piwik no script img

Fragenband des MfS181 Argumente für den Stasi-Job

Am Mittwoch stellten führende Ex-Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ihr Buch "Fragen an die Stasi" vor. Kompetent antworten ist aber so nicht so ihr Ding.

Dieser Raum im Stasimuseum war auch der Drehort einiger Szenen im Oscar-prämierten Film "Das Leben der Anderen". Bild: Lukas Bergstaller – Lizenz: CC-BY

Zu Beginn wird eine Unterschriftenliste in Sachen Bundespräsidenten-Wahl herumgereicht. Das Anliegen ist eindeutig: "Keine Stimme für Joachim Gauck" heißt es. Über den früheren Studentenpfarrer aus Rostock und späteren Bundesbeauftragten für die Hinterlassenschaften der Staatssicherheit heißt es weiter: "Sein militanter Antikommunismus hat Deutschland nicht geeint, sondern tiefer gespalten. Im Kampf gegen die ,Diktatur' wurde er selbst zum Meinungsdiktator. Kein Wort hört man von ihm zu den Sparorgien der Bundesregierung, nichts zu Armut und Arbeitslosigkeit, zum Töten in Afghanistan."

Es ist Mittwoch, früher Abend, wir sind in der Weitlingstraße im Berliner Bezirk Lichtenberg, die Räume gehören der "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde". Es ist kein Zufall, dass es am Anfang des Treffens um die Personalie Gauck geht. "Fragen an das MfS" steht auf dem eigentlichen Programm. Es soll über das Buch mit dem gleichnamigen Titel gesprochen werden, das führende Mitarbeiter des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in diesem Frühjahr verfasst haben. Das knapp 400 Seiten starke Werk ist aus der Sicht der Verfasser eine "Entgegnung auf gängige Kritik und Vorurteile", und für die steht keiner besser als der von SPD und Grünen nominierte Präsidentschaftskandidat.

Rund 30 Personen haben sich versammelt, darunter zwei Frauen. Das Durchschnittsalter dürfte über 65 Jahre liegen. Der Kreis ist klein, man kennt sich. Angesprochen wird mit Vornamen. Mit dabei ist etwa Gotthold Schramm, Mitarbeiter des MfS von 1952 bis 1990, letzter Dienstgrad Oberst, ab 1954 in der Hauptverwaltung Aufklärung zuständig für Geheimdienstbearbeitung und Spionageabwehr. Oder Wolfgang Schmidt, mit 17 Jahren von der Stasi angesprochen, Karriere im Ministerium, heute Betreuer der Homepage des "Insider-Komitees".

181 Fragen in 19 Kapiteln werden aufgeworfen. Von "Was waren Tschekisten?", über "Das MfS soll Killerkommandos im Einsatz gehabt haben?" bis "Weshalb hat das MfS ,Andersdenkende' verfolgt und die Opposition in der DDR unterdrückt?". Das Buch polarisiert, weiß Frank Hoffmann vom Verlag Edition Ost zu berichten. Einige Buchhändler weigerten sich, den Fragenband zu verkaufen, andere hingegen könnten die große Nachfrage gar nicht bedienen.

Es war wichtig, dass Buch zum 60. Jahrestag der Gründung des MfS erscheinen zu lassen, sagt der frühere Oberst Reinhard Grimmer. Verleumdungen und Unwahrheiten sollten damit aus der Welt geschafft werden. Ihm ist wichtig, festzuhalten, "dass die Arbeit der Aufklärung des MfS der international üblichen Tätigkeit von Auslandsnachrichtendiensten entsprach".

Über den Inhalt des Buches muss nicht diskutiert werden, da sind sich die Anwesenden einig. Problematischer scheint dagegen, dass es aus den Reihen der früheren Genossen auch Kritik an "Fragen an das MfS" gibt. Müsst ihr die ganze Geschichte wieder aufwühlen? Das bringt doch nichts, wäre es nicht besser zu schweigen? Das sei häufig zu hören. Kein Wunder, meint etwa Gotthold Schramm, der bedauert, dass nicht alle führenden Stasi-Genossen ihre Arbeit nach der Wende offensiv verteidigt hätten. Bleibt die Frage, wie glaubwürdig die Autoren Antworten geben.

Die taz berichtete Mitte Januar, wie die Mitarbeiter der Abteilung – durch ein Interview, das der Schriftsteller Stefan Heym mit dem Leipziger Biologen Jakob Segal 1987 für die taz führte – die These lancierten, dass das Aids-Virus ein Ergebnis fehlerhafter US-amerikanischer biologischer Waffenforschung gewesen sei. "Eine Ente in jeder Hinsicht", heißt es dazu in "Fragen an das MfS". Der "Kron- und überhaupt einzige Zeuge" für die Story, schimpfen die Verfasser, habe für Bares "stets Unerhörtes mitzuteilen".

