Förderung vor dem Sinken: Solarbranche droht Hitzeschlag
Solarfirmen in Berlin und Brandenburg boomen - gerade weil Fördermittel des Bundes bald gekappt werden. Doch der Einbruch kommt danach, warnen Experten.
Der Bäcker in Adlershof freut sich über die Sommerpause bei Solon. Das Betriebsrestaurant hat geschlossen, zwei lange Wochen. "Da probieren wir notgedrungen alles in der Gegend einmal aus", sagt Sylvia Ratzlaff, die Sprecherin der Solarfirma. Das hebt den Umsatz beim Bäcker, denn: Solon hat jede Menge zu tun. Die Auftragsbücher quellen über, lange Urlaubspausen für die Mitarbeiter sind im Moment nicht drin. "Wir beobachten Vorzieheffekte", so Ratzlaff. Im Herbst steht die nächste Kürzungsrunde bei der Solarförderung des Bundes an; wer Sonnenkollektoren aufs Dach möchte, schlägt jetzt noch zu.
Ähnlich gut wie Solon, dem Schwergewicht in der Region, geht es vielen anderen Unternehmen der Branche. Euphorisch äußert sich gleichwohl keiner: Die Fotovoltaikindustrie ist darauf bedacht, ihren Ruf als übersubventionierte Branche nicht zu füttern. Außerdem dürfte auf die gute Auftragslage ein wirtschaftlicher Einbruch folgen. Auch wenn es bei Solon offiziell heißt, das Niveau werde gehalten - Experten prophezeien anderes: Der größte Industrieverband der Solarwirtschaft, Epia, geht für 2011 von einem bundesweiten Minus auf dem deutschen Markt von 40 Prozent aus. Und die Experten der BHF-Bank rechnen mit einem "drastischen Nachfragerückgang".
Die Solarbranche ist ein Symbol für die Re-Industrialisierung Berlins nach den Massenstilllegungen der 90er-Jahre: Um die Jahrtausendwende nahm der Zweig an Fahrt auf, boomt seitdem in der Stadt genauso wie im umliegenden Brandenburg. Nur zahlmäßig macht sich das bisher wenig bemerkbar: Mit 5.000 Arbeitsplätzen in der Region Berlin bietet die Solarbranche nur ein Zehntel der Jobs, die es im Bereich Gastgewerbe gibt.
Gleichwohl sind Berlin und Brandenburg einer der "Hubs" in Deutschland: Neben Süddeutschland und Sachsen-Anhalt eine der Regionen, in der sich die Industrie sammelt. Etwa 45 Prozent der bundesweit hergestellten Solarmodule kommen aus der Spreeregion.
Der maßgebliche Vorteil liegt in der Nähe zu den Hochschulen und ihren Absolventen. "Wir punkten mit der Forschungslandschaft, wir können Fachkräfte liefern", sagt Christoph Lang von der Wirtschaftsförderung des Landes, Berlin Partner. Unternehmen bestätigen dies - der Modulhersteller Inventux Technologies etwa hat sich vor drei Jahren bewusst in Berlin gegründet. "Wir hätten anderswo vielleicht mehr Fördermittel erhalten, entscheidend war aber der Attraktivitätsfaktor der Stadt - mit ihrer Nähe zu Forschungseinrichtungen", sagt Thorsten Ronge, Marketingchef von Inventux. Die Firma sitzt mit gut 200 Mitarbeitern im Clean Tech Business Park in Marzahn, einem Gewerbegebiet speziell für Firmen, die mit erneuerbaren Energien zu tun haben. Noch ist dort viel Platz für Neuansiedlungen, Inventux ist das erste Unternehmen auf dem Gelände.
Adlershof ist da schon weiter; Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft arbeiten als Netzwerk, von dem auch die Solarbranche profitiert. Über die Adlershof-Manager kämen Wirtschaftsvertreter aus dem Ausland zu ihnen, die sonst gar nicht von dem Modulhersteller Solon erfahren hätten, erzählt Solon-Sprecherin Sylvia Ratzlaff.
