Baustelle Istanbul: Bagger am Bosporus
Die türkische Metropole ist dieses Jahr Kulturhauptstadt Europas. Ein Großteil des Etats wird jedoch nicht in kulturelle Veranstaltungen investiert – sondern in Baumaßnahmen.
Die Eröffnung eines Heimatmuseums auf den Prinzeninseln, ein Wettbewerb für Muhya-Design, bei dem es um Lichtbänder zwischen Moscheeminaretten geht, die während des Ramadan aufgespannt werden, und ein Jazzfestival, in dessen Rahmen in den kommenden zwei Wochen 40 Veranstaltungen überall in der Stadt stattfinden werden - das sind die Höhepunkte des Programms der Kulturhauptstadt Istanbul 2010 für Ende Juli und Anfang August.
Gegen die Veranstaltungen gibt es nichts einzuwenden. Doch im Gewusel der 15-Millionen-Stadt werden sie kaum wahrgenommen. "Kulturhauptstadt, wo denn?" ist deshalb die häufigste Reaktion von Istanbulern, die nach ihrer Meinung zum bisherigen Programm gefragt werden. Es gibt und gab zwar hunderte von Veranstaltungen, doch die meisten davon sind so kleinteilig, dass sie kaum auffallen. Das galt selbst für Ereignisse, die von den Veranstaltern zu den Mega-Events gezählt wurden. Die Windjammer-Parade zum Beispiel. Ende Mai waren für vier Tage historische Segelboote in der Stadt, doch wer erwartet hatte, dass nun der gesamte Bosporus von Dreimastern dominiert würde, sah sich enttäuscht. Fünf oder sechs Segelschulschiffe lagen am großen Kreuzfahrerkai und konnten dort besichtigt werden. Das war sicher interessant, aber nichts, was die Stadt überwältigt hätte.
Beherrscht wird die Kulturhauptstadt von etwas anderem: der Baustelle. Schon im Vorfeld wurde kritisiert, dass der größte Teil des Etats nicht für Veranstaltungen, sondern für die Restaurierung historischer Bauten und Quartiere verplant war. Dahinter steckt das Kalkül, das Geld lieber nachhaltig, also für eine langfristige Aufwertung Istanbuls als Ziel für Touristen zu verwenden, statt es in kulturelle Großereignisse zu stecken, deren Wirkung schnell wieder verpufft. Auch wenn viele Künstler von dieser Schwerpunktsetzung enttäuscht waren und etliche Mitglieder des Organisationskomitees, die sich etwas anderes erhofft hatten, das Handtuch warfen, hätte das Nachhaltigkeitsargument vielleicht überzeugt, wenn die Strategie denn aufgegangen wäre. Doch bis heute, sechs Monate nach dem Feuerwerk, mit dem die Kulturhauptstadt spektakulär eingeweiht wurde, sind immer noch vorwiegend Baustellen zu besichtigen. Es ist, als würde der Verpackungskünstler Christo in Istanbul Regie führen. Wohin man auch kommt, ist alles verhüllt. Die berühmtesten Moscheen, die Süleymaniye- und die Fatih-Moschee: eingehüllt in Bauplanen. Die Pantokrator-Kirche: komplett abgedeckt. Teile des Archäologischen Museums: wegen Renovierung gesperrt.
Auch das bereits viel besprochene neue Museum des Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk, in dem die Gegenstände ausgestellt werden sollen, die in seinem letzten großen Roman, "Museum der Unschuld", beschrieben werden, ist eine Baustelle. Um das Haus Nr. 24 in der historischen Cukurcuma-Straße hängen die Bauplanen, innen wird eifrig gewerkelt. Obwohl das Orhan-Pamuk-Museum nicht mehr offiziell zum Programm der Kulturhauptstadt gehört, weil sich der Nobelpreisträger nach einem öffentlichen Hickhack um die für sein Museum vorgesehenen Gelder aus dem Programm zurückgezogen hat, bleibt es eine Hauptattraktion für viele Kulturinteressierte. Aber ob dort noch in diesem Jahr etwas zu besichtigen sein wird, ist unsicher. Ende September, heißt es nun, sei die Eröffnung, die eigentlich schon im Juni stattfinden sollte.
Kommen Sie 2011!
Die großen Privatsponsoren zeigen unterdessen, dass es auch anders geht. Zwei große türkische Konzerne, die Koc und die Borusan Holding, haben in diesem Jahr zwei ehemalige Stadtvillen aus dem 19. Jahrhundert als Musik- beziehungsweise Galeriehaus eröffnet, in denen nun die avantgardistischen Ausstellungen stattfinden, die sich viele Künstler für das offizielle Programm gewünscht hätten. Übertroffen wird das allerdings noch von dem renommierten, ebenfalls privaten Sabanci-Museum am Bosporus. Mit ihrer gezielt für das Jahr 2010 vorbereiteten Großausstellung "Das legendäre Istanbul - 8000 Jahre Stadtgeschichte" ist den Ausstellungsmachern ein Coup geglückt, den man sich so eigentlich von den Kulturhauptstadtplanern erwartet hätte. Wenn es einen inhaltlichen Schwerpunkt der Kulturhauptstadt Istanbul gibt, dann ist es diese großartige Präsentation der Stadtgeschichte. Ansonsten kann man nur raten: Besuchen Sie Istanbul 2011, bis dahin werden wohl die meisten Baustellenplanen gefallen sein.
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