DDR-Familienfilm: Rührstück mit Schokoglasur
Den Osten verlassen, im Westen nie angekommen. "Friedliche Zeiten" will das Drama einer 60er-Jahre-Frau erzählen, bleibt aber vor allem eins: friedlich.
"So schön, schön war die Zeit", dudelt es aus der gelben Rostlaube, mit der Mutter Irene (Katharina Marie Schubert) samt Kinderschar durch die Landschaft heizt. Während sie panisch versucht, den frischen Vogeldreck von der Frontscheibe zu kratzen, passiert es: Auffahrunfall.
Die Szene ist bezeichnend. Einmal, weil Irene Striesow ihren Wagen nur allzu gern gegen fremde Fahrzeuge setzt (Westautos sind ihr zufolge, ebenso wie Panzer, so breit, dass sie "die ganze Straße ausfüllen"). Und auch sonst gelingt es ihr kaum, sich im Westen zurechtzufinden. Die Wohnung hat sie seit der Ankunft vor sieben Jahren kaum verlassen, mit den Nachbarinnen werden bloß ein paar Grußworte gewechselt. Das mit dem Westen war schließlich auch nicht ihre Idee, sondern die von Ehemann Dieter (Oliver Stokowski), der bessere Zeiten herbeisehnte.
Der auf einer Romanvorlage von Bestellerautorin Birgit Vanderbeke basierende Film von Regisseurin Neele Leana Vollmar ("Maria, ihm schmeckt's nicht") ist vor allem das, was sein Titel verspricht: eben "friedlich" und kein Film, der anecken will. Vor allem die Entscheidung, "Friedliche Zeiten" aus Sicht von Irenes neunjähriger Tochter Ute (Nina Monka) zu schildern, verhindert, dass das kleine Familiendrama im Hause Striesow auch konsequent durcherzählt wird. Nie wird es so richtig ernst, die DDR bleibt nur Kulisse einer locker-leichten Tragikomödie.
Genau wie der Nostalgieblick auf die BRD der Sechziger: Während man es sich vor der Mustertapete mit selbst gebackenem Kuchen bequem macht, bringt der Fernseher die große Angst vor dem Einmarsch der Russen ins Wohnzimmer, auch in das der Striesows. Dabei vermag selbst die heitere Unbekümmertheit Dieters nichts daran zu ändern, dass die neurotische Irene am liebsten zurück in den Osten will. Ganz schlimm ergeht es ihr, wenn ihr Ehemann das Haus verlässt (mal zur Montage, mal zur Zweitfrau). Dann muss Irene backen - sei es zur Stressbewältigung oder aus Nostalgiegründen. "Wenn sie Nusskuchen mit Schokoglasur macht, ist es besonders schlimm", das wissen auch die Kinder Ute und Wasa (Leonie Brill).
Wenn die beiden Mädchen sich nachts in die Küche schleichen, die Mutter alte Erinnerungen in Form von Fotografien auskramt, wird klar, dass "Friedliche Zeiten" vor allem ein Seelenstreichler sein will, der am naiven Kinderglauben festhält, das Familienglück schon irgendwie zurechtbiegen zu können. Da Irenes Panikzustände so weit gehen, dass sie eines Nachts die Kinder einpackt, fest entschlossen, sich auf der Flucht vor den Russen in der Donau zu versenken, ziehen Wasa und Ute sogar eine Scheidung in Betracht. Hauptsache, ihrer lebensmüden Mutter geht es wieder gut.
Eines Abends, als Irene wieder misstrauisch wird, weil Dieter "seine Kumpels" treffen will und er ihr vorschlägt, doch mitzukommen, heißt es dann: "Ich kann die Kinder nicht alleine lassen." - "Wieso denn nicht? Die haben doch keine Angst alleine." Sie, panisch: "Aber die vergessen immer die Kette." Er daraufhin erbost: "Die Kette, die Kette … ja glaubst du vielleicht, die Russen kommen, wenn die Kette nicht vor ist?" Das ist im Wesentlichen der Konflikt, der den Film trägt: Sie macht die Kette vor - er will sie sprengen. Nicht die Rote Armee ist am Ende dafür verantwortlich, dass der Krieg im Wohnzimmer ausbricht, sondern ein ungleiches Paar, das die Sehnsucht nach dem Altbewährten nicht mit dem Ruf des Neuen vereinbaren kann.
Am Ende scheinen - wie aus heiterem Himmel - alle Eskapaden Dieters vergessen, das neue Haus wird bezogen, und die Kinder trällern "I Say a Little Prayer" statt der "Internationalen". Wer bis dahin noch nicht müde geworden ist von so viel Familienglück, dem löst sich auch der letzte Zweifel in Wohlgefallen auf: Sie sind angekommen, die Striesows. Home is where the heart is.
"Friedliche Zeiten", ARD, 28.7., 20.15 Uhr
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