Präsidentschaftskandidaten: Zum Verlieren auserwählt
Wie ist das, als Verlierer ins Rennen zu gehen? Peter Sodann, Dagmar Schipanski und Hildegard Hamm-Brücher erzählen es.
Es hat mit einem Bier begonnen. Peter Sodann, der Schauspieler und "Tatort"-Kommissar, saß mit Gregor Gysi von der Linkspartei im Herbst 2008 in Halle in einem Café. Sie saßen, sie schwatzten, da rückte Gysi mit dem Satz heraus: "Willst du Bundespräsident werden?" Sodann hat laut gelacht.
Peter Sodann ist 74 Jahre alt, er guckt immer ein wenig müde, er hat eine Menge hinter sich. Er war in der DDR Werkzeugmacher, dann Jurastudent, er war Schauspieldirektor und nach der Wende "Tatort"-Kommissar. Er ist ein Mann, der Gelegenheiten nutzt. Jetzt kam Gysi mit der Bundespräsidentenidee. "Wann passiert einem schon so was?", meint Sodann heute.
Er guckte Gysi an und sagte: "Ja! Ich will!" Sie lachten. Sie tranken Bier. Es war auch ein Spaß. Von Anfang an war klar, dass Sodann keine Chance hatte.
Und es ist ja wirklich eine schizophrene Situation. Die Wahl des Bundespräsidenten in Deutschland ist ein abgekartetes Spiel. Der Sieger steht vorher fest. Die anderen Kandidaten laufen in diesem Spiel herum wie freundliche Statisten. Die Parteien holen sie, damit sie jemanden zum Vorzeigen haben. Damit es so aussieht, als wäre es eine echte Wahl mit offenem Ausgang. Dann ist die Aufregung kurze Zeit groß, die Politiker, die Zeitungen, das Fernsehen, das Radio, die Onlinemedien - alle machen mit. Dieses Mal kann besonders schön Spannung erzeugt werden, weil der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck die Wahlleute der Konkurrenz angeblich so stark in Versuchung führt. Auf die Linkspartei-Kandidatin Luc Jochimsen trifft das weniger zu.
Es ist ungefähr so wie bei einem Schaukampf der World Wrestling Federation. Vorher großes Täterätä, aber am Ende gewinnt stets der vorbestimmte Kandidat. Und die anderen? Sie kehren zurück in die Nische, aus der man sie gezerrt hat.
Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der sonntaz vom 26./27. Juni 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Der Termin: Am Mittwoch wählt die Bundesversammlung in Berlin den Präsidenten. Die Versammlung besteht aus allen 622 Bundestagsabgerodneten plus 622 Wahlleuten, die die Landtage nominiert haben. In den ersten zwei Wahlgängen gewinnt, wer 623 Stimmen hat; im dritten reichen die meisten (relative Mehrheit).
Die Chancen: Christian Wulff ist Kandidat von CDU, CSU und FDP, die 644 Wahlleute stellen - ein ordentliches Polster. Davon gehen sicher 4 FDPler ab, die Joachim Gauck wählen wollen. Ihn haben SPD und Grüne aufgestellt (insgesamt 462 Stimmen). Für die Linke (124) kandidiert Luc Jochimsen. Damit Gauck gewinnt, müssten ihn neben Bayerns Freien Wählern (10) um die 20 Schwarz-Gelbe und praktisch alle Linkspartei-Leute wählen. Superunwahrscheinlich.
Dagmar Schipanski, aus Ilmenau in Thüringen, sagt, dass es ein ziemlicher Stress war damals. 1999 haben die CDU und die CSU sie aufgestellt. Schipanski war eine 56 Jahre alte Wissenschaftlerin, aus dem Osten, parteilos. Sie war eine Überraschungskandidatin. Keiner hatte mit ihr gerechnet. Auch sie selbst schien während ihres Wahlkampfs bisweilen verblüfft, dass es so weit kommen konnte.
