Kuratorin Olbrich über Provinz-Ausstellung: "Es spielt keine Rolle, wo man wohnt"
Was bedeutet Provinz heute und wie wird sie von zeitgenössischen Künstlern verarbeitet? Dieser Frage widmen sich vier Ausstellungshäuser im Westen Niedersachsens. Veronika Olbrich von der Städtischen Galerie Nordhorn über Klischees, Katalysatoren und Sehnsuchtsorte.
taz: Frau Olbrich, ist Nordhorn Provinz?
Veronika Olbrich: Der Begriff Provinz ist überholt, weil er sich ja immer an dem Begriff Metropole orientiert. Präziser könnte man von einer Randlage sprechen. Natürlich befindet sich Nordhorn in einer Randlage, nämlich ganz im Westen Niedersachsens an der Grenze zu den Niederlanden. Die nächste größere Stadt ist etwa 70 Kilometer entfernt.
Was ist der Unterschied zwischen einer Randlage und der Provinz?
Der Begriff Randlage bezeichnet etwas eher im soziologischen und geographischen Sinn. Während der Begriff Provinz besetzt ist: Provinz bedeutet gleichsam provinziell. In der Städtischen Galerie Nordhorn haben wir uns aufgemacht, das Klischee von der Provinz zu beleuchten und den Begriff umzudeuten. Wir erweitern das Prinzip des Geschlossenen, des Stillstands und der Sesshaftigkeit, zeigen Provinz als einen Ort, der auch ein Durchgangsort ist. Eine Zwischenstation. Etwas, wo eine Katalysatoren-Funktion einsetzt. Wo sich Biographien unter einem gewissen Schutz entwickeln und dann wo anders zur Entfaltung kommen.
Sie wollen die Provinz mit der Ausstellung aufwerten?
Die Ausstellung ist vielschichtiger. Wenn am Ende eine Aufwertung damit zusammenhängt, ist es das Eine. Aber es geht darum, dass man heutzutage von der Provinz im negativen Sinne gar nicht sprechen kann. Man kann eher von so etwas wie einem Global Village sprechen. Es spielt heutzutage keine Rolle, wo man wohnt, weil wir eng miteinander verbunden sind durch moderne Reisemöglichkeiten.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Ausstellung zum Thema Provinz zu machen?
An dem Ausstellungsprojekt "Der offene Garten" sind neben der Städtischen Galerie Nordhorn die Kunsthalle Lingen, der Kunstverein Grafschaft Bentheim und das Otto-Pankok-Museum in Gildehaus beteiligt. Wir wollten gemeinsam eine Ausstellung machen. Also haben wir uns zusammengesetzt und nachgedacht, welches Thema uns eigentlich alle betrifft. Alle Häuser beleuchten das Thema der Randlage unterschiedlich.
studierte Soziologie und Sozialpsychologie in Hannover und war Geschäftsführerin des Kunstvereins Langenhagen bevor sie 2008 Leiterin der Galerie Nordhorn wurde.
Unter anderem zeigen Sie in Nordhorn Arbeiten von Peter Piller. Welche Vorstellung von Provinz zeigt sich darin?
Piller benutzt ein Archiv mit 7.000 Fotografien aus Regionalzeitungen und unterteilt die nach bestimmten Themen, zum Beispiel: "In-Löcher-Kucken", "Schießende Mädchen" oder "Das Leuchten". Bei uns wird die Serie "geehrte" gezeigt. Zu sehen sind zehn verschiedene Gruppenfotos, auf denen Personen einen Zettel hochhalten, auf dem etwas steht, das auf diesen Fotos nicht mehr zu erkennen ist.
Die Fotos sind aus dem Kontext gerissen …
… und haben keinerlei Bedeutung mehr. Es ist eine Art von Foto, die sich in den letzten 20, 30 Jahren kaum verändert hat. Jeder kennt diese Art von Regionalzeitungsfoto. Letztlich ist aber kaum mehr erkennbar, wofür die gezeigten Personen geehrt wurden. Der Inhalt dieser Urkunden wird austauschbar. Wenn jemand aus einer anderen Kultur kommen würde, würde er sich fragen, warum diese Leute so zusammen stehen und was sie für Zettel hochhalten.
Der Künstler Stefan Demming zeigt in einem Film, wie eine Ordensschwester aus dem Münsterland einen großen Zirkus bei seiner Tour durch die USA begleitet. Wo steckt in die Provinz in dieser Arbeit?
Die Schwester Bernadis spricht Mundart, reist mit dem Zirkus von Ort zu Ort und nimmt in dieser Gemeinschaft einen festen Part ein. Die Gemeinschaft ist sehr eingeschworen, vergleichbar mit einer Dorfgemeinschaft. Da stellen sich Fragen: Was heißt in diesem Zusammenhang noch regionale Identität? Was heißt in unserer globalisierten Welt noch regionale Identität?
Was ist Ihre Antwort?
Ich glaube, dass es eine immer stärkere Durchmischung gibt. Aber die Frage nach regionaler Identität wird immer bedeutsamer. Es geht im Moment in Ausstellungen viel um Landschaft und viel um die Thematik Sehnsuchtsorte.
Haben Sie auch Sehnsuchtsorte in der Ausstellung?
In der Arbeit des Hamburger Künstlers Volko Kamensky beschreiben drei Frauen in einem 22-minütigen Film einen Sehnsuchtsort. Kamensky hat drei Personen am Telefon nach ihrer Vorstellung von einem Ort am Rande eines Waldes befragt. Die Frauen haben alle einen ähnlichen Ort beschrieben. Es ging um Pflege von Traditionen, Harmonie, um Ruhe, Ausspannen, das Gegenteil von Metropolen, wo es laut und unruhig ist. Offenbar gibt es in unserem kollektiven Gedächtnis eine Vorstellung davon, was wir mit einem kleinen Ort am Waldrand verbinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!