Telekom-Unternehmen und Kabelanbieter: Netzneutralität in Deutschland bedroht
Google fing an – nun stellen auch deutsche Unternehmen die Netzneutralität aktiv infrage. Oppositionspolitiker und Netzaktivisten haben deswegen eine Petition gestartet.
BERLIN afp/taz | Deutsche Telekom-Unternehmen und Kabelanbieter stellen die gleichberechtigte Übertragung aller Daten im Internet - die Netzneutralität - in Frage. "Wir benötigen eine Kostenbeteiligung von Anbietern, die starken Datenverkehr verursachen", sagte der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Kabelnetzbetreiber, Peter Charissé, der Berliner Zeitung vom Donnerstag. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Breitbandkommunikation, Stephan Albers, sagte der Zeitung: "Eine Kostenbeteiligung stellt sicher, dass Investitionen sich für die Netzbetreiber lohnen."
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie im Bereich der Netzneutralität eine "freiwillige Lösung" favorisiert. Für den SPD-Politiker Björn Böhning bedeutet das, dass "Schwarz-Gelb die Netzneutralität dem Markt überlassen will", sagte er taz.de. Dabei würden viele auch aus der Wirtschaft sich für ein neutrales Netz aussprechen, Schwarz-Gelb müsse jetzt die Netzneutralität gesetzlich ausgestalten.
Zusammen mit Malte Spitz von den Grünen hat Böhning deswegen die Aktion "Pro Netzneutralität" gestartet. Dort findet sich auch das wesentliche Argument gegen ein Ende der Netzneutraltät: Es "würde ein Zwei-Klassen Internet befördern, wo sich die großen Medien- und Internetkonzerne dieser Welt ihr eigenes Netz schaffen". Kleine und neu auf den Markt stoßende Wettbewerber würden benachteiligt, zudem würde der Zugang zu Wissen und Information dann vom Einkommen abhängig.
Am Mittwoch online gegangen, finden sich unter der Petition nach nur einem Tag bereits mehr als 4000 Unterschriften – Politiker - und einige Politikerinnen - aus dem Oppositionslager, aber auch viele Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus der Netz-Szene, unter anderem auch der Gründer des Business-Netzwerks Xing, Lars Hinrichs. Unter den Erstunterzeichnerinnen sind auch Ex-Universal-Manager und Motor-FM-Gründer Tim Renner, der Flattr-Erfinder Peter Sunde und der bunte Hund des Web-2.0, Sascha Lobo.
Angesichts der sehr männlich geprägten Unterstützerliste von "Pro Netzneutralität" hat der Blogger und Techniksoziologe Till Westermeyer gefragt, ob "nur Männer für Netzneutralität" sind und die Frage auf die gesamte Netzpolitik erweitert. "Wie konnte sich Netzpolitik als männliche Domäne entwickeln? Welchen Anteil haben die technikaffinen Wurzeln dabei?" Westermeyer fragt nach "Hackersexismus", fordert Bewusstmachung von Mechanismen, die Frauen ausschließen, und auch, dass "aktiv daran gearbeitet wird, strukturell wie thematisch den Pfad 'Männerbund' zu verlassen".
Nach Angaben der Pro-Netzneutralität-Initiatoren habe man die Mädchenmannschaft angefragt, deren Teilhabe an der Petition sei aber "an der Urlaubszeit gescheitert".
Der Internet-Konzern Google und der US-Telekommunikationskonzern Verizon hatten am Montag der Diskussion über die Netzneutralität Schub gegeben. Sie forderten einen rechtlichen Rahmen für die Netzneutralität. Diese Neutralität solle aber nur für die Datenübertragung im Festnetz gelten, nicht für das mobile Internet. Zudem verlangten die Konzerne Ausnahmen für "Zusatzdienste" wie etwa Gesundheitsberatung, Bildungsangebote oder neuartige Spiele. Verizon-Chef Ivan Seidenberg hatte als Beispiel die Übertragung von Opern der Metropolitan Opera in 3D genannt.
Leser*innenkommentare
Anony
Gast
@Lutz Falkenburg
Es ist richtig, dass die Netzneutralität in der Form, wie viele es darstellen gar nicht existiert.
Aber heißt das, dass wir zusehen sollen, wie geldgierige Provider das Netz Schritt für Schritt zerstören?
Ich denke nicht.
