Bürgerrechtler Manifest zur Netzneutralität: "Auf Google ist kein Verlass"
Der Deal zwischen Google und Verizon zur Netzneutralität könnte das Ende des freien Internets bedeuten, befürchtet zumindest der Bürgerrechtler John Bergmayer von Public Knowledge.
Herr Bergmayer, der Vorschlag von Google und dem US-Telekommunikationsanbieter Verizon zur Netzneutralität liegt nun vor. Wie bewerten Sie den Deal?
John Bergmayer: Für Verizon und Google mag das ein tolles Geschäft sein. Für normale Menschen und Firmen ohne Googles Kriegskasse, die von einem offenen Internet abhängen, ist es das aber keineswegs. Nun kann nur noch die Regulierungsbehörde FCC eingreifen, um den offenen Charakter des Netzes zu bewahren. Wir hoffen, dass das passiert - und auch die Regulatoren in der EU und in Deutschland so vorgehen.
Das "Manifest" scheint insgesamt recht vage, auch wenn das Wort "offen" sehr oft vorkommt. Was lesen Sie aus dem Papier heraus?
Ich glaube, dass es mehr über die Beziehung zwischen Google und Verizon aussagt als über irgendetwas anderes. Es zeigt, dass Konsumenten, die die Netzneutralität unterstützen, sich nicht auf große Konzerne verlassen können, die für sie kämpfen. Der Vorschlag selbst ist ein reines Lippenbekenntnis gegenüber der Idee eines offenen Netzes. Es bleiben viele Lücken. So sind "zusätzliche Online-Dienste" möglich, die Internet-Inhalte, Anwendungen oder Dienste nutzen können, diese aber in ihrer Geschwindigkeit beeinflussen dürfen. Das ist etwas, gegen das Google früher völlig opponierte. Zudem lässt sich so etwas kaum regulieren. Die FCC würde nur noch Industrieentscheidungen abnicken.
Wird durch die Möglichkeit, „neue Dienste“ aufzuziehen, das Ende des Internets eingeleitet?
Ich glaube schon. Verizon-Boss Ivan Seidenberg nennt das heutige Netz nur noch "das öffentliche Internet" und unterscheidet daneben "zusätzliche Online-Dienste", die man früher ganz anders genannt hat. Außerdem wird das Netz in drahtlos und drahtgebunden fragmentiert - nur für Letzteres greift das Neutralitätsgebot.
John Bergmayer ist Justiziar von Public Knowledge, eine Washingtoner Organisation, die sich für ein offenes und bürgerrechtsfreundliches Internet einsetzt. So kämpft sie für das Recht auf die Privatkopie und hat sich seit Beginn der Debatte vehement für eine strikte Netzneutralität eingesetzt.
Netzneutralität bedeutet, dass der Datenverkehr im Internet von den Telekommunikations-Unternehmen nicht angetastet werden darf, bevor er beim Endkunden ankommt. Die würden gerne nicht nur von den Endkunden, sondern auch von Firmen Geld sehen, um Daten besonders schnell auszuliefern. Einen ersten Deal zum Thema trafen Google und der größte US-Telefon- und Internet-Anbieter Verizon. Er besagt, dass das Festnetz-Internet zwar neutral bleiben soll, kennt aber zahlreiche Ausnahmen wie "neue Dienste" oder das mobile Internet, bei denen der Netzbetreiber bestimmen darf.
Auf Außenstehende wirkt das Manifest wie eine Unterwerfung vor der Telekom-Industrie. Es wäre für Google ein Leichtes gewesen, einfach bei der alten Position zu bleiben. Bricht Google mit seinen ursprünglichen Vorstellungen?
Google kann natürlich machen was es will - und so viele Politikvorschläge unterbreiten, wie möglich. Das machen ja viele Firmen. Aber es ist in der Tat so, dass das allem zuwiderläuft, was das Unternehmen vorher gesagt hat.
Glauben Sie, dass die Geschäftsbeziehung im Mobilfunkbereich, wo Google das wichtigste Betriebssystem für Verizons Handys stellt, eine Rolle spielte?
Ich denke, diese wachsende Beziehung war sicher ein weiterer Aspekt, der Google zu diesem Arrangement führte, ja.
Google will den Bereich des mobilen Internets komplett aus der Netzneutralität nehmen. Für wie problematisch halten Sie das?
Es macht überhaupt keinen Sinn, den Drahtlos-Bereich aus den Prinzipien herauszunehmen, die für andere Internet-Zugangsarten gelten. Es geht hier doch um einen enorm wachsenden Bereich - um Smartphones und andere Geräte. Und nicht nur das: Das drahtlose Internet soll auch verwendet werden, um ländliche Gebiete und andere weiße Flecken auf der Netzlandkarte endlich zu versorgen. Die Menschen, die auf das Mobilnetz angewiesen sind, verdienen etwas Besseres.
Google und Verizon behaupten in ihrem Manifest, der Drahtlos-Bereich habe "mehr Wettbewerb" und sei insgesamt dynamischer als das drahtgebundene Internet. Dabei bestimmt in vielen Ländern der Welt nur eine Handvoll Unternehmen den Markt.
Selbst wenn wir einmal annehmen, dass es im Drahtlos-Bereich mehr Konkurrenz gibt als im Festnetz-Internet - was soll die Unterscheidung? Im Festnetz gibt es eine starke Konzentration und im Drahtlos-Bereich auch. Bei den mobilen Diensten knebeln die Firmen die Kunden mit langen Verträgen oder bieten Smartphones exklusiv an. Wettbewerb ist nicht so einfach, wie das hier dargestellt wird.
Glauben Sie, dass der Verizon-Google-Deal Auswirkungen auf den Rest der Welt haben wird?
Ich denke, dass er sicher bei der aktuellen öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zum Thema offenes Internet zur Sprache kommen wird. Ich hoffe sehr, dass die Europäer und alle anderen Länder auf der Welt verstehen, dass es sich hier um einen Deal zwischen zwei Firmen handelt, denen es um ihr Eigeninteresse geht und nicht um das der Öffentlichkeit.
Wie wird die Regulierungsbehörde FCC reagieren?
Das kann noch niemand sagen. Es gibt Mitglieder des FCC-Rates, die sich gegen den Deal aussprechen, doch die Debatte wird vom FCC-Chef geleitet. Ich hoffe, dass die negative Reaktion zu diesem Vorschlag ihn beeinflusst. Ein so wichtiges Thema wie das offene Internet kann man nicht Unternehmen überlassen, denen es nur um Profit geht, den sie durch Gängelung ihrer Konkurrenten erreichen. Die Öffentlichkeit verdient es, gehört zu werden. Google mag nun bereit sein, eine schwache Netzneutralität zu akzeptieren, doch viele kleinere Firma können sich so etwas nicht leisten.
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