre gesenkt hat! Heute hätten wir viel weniger Probleme, wenn er das hätte bleiben lassen."
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