Freispruch nach über 20 Jahren

Vor dem Landgericht muss sich ein 50-Jähriger verantworten, weil er 1986 einen Anschlag auf US-amerikanische Soldaten geplant haben soll. Kurz vor dem Attentat habe er Gewissensbisse bekommen, so der Angeklagte. Das Gericht spricht ihn frei

von Benjamin Brand

Dieser zweistündige Prozess war wie eine Reise in eine vergangene Zeit: Weil er angeblich im Jahr 1986 einen Anschlag auf Einrichtungen der US-Streitkräfte in Berlin geplant hatte, musste sich ein 50-Jähriger gestern vor dem Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf Imad M. zudem vor, in seiner Wohnung dafür Maschinenpistolen und Sprengsätze gelagert zu haben. Als Angriffsziel hätte er sich zusammen mit mehreren Komplizen aus dem Umkreis der libyschen Botschaft einen Truppenbus ausgesucht. Der Anschlag fand jedoch nie statt.

Imad M. reist 1982 aus dem Libanon nach Ostberlin. Eine Aufenthaltsgenehmigung hat er nicht, aber ein paar gefälschte Pässe in der Tasche. In Berlin wohnt der Libanese zunächst im Palast Hotel, später zieht er in den Westen in eine Wohnung in Kreuzberg um. Er macht Bekanntschaft mit einigen arabischstämmigen Einwanderern. Zu dieser Gruppe gehören auch die späteren Drahtzieher des Attentats auf die Diskothek „La Belle“ in Friedenau. Bei dem Bombenanschlag auf die vorwiegend von amerikanischen GIs besuchte Disko wurden am 5. April 1986 drei Menschen getötet und mehr als 200 verletzt.

Als die Gruppe Ende März 1986 von den Luftangriffen der USA auf Libyen erfährt, ist schnell die Rede von Vergeltungsmaßnahmen. Imad M. soll dabei behilflich sein. Man bietet ihm einen Koffer voll Geld an. Wie viel, ist bis heute unklar. Imad M. lehnt ab. Dennoch lagert er Waffen, die für den Angriff gedacht sind, für zwei Tage bei sich in der Wohnung.

Dann überkommen den Mann Zweifel. Vor Gericht wird aus seinen früheren Aussagen zitiert, dass er Gewissensbisse bekommen habe. Aufgrund seiner Erfahrungen aus dem libanesischen Bürgerkrieg wollte er nicht für den Tod anderer Menschen mitverantwortlich sein. Imad M. veranlasst, dass die Waffen wieder zurück zur libyschen Botschaft in Ostberlin gebracht werden. Der Anschlag auf den Bus wird abgeblasen.

Während der zweistündigen Verhandlung gestern bedurfte es weder Zeugen noch langer Plädoyers. Das Gericht wertete Imad M.s Verhaltensweise als freiwilligen Rücktritt von der Planung eines Verbrechens. Weder die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch die Operationsinformationen der Staatssicherheit der DDR ließen die Deutung zu, der Angeklagte sei „unfreiwillig zurückgetreten“. Eine Mitschuld könne man ihm nicht nachweisen.

Das Gericht sprach den Angeklagten deswegen vom Vorwurf der Planung eines Verbrechens frei. Die Straftat, Waffen in seiner Wohnung gelagert zu haben, was als Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gilt, ist seit 1996 verjährt. Imad M., nach Auskunft der Staatsanwaltschaft ohne Beruf, verließ den Gerichtssaal als freier Mann.

Dass es fast 20 Jahre gedauert hat, bis das Landgericht den Fall verhandeln konnte, hat verschiedene Gründe. Die Anklage gegen Imad M. geht auf Unterlagen der DDR-Staatssicherheit zurück, die erst nach 1989 zur Verfügung standen. Ein erster Prozess, der unter anderem auch im norwegischen Bergen geführt wurde, platzte vor mehreren Jahren. In Norwegen war Imad M. 1991 festgenommen worden.

Und: Zahlreiche wichtige Zeugen standen dem Gericht nicht zur Verfügung, insbesondere jene, die schon in Verbindung mit dem „La Belle“-Prozess gehört worden waren, der 2001 in Berlin abgeschlossen wurde. Sie machten von ihrem Recht Gebrauch, nicht in einer zweiten Verhandlung aussagen zu müssen. Im gestrigen Prozess war ihre Vernehmung nicht mehr notwendig, weil der Freispruch für den Angeklagten absehbar war.