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Auf der Herdplatte verbrannt

Bei der „Così fan tutte“-Premiere an der Komischen Oper wird Regisseur Peter Konwitschny ein Mozart in Auflösung verziehen

Konwitschnys Hilflosigkeit ist ein Dokument des ehrlichen Respekts vor diesem Werk und auch des eigenen Scheiterns

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Peter Konwitschny will es sich nicht leicht machen. Seinem Publikum auch nicht. Dankbarkeit klang mit in dem anhaltenden und einhelligen Applaus nach der Premiere seiner „Così fan tutte“-Inszenierung, Dankbarkeit wohl vor allem dafür, dass es endlich wieder einmal um das Ringen mit dem Stoff ging. Genau damit war die Komische Oper einst zu einer Heimat des Geistes in der Wüste der DDR geworden, und auch in Konwitschnys Arbeit – er ist Schüler von Ruth Berghaus – lebt ein Ernst und eine Suche nach Tiefe fort, die dem westlichen Opernbetrieb immer fremd war.

Ostalgisch ist daran gar nichts, wie allein schon Konwitschnys Erfolg der letzten Jahre in Hamburg und Graz beweist. Für „Così fan tutte“ in Berlin allerdings nahm er sich besonders viel vor an inszenatorischem Ernst. Die Proben endeten in einem Fragment, die Aufführung ist ein Besuch in der Werkstatt für unlösbare existenzielle Fragen. Vieles wird ausprobiert, nichts lässt sich zu einem schlüssigen Ganzen zusammensetzen.

Es beginnt im Gasthaus, zwei Männer besaufen sich an ihren Bräuten, die sie als Puppen auf dem Schoß halten. Treu seien die, auch sonst ganz wunderbar, am Nebentisch sitzen Elche, die wohl selber welche waren – man muss an diesem Abend auch lernen, dass Konwitschny vor keinem noch so billigen Kalauer zurückschreckt. Einer am Tisch weiß es besser und bietet ihnen eine Wette an: Treue gibt es nicht in der Liebe. Sie schlagen ein, die Wette gilt. Es ist Polterabend, viel Kaffeegeschirr geht zu Bruch, Schnapsgläser fliegen in die Kulisse. Dann dreht sich die Bühne und wir stehen vor einem gemalten Dschungel im Stil des Malers Rousseau. Noch ein Kalauer: Denn natürlich steht der Name ebenso für Mozarts Zeitgenossen, den Philosophen der guten menschlichen Natur. Auch die Mädchen haben ihre Puppen im Schoß. „Addio“ heißt es nun, denn die wirklichen Männer müssen in den Krieg. Zum ersten Mal klingt jener schmerzliche Ton der verstörenden Empfindungen auf, der das ganze Werk grundiert. Im Bemühen, die Wendung möglichst augenfällig zu zeigen, lässt Konwitschny die beiden Paare durch einen Riss in der Dschungelwand in ein unwirklich goldenes Licht entschwinden.

Wohin gehen sie? Don Alfonso, der Alte aus der Kneipe, weiß es und weiß es doch nicht. Die Männer ziehen nicht in den Krieg, in langen Unterhosen und mit Turban notdürftig verkleidet werden sie zurückkehren und jeder wird die Braut des anderen erobern. Das Experiment wird gelingen. Konwitschny hat eine sonst kaum je bemerkte Tragik dieses Aufklärers entdeckt. Gleich mehrmals schießt sich sein Alfonso in den Kopf. Es ist zum Verzweifeln, man möchte nicht weiterleben, wenn das alles wahr ist – so bittet er um ein gnädiges Schicksal für die Männer.

Dorabella und Fiordiligi erkennen sie tatsächlich nicht wieder – und Mozarts Komposition unterscheidet sehr genau zwischen dem bloßen Spiel, etwa in den Gassenhauern der Kammerzofe Despina, und dem echten Gefühl, das nun den falschen gilt. Nie wieder in seinem ganzen Werk hat er dem Erlebnis der Liebe so alle Grenzen der formalen Konvention sprengend Raum gegeben wie in der großen Arie der Fiordiligi im zweiten Akt. Maria Bengtssons Stimme bewältigt die Herausforderung gut, die dramatische Einheit dieses Mikrokosmos von Scham, Lust und Selbstbehauptung im Sturm der Triebe jedoch zerfällt ihr – symptomatisch für die ganze Aufführung – in Einzelteile.

Mit schuld daran ist gewiss auch der Dirigent Kyrill Petrenko: Auch er bemüht sich überall um möglichst große Deutlichkeit, verfällt dabei aber oft in eine angespannte, nervöse Hektik, in der der Zusammenhang untergeht. Atemlos klingt sein Mozart, schon die Ouvertüre ist viel zu schnell, aber Konwitschnys Regie leidet darunter kaum. Denn Mozarts Frage nach der Liebe hat auch ihr den Atem verschlagen. Für den zweiten Akt ließ sich der Bühnenbilder Jörg Koßdorf glühende Heizschlangen einfallen, auf denen nun das Experiment wie auf einer Herdplatte zu Ende gekocht wird. Wieder eine Idee, die kaum besser als ein Kalauer ist. Konwitschny selbst traut ihr nicht viel zu. Alfonso gewinnt seine Wette, Konwitschny lässt den Vorhang fallen, Applaus vom Band: „So machen’s alle“, Ende.

Eben nicht, aber Konwitschny kann auf Mozarts Finale nur mit einer Hilflosigkeit reagieren, die zugleich ein Dokument des ehrlichen Respekts vor diesem Werk und auch des eigenen Scheiterns ist. Bekanntlich wird nun Hochzeit gefeiert, aber wer soll nun wen nehmen? Noch immer klingt trotz Jubelchören in den Quartetten der zwei Paare der Addio-Ton mit – es ist nun der Ton einer Erkenntnis geworden: Sexuelle Lust und Zuneigung zu einem anderen Menschen verschmelzen zum nicht beherrschbaren Schicksal. Konwitschnys Alfonso fällt an dieser Stelle aus der Rolle. Die Aufführung bricht ab, er kann nicht mehr. Tatsächlich steht im Libretto nicht, wer nun wirklich heiratet. „Vielleicht ist das nicht wichtig“, sagt einer der Sänger, aber das klingt so falsch wie alles andere. Und der letzte Kalauer, dass die beiden Männer heiraten sollten, weil das „ja auch gut so“ sei, gehört nun wirklich gestrichen.

Mozart in Auflösung also, und eine Inszenierung, die sich am Ende auf nichts mehr festlegen will. Das Publikum hat alles verziehen und die Premiere zum Erfolg werden lassen. Vielleicht hat es Recht, weil das zur Komischen Oper passt. Hier wird tief geschürft, und wenn es aus diesem Grunde nicht gut endet, ist das in Ordnung.

Komische Oper, nächste Aufführungen: heute, 27. 11., 9., 13., 17., 21., 30. 12.

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