Gerade WEIL, schon jetzt die Netzneutralität eingeschränkt ist, ist es an der Zeit, diese wieder zu stärken, oder zumindest dafür zu sorgen, dass sie nicht noch weiter zerlegt wird.
Auch stimme ich zu, dass es auf Bundesebene keinen Sinn macht.
Und wenn eine ideale, netzweite Lösung nicht realisierbar ist, sollten wir doch eine europaweite Vorreiter-Regelung anstreben.
Aber vor allem müssen wir darüber reden!
Der von Google klug gewählte Zeitpunkt der Verizon-Vereinbahrung, während dem anrollenden Street-View-Start, hat dazu geführt, dass die Dabatte in den Medien zu kurz gekommen ist.
Die Politiker schimpfen über Street-View anstatt, über die Netzneutralität zu diskutieren.
Es sollte andersherum sein.
Hier bei der taz ist das Verhältnismäßig gut.
Aber auch hier sind von den letzten 10 Netz-Themen
5 über Street-View, 1 über Netzneutralität, und eins über beides.
Ein männlicher Mann
Gast
@Lutz Falkenburg:
Bezüglich Mobilfunk: Die Bandbreiten in Mobilfunknetzen sind begrenzt (shared media vs. P2P/switched) insofern wird es in absehbarer Zeit nicht die Bandbreiten wie in kabelgestützten Netzen geben. Wenn die Provider vieleicht Femtozellen in die Router einbauen wird sich das zumindest in Ballungsräumen ändern.
Die Peerings zwischen den Providern werden mit entsprechenden Konfigurationen zum Austausch der Routen gesteuert, schauen Sie sich doch einfach die Bedingungen von großen Peeringpoints an, dann bekommen Sie einen Eindruck wie das läuft.
VOIP-Netze lässt man in eigenen MPLS-VPN laufen in dem ich keine Internet Adressen route. Denn nur in einem eigenen VPN kann ich den Jitter, Bandbreiten und die Laufzeiten vernünftig kontrollieren wie es für qualitativ hochwertiges VOIP benötigt wird. Schauen Sie sich doch einfach mal an wie die Telekom IPTV implementiert hat: Ein eigenes VLAN für die IPTV Pakete. Oder wie Alice sein VOIP implementiert hat: Als eigenes VCI, die wahrscheinlich, sobald die die Pakete aus dem Telekom Netz fallen im einem MPLS-VPN im Netz von ALice/Telefonica weiter transportiert werden.
Diese Netze laufen über die selben Kabel wie das Internet, sind aber eigene Netze die mit dem Internet erstmal wenig zu tun haben.
Stefan
Gast
Ich habe die Petition heute unterschrieben.
Jeder der regelmässig das Internet nutzt sollte sich darüber informieren was Netzneutralität bedeutet und dann wird er/sie auch unterschreiben.
Ralf Josephy
Gast
Nun auch das Thema Netzneutralität verursacht Kosten. Darauf weist die Wirtschaft zu Recht hin, denn wir haben uns vom Anfangsweg des Internets getrennt und das Internet von den Universitäten weg hin zur Privatwirtschaft bewegt.
Der Schlüssel für die Netzneutralität ist nach meiner Meinung jedoch darin zu sehen, dass beliebige Aktivisten Ihre Darstellungen auch über privatwirtschaftliche Wege vertreiben können, ohne dass sie viel Geld bezahlen. Netzneutralität muss für niemanden teuer sein, ist aber für einzelne Hart IV Empfänger unbezahlbar. Dieser Wunsch kann nur staatlich reguliert werden. Das kostet Steuergelder und wenn nur die Meinung verbreitet wird, dass mehr Hart IV Geld fliessen soll.
Lutz Falkenburg
Gast
Netzneutralität? Wo gibt es die? Nirgends. Schon immer wurde per Priority Peering, Throtteling etc. das Netz gezielt gesteuert. Nicht immer zu dem Zweck allen Nutzern gleichmäßig viel Internet zu vergeben. Mit IPv6 wird sich dort zusätzliches einiges Ändern weil die Unart mehrere Devices hinter einer IP zu verstecken wegfällt (Stichwort NAT).
