Ausstellung: Barock trifft Gegenwart

Unter dem Titel "Verwehte Orte" sind derzeit auf Schloss Gottorf Arbeiten von zeitgenössischen KünstlerInnen aus Schleswig-Holstein und Hamburg zu sehen. Die Arbeiten strahlen auf das landesgeschichtliche Inventar aus - und stellen es zugleich vor.

Lässt sich unversehens nieder: Jana Mückes Zeichenschwarm. Bild: Rüdiger Lubricht/Schloss Gottorf

"Eine Drehbasse", sagt das Lexikon, "ist ein leichtes Geschütz kurzer Reichweite, das auf einem Drehzapfen beweglich gelagert ist." Für den Laien sieht die Drehbasse aus wie eine Mini-Kanone. Hilfreich ist für den Laien auch der Hinweis "um 1800". Es gibt einige Drehbassen in der Dauerausstellung des schleswig-holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf. Genauso wie es Ritterrüstungen gibt, neben denen steht: "17. Jahrhundert" und "Eisen".

Was es derzeit auf Schloss Gottorf auch gibt, das ist ein Zeichenschwarm. Er befindet sich direkt zwischen Drehbasse und Ritterrüstung und besteht aus vielen einzelnen kleinen Blättern, auf denen die junge Kieler Künstlerin Jana Mücke mit Bleistift, Tusche, Kuli oder Feder abstrakte Motive gezeichnet hat. Manche sehen aus wie Tiere, manche wie zufällige Kritzeleien, manche wie organisches Material unter einem Mikroskop. Eine innere Verbindung der Zeichnungen, einen roten Faden, eine Geschichte gibt es nicht. Die Zeichenschwärme sind dazu da, sich an Orten in Norddeutschland auszubreiten, an denen niemand mit ihnen rechnet. Die Wand zwischen Drehbasse und Ritterrüstung gehört eindeutig dazu.

Jana Mückes Zeichenschwarm ist eine von neun künstlerischen Positionen, die derzeit unter dem Titel "Verwehte Orte" auf Schloss Gottorf gezeigt werden. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines Projektes, das die Kuratorin Uta Kuhl zusammen mit dem neuen Gottorf-Direktor Jürgen Fitschen und mit Mitteln der Kunststiftung der HSH Nordbank realisiert hat. Das Konzept: Alle beteiligten Künstler sollten aus Schleswig-Holstein oder Hamburg kommen oder zumindest dort studiert haben oder leben. Denn alle Künstler sollten sich mit Schleswig-Holstein beschäftigen, sollten eine neue Sicht auf das Land entwickeln, von dem böse Zungen behaupten, es habe nur Rapsfelder und Küsten zu bieten.

Zudem sollten die Kunstwerke auf Schloss Gottorf präsentiert werden, also jener Anlage, die gefüllt ist mit Landesgeschichte, sei es in Form von Rüstungen, Gobelin-Teppichen, Skulpturen oder Ölgemälden. Schloss Gottorf, so die Hoffnung, soll durch die Integration der zeitgenössischen Kunst selbst zu einem "verwehten Ort" werden. Das allerdings klappt nur stellenweise. Weil die zeitgenössische Kunst so arg in der Unterzahl ist, dass sie gegen die Schwerter und Stuckdecken nicht viel ausrichten kann. Und weil einige der zeitgenössischen Werke ihre Umgebung nicht brauchen, um zu wirken - und Schloss Gottorf eher als verstaubten, denn als verwehten Ort kennzeichnen.

Eine Arbeit, die ganz auf das Schloss zugeschnitten ist, ist die überdimensionale Disko-Kugel, die der Kieler Künstler Robin Romanski im Herkulesteich am Anfang des Barockgartens deponiert hat. Der Herkulesteich ist ein ausgedehntes Wasserbecken, in dem eine Herkules-Skulptur steht, die auf das 17. Jahrhundert zurückgeht.

Es gibt Perspektiven, von denen es so aussieht, als würde Herkules mit seiner Keule zum Schlag gegen die Disko-Kugel ausholen. Ist aber nicht so. Herkules kämpft gegen einen siebenköpfigen Drachen und die Diskokugel ist gedacht als Anspielung auf die Vergnügungssucht des Barock. Oder auch als Anspielung auf den Gottorfer Globus, jene Hauptattraktion der Anlage, die sich an der Frontseite des Teiches im "Globushaus" befindet. Ein Hinkucker ist die Discokugel allemal. Witzig ist sie auch. Ihre subversive Kraft gegenüber der herzöglichen Machtdemonstration um sie herum aber ist gering.

Ähnlich ist es mit der konkreten Poesie des Kieler Künstlers Arne Rautenberg. Im Gobelin-Saal hat er einen Teppich abhängen lassen und direkt auf die Wand einen Schriftzug gemalt: "EIN DREHEN UND WENDEN VERRAUSCHEN UND ENDEN" steht da in Kreisform, so dass der Eindruck entsteht, der Schriftzug bohrte sich langsam in die Wand. Auf dem Teppich nebenan reitet ein Herrscher zur Krönung. Die beiden Arbeiten reiben sich nicht, sie ergänzen sich.

Unbequemer wird es auf den Fotos, die die in Neumünster lebende Künstlerin Birgit Bornemann in Norderstedt gemacht hat - jenem Vorort von Hamburg, der nicht gerade als touristische Attraktion bekannt ist. Durch Doppelbelichtung hat sie Gegenstände in Landschaften transferiert, die da nicht hingehören: Ein Pferd steht geisterhaft verwischt hinter einem Zaun, der zu einem Flughafen gehören könnte. Ein Künstler steht mit Staffelei an einem Ufer aus Beton. Verlassene Sessel stehen zugeschneit im Wald. Und zwischen den Fotos befinden sich Marmor-Skulpturen aus dem Barock: Adonis, Herakles, Venus.

Bornemanns Fotos sind in ihrer atmosphärischen Dichte sehr gelungen, aber sie brauchen den Barock nicht - und dem Barock helfen die Fotos auch nicht weiter. Die Institution Schloss Gottorf aber profitiert von den Fotos, so wie sie von dem gesamten Ausstellungsprojekt profitiert: Es holt ein Publikum ins Haus, das wegen der Landesgeschichte alleine nicht gekommen wäre. Das Publikum wird nicht enttäuscht. Und hat bei seinem zwangsläufigen Rundgang auch noch rausgefunden, was es sonst noch so alles gibt, vor Ort. Eine Win-Win-Situation, hätte man früher mal bei der HSH Nordbank gesagt.

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