Geld gab es für den Mitarbeiter, der nach eigenen Angaben an dieser Desinformationskampagne beteiligt war, aber keineswegs. Und zum Inhalt der Geschichte, die Ende der 1980er Jahre für Aufregung sorgte, erklären sich die früheren Offiziere gar nicht. Der 2001 verstorbene Heym sei viel zu klug gewesen, "sich für eine solch niederträchtige Übung" benutzen zu lassen. Die Tatsache aber bleibt, dass das Interview am 17. Februar 1987 gedruckt wurde. Manche der Antworten sind so gesehen mit einiger Vorsicht zu genießen. Das spielt an diesem Abend aber keine Rolle.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

11 Kommentare

 / 
  • T
    Thorsten

    Auch mutmaßliche Mörder haben in einem Rechtsstaat ein Recht auf Verteidigung und auch verurteilte Mörder haben ein Recht auf Meinungsäußerung.

     

    Ob und inwieweit die Stasi mit der Gestapo, dem CIA oder dem BND vergleichbar ist, muss man eben herausfinden. Dafür ist eine Untersuchung der zu vergleichenden Organisationen in der Breite notwendig. Ein bloßes Fokussieren auf Einzelfälle der Art "Stasimitarbeiter X hat dies gemacht, aber CIA-Agent Y genauso" reicht nicht aus. Naturgemäß hat man es da leichter, wenn die Organisation schon tot ist und zum Sezieren vor einem liegt.

  • C
    chris

    Immer wieder behauptet Ex-Stasi, sie sei ein Geheimdienst wie jeder andere gewesen - also ganz legitim.

    Was für eine Lüge! Die Stasi war nicht Geheimdienst, sondern GEHEIMPOLIZEI. Sie hat gespitzelt, Existenzen zerstört, gemordet - ohne jede demokratische oder juristische Kontrolle.

    Ihr Vorbild an Effizienz und Menschenverachtung waren NKWD und Gestapo.

    Über die Nulpen vom BND hat die Stasi nur gelacht.

    Das den lieben Wessis ins Stammbuch, die sich heute von der generalstabsmäßig organisierten Stasi-Propaganda einwickeln lassen.

  • D
    DDR-Fluechtling

    Nach diesem Prinzip sollten die Nazi-Funktionaere ein auklaerendes Buch schreiben. Und vielleicht erklaeren, das die Juden sich selbst umgebracht haben. Auch die Maueropfer haben sich gegenseitig ermordet.

    Manchmal ist die deutsche Permissivitaet zum kotzen.

  • C
    cyctologie

    1.)man kann immer etwas lernen. auch wenn menschen über sich selber schreiben.

    2.)wie normal die arbeit der stasi im internationalen vergleich war, sieht man doch an den folter/geheim knästen der cia, von denen auch der bnd gerne mal profitiert.

    3.)länger als 10 jahre hätte auch die stasi den völlig ergebnislosen "operativen vorgang - militante gruppe(mg)" nicht durchgezogen.

     

    ergo: -wo man "im westen" auch immer hinschaut- kommunistenverfolgung, der start als "organisation gehlen" (HALLO NAZI) es ist alles voll mit den so genannten ewig gestrigen. der westen traut sich keinen ehrlichen umgang mit der stasi da er dann ehrlich gegen sich selbst sein müsste. diese verlogenheit gibt den alten stasi kadern den raum der hier kritisiert wird.

  • T
    Thomas

    Komisch. Ich dachte, zu einer Aufarbeitung von Geschichte gehört, das auch die Täter ihre Sicht der Dinge äussern dürfen? Oder geht es doch nur um eine Hexenjagd und Verteufelung der DDR? Kann man der DDR eigentlich nur das Unrecht anrechnen, das spezifisch mit der Ein-Parteien-Diktatur zutun hat, oder auch solches Unrecht, das überall auf der Welt und in jedem Staat passiert?

     

    Es gibt zu viele Christen wie den Herrn Gauck, die immer nur den Kommunisten "Pazifismus" verordnen.

     

    Ach, fragen wir doch mal die ganzen Wessis, was ihre Eltern gerade gemacht haben, als damals (auch) die Kommunisten in den KZs vergast wurden. Alles Unschuldige Rechtsstaatler, Nazis nie gewollt, zum Krieg gegen SU gezwungen worden, von KZs nichts gewusst. Ist eine Lebenslüge.

     

    Wenn mein Vater von den Nazis ermordet worden wäre und ich dann sehe wie die Halbtäter (=Mitläufer) dann wieder Führungsposten bei BKA, Bundeswehr und BND bekommen, hätte ich mich vielleicht auch bei der Stasi engagiert.