Die Verfügbarkeit von DSL Bandbreiten werden zum Beispiel von der Telekom in gewissen Gebieten nicht anhand der Entfernung zum DSlam angegeben sondern schlicht und ergreifend nach verfügbarem Uplink. Kaufen nun aber mehrere Kunden in diesem Gebiet DSL höhere Bandbreiten bzw. fragen es an, kann die Telekom den Uplink ausbauen und plötzlich erhalten Kunden DSL denen man vorher sagte, sie sitzen zu weit weg, bla. Wie bitte soll das auch anders gehen? Der Staat hat den Ausbau des Internets schlicht verpennt (alle mir bekannten Versuche darüber zu reden scheiterten ala “Internet? Das ist doch dieses BTX-Ding von der Post, das ist doch alles staatlich - ca. 1996). Also nahmen viele Individualisten und damals noch kleine Firmen es selbst in die Hand und erweiterten das Internet - also das, was es damals gab (Stichwort: Xlink, NTG, KPN/Qwest…)
Also im B2B Bereich bzw. zwischen Providern gab es so etwas wie Netzneutralität nie. Ganz im Gegenteil: Es gibt immer noch aus Zeiten der KPN/Qwest aka Xlink Euroringe Vereinbarung über priorisiertes Peering bzw. Routing/Tagging/QOS/whatever - ohne diese Vereinbarung wären z.B. große internationale VPN/VOIP-Projekte gar nicht erst möglich. Ist mir schon klar, dass die Telekom da gerne was ändern würde, denn der BTX-Anbieter kann da häufig nicht mitspielen ;-)
Was soll sich für uns Endkunden denn ändern? Dass ich zukünftig für werbefreie HD-Videos bei Youtube Geld zahlen muss ansonsten bleibt mir nur die non HD Variante mit 35 sekunden Werbeblock? Wie schrecklich. Im Moment steuern wir doch vielmehr auf die Variante zu, dass man IMMER Werbung ertragen muss und darüber hinaus HD nicht wirklich HD ist. Und im mobilen Bereich?! Netzneutralität? Lachhaft, Mobilfunkprovider untersagen das Nutzen von VOIP als Skype, SIP und klemmen den Kunden auf ISDN-Geschwindigkeit runter, wenn er bei seiner FLATRATE(!) mehr als x GB Traffik macht.
Noch eines, das Internt ist nicht ganz so homogen, wie es sich hier vielleicht einige vorstellen. Grundsätzlich ist jeder von uns Teil des ganzen. Beispiel: Kleine Firma X bestellt Breitbandanbinung bei der Telekom/ARCOR/QSC/LAMDANET/etc. und holt sich eine Genehmigung zum verfunken eines Nahegelegenen Ortes (keine Seltenheit, da, wo ich herkomme). Schon erweitert sich hier das Internet auf nicht kontrollierbare Weise. Worauf ich hinweisen will, niemandem gehört DAS Internet nicht mal die Staaten können an Ihren Grenzen Pakete kontrollieren, ergo ist es sinnlos eine deutsche Regelung herbei zu führen. Der richtige Ansatz wäre meines Erachtens nach über die ICANN, die aber (wie das Internet selbst) ein Haufen nicht steuerbarer Individuen ist. Schön wäre, gerade im Zeitalter “keiner fragt aber alle antworten” man könnte unsere/eure/alle deutschen Aktivitäten zu diesem Thema sammeln. Dies könnte zum Beispiel eine Aufgabe der Politik sein, das Bereitstellen einer Plattform.
Kurzum, hier ist über ein Reizwort ein Thema aufgerufen worden, was zum einen gesellschaftlich für einige Zeitgenossen extrem wichtig zu sein scheint und zum anderen nicht näher definiert ist. Jeder fabuliert davon, dass sich etwas an etwas ändern könne, was es aber in der Art vorher gar nicht gab wenn man denn wüsste worüber man genau redet ;-)
Vielleicht sollten sich die digital Naives mal auf eine Definition/ihre Definition von Netzneutralität einigen, damit jeder weiß worum es zu streiten gilt.
Grüße!
onny
Gast
Preisbarrieren im Internet dienen nur jenen Providern, die ein regulierten und gedrosselten Internetzugang möglichst günstig an eine breite Masse verkaufen wollen. Dabei zerstören sie jegliche demokratische Prinzipien, die das WWW gerade für uns so wertvoll machen.
Nur eine europaweite Regelung für Netzneutralität in allen Bereichen schützt das für unsere Gesellschaft so wichtige, freie Netz!