In der Krise erging es dem Industriezweig wie der gesamten regionalen Wirtschaft: Durchgeschüttelt, aber nicht abgestürzt. "Bisher ist kein wesentlicher Player aus dem Markt gedrängt worden", sagt Timon Meyer, bei Berlin Partner für den Industriezweig zuständig. Langfristig rechnet er mit mehreren 10.000 Arbeitsplätzen in der regionalen Solarindustrie - damit würde die Branche langsam zum Tourismus aufschließen. PEZ
In Berlin und Brandenburg, eine der deutschen Solar-Schlüsselregionen, werden sich die Effekte ballen - das wissen auch die Wirtschaftsförderer. Sie beklagen das Hin und Her in der Bundespolitik. "Die Unternehmen bräuchten verlässliche Signale aus der Politik. Doch die fehlen", sagt Christoph Lang von Berlin Partner. Hersteller und Investoren seien durch die Diskussionen verunsichert.
Planungssicherheit sei, was der Branche fehle, bestätigt Carsten Hafermann von der Geosol-Geschäftsführung. Geosol entwickelt verschiedene Projekte in der Solarbranche und sitzt mit 35 Mitarbeitern in Wilmersdorf. Bei den derzeitigen Wellenbewegungen laufe jede Planung ins Leere, sagt Hafermann, selbst Studien würden da nicht helfen. Immerhin: Derzeit haben die Ingenieure so viel zu tun, dass sie dringend Personal suchen - und einstellen.
"Vor einer anstehenden Kürzung beobachtet man immer, wie das Geschäft lebhafter wird", berichtet Thorsten Ronge, beim Marzahner Modulhersteller Inventux Technologies für Produktmanagement und Marketing zuständig. Auf den Rest dieses Jahres blicke er entsprechend "absolut positiv", und über 2011 sagt er: "Im nächsten Jahr sind wir noch nicht." Gleichzeitig merkt er an, dass sich Inventux verstärkt europäische Märkte erschließe, um sich breiter aufzustellen. Auf den Heimatmarkt verlassen will sich die Firma nicht mehr.
Auch Solon in Adlershof wappnet sich für die nächste Durststrecke. Als 2009 Spanien seine Förderung drosselte, der dortige Markt nahezu komplett wegbrach und noch dazu die Wirtschaftskrise Kreditmöglichkeiten für Investoren beschränkte, rutschte Solon in die Verlustzone. Eine neue Erfahrung für das bis dahin rasch gewachsene Unternehmen. Die Lage hat sich inzwischen stabilisiert, die Kurzarbeit - von der vor allem Verwaltungsmitarbeiter betroffen waren - ist beendet. Nun denkt das Unternehmen mit seinen etwa 900 Mitarbeitern über Produktpalette und Strategie nach. "Wir müssen jetzt weiter daran arbeiten, uns zusätzliche Zielmärkte zu erschließen", sagt Ratzlaff.
Inventux, Solon, Geosol - die Solarbranche sitzt zwar in Berlin, ihr Umsatzheil sucht sie aber im Ausland. Je früher ein Unternehmen breit aufgestellt ist, desto leichter kann der wacklige deutsche Markt aufgefangen werden. Die Nähe zu Forschungseinrichtungen und Hochschulen erweist sich in dieser Situation als Berliner Pfund: Firmen in einer Branche, deren Existenz von Wissenschaft und Entwicklung abhängt, setzen sich weder in die Peripherie noch in ein Billiglohnland ab.
Umso mehr ruhen die Hoffnungen der Wirtschaftsförderer und des Senats auf jungen Unternehmen wie Younicos. Vor zwei Jahren hat einer der Solon-Gründer die Firma ins Leben gerufen, um sich auf Speichermanagement und -möglichkeiten zu spezialisieren. Noch sind Umsatz- und Auftragslage so, dass Sprecher Philip Hiersemenzel nicht darüber reden mag. Gleichwohl ist er einer der wenigen in der Branche, die uneingeschränkt zuversichtlich in die Zukunft blicken. Langfristig gebe es ohnehin keine Alternativen zu erneuerbaren Energien, frohlockt Hiersemenzel. Diese Energie muss in Batterien gespeichert werden können, und Younicos in Adlershof zählt zu den Vorreitern auf dem Feld.
Die Nähe zu etablierten Firmen wie Solon zahlt sich für die Tüftler ganz konkret aus: Younicos nutzt ganz gern das Restaurant des Nachbarn Solon, wie Hiersemenzel verrät. Und in der Sommerpause treffen sich die Kollegen beim Bäcker.
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