Aber Schipanski hat auf dem Gebiet der Festkörperelektronik promoviert. Sie war Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Sie kann zwei und zwei zusammenzählen. Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung waren klar. Schipanski rechnete sich aus, dass sie gegen den Kandidaten von Rot-Grün Johannes Rau nur verlieren würde.
Warum hat sie trotzdem mitgemacht? "Ich wollte die Gelegenheit nutzen, meine Themen voranzubringen", erklärt sie heute. "Ich wollte für Ausgleich zwischen Ost und West sorgen. Ich wollte die Rolle der Frau stärken. Ich wollte die Bedeutung der Wissenschaft für die Zukunft dieses Landes herausstellen."
So hatte sie es sich vorgestellt. Aber dann jagte eine Pressekonferenz die nächste. Schipanski hatte nicht genug anzuziehen für die vielen Termine. Sie musste einkaufen gehen. Aber sie hatte keine Zeit. "Das war das Hauptproblem. Ich habe ja nicht gerade die Idealfigur", sagt sie heute. Plötzlich sollte sie durchs Land reisen, keiner hatte sie auf diesen Rummel vorbereitet, keiner ließ ihr Zeit, einen Koffer mit entsprechenden Kleidern zu packen. So kam es, dass Schipanski dreimal hintereinander im selben grün-blauen Mantelkleid erschien. Natürlich haben sich die Journalisten da das Maul zerrissen über die unbedarfte Frau aus dem Osten.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt klingelte bei Schipanski das Telefon. Sie bekam einen Anruf von einer, die das alles schon hinter sich hatte. Von Hildegard Hamm-Brücher.
Hamm-Brücher war 1994 die FDP-Kandidatin fürs Bundespräsidentenamt. Sie ist Profi, sie ist seit 1948 in der Politik. Bei ihrer eigenen Präsidentschaftskandidatur hat sie sich keine Sekunde lang Illusionen gemacht. Sie wollte zeigen, dass auch eine Frau zur Verfügung steht. Als langjährige Staatsministerin im Auswärtigen Amt war sie es gewohnt, zu repräsentieren. Ihre Aufgeregtheit beschränkte sich demnach darauf, dass sie ihren Mann manchmal scherzhaft fragte, wie er sich denn fühle als Prinzgemahl. In der Rückschau bucht Hamm-Brücher ihre vergebliche Kandidatur ab als "großes Erlebnis". Mehr nicht.
Aber jetzt sah Hamm-Brücher diese Frau aus dem Osten durch den eigenen Wahlkampf stolpern. "Frau Schipanski tat mir so schrecklich leid", sagt Hamm-Brücher heute. Sie hat sie eingeladen in ihre Münchner Wohnung. Sie gab ihr ein paar Tipps.
Als am 23. Mai 1999 alles vorbei war, hat Dagmar Schipanski mit ihrer Familie eine Flasche Sekt getrunken. Heute gibt sie zu: "Ich war erst mal erleichtert, das Ganze unbeschadet überstanden zu haben". Sie klingt wie jemand, der sich aufs Glatteis gewagt hat und jetzt froh ist, glimpflich davongekommen zu sein.
Bei Peter Sodann war es anders.
Sodann hat sich vorgewagt. Als Präsidentschaftskandidat ging er zwar weiter jeden Morgen mit seinem Dackel spazieren. Aber er verkündete auch, dass er, wenn er nicht nur im "Tatort" Kommissar wäre, den Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann verhaften würde. Sodann wusste, dass solche Äußerungen ihn die Fernsehkarriere kosten. Er machte trotzdem weiter.
Am Abend vor der Wahl im Mai 2009 mietete Sodann sich in Berlin in einem Christlichen Hospiz ein. Am nächsten Morgen lief er zu Fuß zum Reichstag. Als möglicher Präsident wollte er Bescheidenheit demonstrieren.
Nachdem das Ergebnis feststand, tröstete Sodann sich: "Die haben sowieso alle einen an der Schüssel!" Er ging noch ein Bier trinken mit Gysi, Lafontaine und ein paar anderen.
Es hatte mit einem Bier begonnen. Es hat auch mit einem Bier geendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!