  • C
    Claudia

    Sowieso unverständlich wie Leute allen Ernstes glauben konnten, 'für das Volk' zu arbeiten, indem sie selbiges bespitzelten, ihre umgebenden Nachbarn und Freunde aushorchten und unter Druck setzten.

    Leider wächst diese Klientel auch nach, es werden sich wohl in jedem System Wasserträger finden, die meinen, es am besten zu wissen, die auf andere herabsehen und im Dienste der öffentlichen Sicherheit oder Ähnlichem spitzeln und bedrohen und das genau andersherum darstellen.

  • S
    Sub

    @roterbaron: Naja, du hast zwar recht, aber wer hat bisher die Meinung und Fakten über die Stasi bestimmt? Antikommunistische Konservative. Haben wir oder unsere Medien denn bisher ein ausgeglichenes, faires, neutrales Bild von der Stasi? Stasi ist doch schon fast ein Synonym für Böse; bis zur 7. Klasse hab ich die Stasi noch andauernd mit der Gestapo verwechselt.. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Arbeit des MfS überwigend so war, wie die Arbeit der meisten Auslandsgeheimdienste dieser Welt..

    Was nichts gutes bedeutet, schließlich hat der französische Geheimdienst nichtmal davor zurückgeschreckt, ein Greenpeace-Boot in die Luft zu sprengen. Für mich eines der absurdesten Beispiele für die Brutalität und Gefährlichkeit von Geheimdiensten.

  • G
    gaijinette

    Ich sehe keinen Unterschied zwischen Stasi-Selbstdarstellung und BND-Selbstdarstellung. Beides sind staatliche Spionage-, Sabotage-, Fälscher- und Mörderorganisationen, bloß hat der Westen gesiegt, sonst nämlich hätte es eine Gauck-Behörde im Osten, der dann siegreichen DDR, gegeben, und es wäre der BND gewesen, der auf seine menschenverachtende und allumfassende Bevölkerungsdurchdringung hin untersucht und geächtet worde wäre und wer weiß welcher West-Politiker dann in das neue DDR-Parlament übernommen worden wäre... bei gar manchem hätte es dann geheißen: Halt, der war doch IM beim BND... -- Also, ich denke, das ist doch eine realistische, Sicht, oder nicht?

     

     

    Von Herrn Gauck erhoffe ich mir eben dies:

     

    * Die Untersuchung des BND und sonstiger West-'Dienste' nach dem Vorbild der Gauck-/Birthler-Behörde. Vielleicht regt er ja die Einrichtung einer entsprechenden Behörde an.

     

    Es gibt eine Verbindung zwischen der flächendeckenden Manipulationen des BND und der zunehmend asozial orientierten BRD, die darin besteht, kritisches Potential zu eliminieren, d.h., Menschen aus dem Verkehr zu ziehen (O-Ton BND-Nazi: 'trockenlegen'), nämlich a) über materiellen Ruin (Hartz-IV), soziale Ausgrenzung (Arbeitslose seien selber schuld, sowieso Faulenzer, und andere Mythen), und b) (das kann ich kaum beweisen, aber ich erlebe es seit drei Jahren) Operationen von BND und Konsorten.

     

    * Somit zweite Hoffnung: Die Entdeckung des Sozialen. (Schön, daß Sie die Freiheit hier entdeckt haben, Herr Gauck, jetzt würde ich mich freuen, wenn Sie auch noch das Soziale wiederentdeckten...)

     

    --gaijinette aka claire

  • SS
    Stephanie Seidel

    @roterbaron

    Der Wahrheit entsprechen wird es vermutlich nicht, aber es liefert eine einmalige Innenperspektive.

     

    Es gibt ja auch autobiographische Berichte von Folterern, also wohlgemerkt nicht nur von Folteropfern sondern auch von Leuten, die sich dafür hergegeben haben, diesen Job zu machen.

    Für eine möglichst vollständige Ansicht auf das Phänomen der Folter gehören diese Berichte dazu und sie haben auch riesigen Erkenntniswert, auch wenn sie vermutlich jede Menge Rechtfertigungen für nicht zu rechtfertigendes enthalten werden.

     

    Was davon nun genau zur Wahrheitsfindung beiträgt, kann man ja immer noch nach dem Lesen und am Detail entscheiden.

  • R
    roterbaron

    Ehemalige Stasileute haben ein aufklärerisches Buch über die Stasi geschrieben.

     

    Das ist doch der Punkt oder?

     

    Ich weiss, das der folgende Vergleich etwas hinkt.

     

    Wir lassen doch Mörder nicht selbst ihre Fälle aufklären, dafür gibt es doch Polizei.

    Denn wenn der Mörder den Bericht schreiben würde, wäre es in diesem dann vermutlich "Notwehr".

     

    Und dieses Buch soll der Wahrheit entsprechen?

  • P
    Peter

    Manche Ewiggestrige sind einfach unbelehrbar, ich kann es nicht fassen.