Südamerika bei der Fußball-WM: Uruguay ist durch, immerhin
Nach dem Ausscheiden aus der Fußball-WM sind die Brasilianer gefrustet. Doch wenigstens bleibe dem Kontinent nun ein nackter Maradona erspart, trösten sie sich.
PORTO ALEGRE taz | Müller, Schweinsteiger & Co. machen's möglich: Millionen Brasilianer fanden am Samstag Trost in der Entzauberung der argentinischen Startruppe durch die "deutsche Maschine". Die passenden Bilder dazu lieferte das Fernsehen bis in die späte Nacht, immer wieder das Mienenspiel von Diego Maradona am Spielfeldrand und seine Sätze auf der Pressekonferenz: "Das ist ein Faustschlag von Muhammad Ali, ich habe zu nichts mehr Kraft."
Tags zuvor hatten sie noch mit zunehmender Fassungslosigkeit verfolgen müssen, wie die Seleção nach furiosem Start in der zweiten Halbzeit fast kampflos den Holländern das Weiterkommen ins Halbfinale ermöglichte. Im Zentrum von Porto Alegre verfolgten Tausende die Partie auf zwei Großbildschirmen. Nach dem Abpfiff leerte sich der Platz vor der historischen Markthalle innerhalb von Minuten.
"Natürlich ist vor allem Dunga schuld, der hat ja unsere besten Leute zu Hause gelassen", sagte die völlig gelb-grün kostümierte Hausangestellte Ana Maria Moreira. Damit war sie sich einig mit Altstar Sócrates. Der beklagte in seinem Blog das, "was wir alle wussten": Ronaldinho habe gefehlt, und "vor allem unser Zoo, der im Land der Safari entscheidend gewesen wäre: Ente und Gans", also die Jungstars Alexandre Pato (AC Milan) und Paulo Henrique Ganso (FC Santos).
Für den Delikatessenverkäufer Adão Blanco war es "die Chronik eines angekündigten Todes. Mit dieser Halsstarrigkeit kann man nicht Weltmeister werden." Ronaldo, noch immer größter WM-Torjäger aller Zeiten, posaunte virtuell den Unmut vieler Fans hinaus: "Felipe Melo sollte seine Ferien besser nicht in Brasilien verbringen", twitterte er über den Mittelfeldmann, der nach seiner Steilvorlage zu Robinhos Führungstor durch sein Eigentor und die Rote Karte zum Sündenbock für die Niederlage anvanciert war.
Buchhändler Bolivar Almeida machte nicht nur bei Melo "mangelnde emotionale Selbstbeherrschung" aus, sondern selbst bei Lúcio, der bereits in der ersten Halbzeit ungewohnt nervös war: "Irgendwas ist vor dem Spiel passiert", meinte Almeida, "die extreme Kasernierung der Spieler war genauso verkehrt wie das Laisser-faire vor vier Jahren." Verantwortlich sei aber nicht nur der "reaktionäre General" Dunga, es seien auch "die, die ihn eingesetzt haben und jetzt weitermachen, als wäre nichts passiert".
Brasiliens Twittergemeinde übte sich in Galgenhumor. Zusammen mit den Dauerhassobjekten Dunga und Melo machte sie Mick Jagger als Bösewicht aus. Der war nach den Niederlagen der USA und Englands auch zum Hollandspiel auf der VIP-Tribüne in Port Elizabeth aufgetaucht, diesmal mit seinem brasilianischen Sohn. Der beliebteste Tweet lautete: "WM-Mathematik: Hurensohn Mick Jagger + Hurensohn Felipe Melo + unerfahrener Schiedsrichter + Esel Dunga - Ronaldinho Gaúcho = Tschüss, sechster Stern + splitternackter Maradona".
Beliebt waren auch Beschwörungsformeln an die Deutschen, sie sollten die Einlösung von Maradonas Gelübde verhindern, der als Weltmeister nackt um den Obelisken in Buenos Aires tanzen wollte. Gerade dort fand am Samstag vor einem Riesenbildschirm die eindrücklichste Trauerfeier der argentinischen Fans statt, deren Gesichter nach dem 0:1 in der dritten Spielminute immer länger wurden.
Die konservative Tageszeitung La Nación zitierte den 38-jährigen Fan Aníbal Enríquez "mit der argentinischen Fahne in den Händen, mit der er wenige Minuten später seine Tränen trocknen sollte: ,Diego hatte einen Traum, er konnte ihn nicht einlösen. Wir haben alles gegeben, aber es hat nicht sollen sein. Ich werde mein ganzes Leben lang daran leiden.' "
Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hüllte sich in Schweigen. Gatte und Vorgänger Néstor habe "aus Aberglauben" ihren Vorschlag zurückgewiesen, das Spiel unweit von Patagoniens Gletschern anzuschauen, wusste La Nación. Wenigstens könnten die Kirchners nun kein politisches Kapital aus einem WM-Sieg schlagen, tröstete sich das Blatt.
Für den brasilianischen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva fielen die schwarzen Tage für Brasilien und Argentinien mit dem Beginn seiner Afrikareise zusammen, die er mit einem Triumph der Seleção in Johannesburg krönen wollte. Nach dem "deprimierenden" Hollandspiel habe er "schlecht geschlafen", sagte er auf den Kapverden. Das argentinische Desaster kommentierte er mit einem rätselhaften Lächeln: "Immer wenn eine Mannschaft aus dem Mercosur verliert, welke ich dahin."
Nun drückt er Uruguay die Daumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!